Frühjahr | Sommer 2019 Nr. 32 fortyfour DAS PRÄVENTIONSMAGAZIN | www.praevention.at Institut Suchtprävention, Hirschgasse 44, 4020 Linz  cy d o n n a  / p h o to ca se .d e KAUFSUCHT


In Oberösterreich gelten ca. 350.000 Personen als kaufsuchtgefährdet, etwa58.000 Personen als „stark kaufsuchtgefährdet“. Warum ist Kaufsucht trotz der verhältnismäßig hohen Zahlen im Vergleich zu anderen Suchtformen keingroßes Thema in der Öffentlichkeit? Die öffentliche Wahrnehmung hängt stark davon ab, was als „dysfunk-tional“ gesehen wird. Ist ein Verhalten gesellschaftlich anerkannt odernicht? Über Heroinsüchtige liest man viel öfter als über Alkoholkranke,obwohl es wesentlich mehr Alkoholkranke gibt. Die Kaufsucht ist einspezielles Thema, da Einkaufen in der Gesellschaft nicht als dysfunk-tional gesehen wird. Es ist in gewissen Mengen ja auch normal und not-wendig. Sogar ein übermäßiges Einkaufen wird gesellschaftlich nocheher positiv gesehen, ja durch die Werbung sogar gefördert. Es lebenviele Menschen und Firmen davon und es gibt klarerweise auch wirt-schaftliche Interessen. Dazu kommt noch ein Dilemma: Die Kaufsuchtist auch stark einkommensabhängig. Wenn jemand monatlich um 300Euro Schuhe kauft, geht es weniger um die Frage, ob dieses Verhalteneiner gesellschaftlichen Norm entspricht oder nicht. Die Frage ist eher:Wie viel Einkommen hat die Person? Wenn jemand so viel Einkommenhat, dass ihm die 300 Euro überhaupt nicht fehlen, dann wird der Schuh-kauf wohl nicht als Kaufsucht auffallen. Wenn aber jemand an der Ar-mutsgrenze lebt und schon nicht mehr weiß, wie er die nächste Mietezahlen soll – und dann noch monatlich um 300 Euro Schuhe kauft –dann wird man von einem pathologischen Verhalten ausgehen. Ich willdas  nicht  werten,  aber  es  zeigt  die  Schwierigkeit  der  Definition  vonKaufsucht. Es gibt ja auch wissenschaftlich noch keine einheitlich gül-tigen Kriterien für die Diagnose einer Kaufsucht.  Im Vergleich zur Glücksspielsucht melden sich verhält-nismäßig wenige Menschen, um sich beraten zu las-sen oder eine Therapie zu beginnen. Welche Gründekönnte das haben? Sowohl die Glücksspielabhängigkeit als auch dieKaufsucht sind mit Scham behaftet. Bei der Kauf-sucht zeigen internationale Zahlen, dass vermut-lich mehr Frauen als Männer betroffen sind undFrauen  neigen  eher  zu  Süchten,  die  verstecktsind,  wie  etwa  die  Medikamentenabhängigkeit,v.a. die Abhängigkeit von Benzodiazepinen. Vermutlich haben wir nichtweniger  benzodiazepinabhängige  Frauen  als  alkoholkranke  Männer.Der Unterschied ist, dass die Frauen nicht in die Therapie kommen. Esgibt also Süchte, die gesellschaftlich versteckter sind, wo die Problemenicht so offensichtlich werden. Das kann natürlich auch dazu beitragen,dass die Leute weniger Hilfe suchen.  Ein weiterer Faktor ist vermutlich auch, dass das Bewusstsein für dasKrankheitskonzept noch gar nicht da ist. Bei der Heroinabhängigkeitweiß jeder, dass das eine Abhängigkeitserkrankung ist. Bei der Kauf-sucht ist den Betroffenen selbst oft gar nicht bewusst, dass das eineVerhaltensweise ist, die durch eine Therapie durchaus zugänglich bzw.änderbar wäre. Das läuft dann vielleicht unter dem Titel „dumme Ge-wohnheit“. Wissenschaftlich genau können wir aber nicht sagen, warumKaufsüchtige kaum in die Behandlung kommen, da fehlen uns die Zah-len. Wir können daher nur spekulieren.       2      Editorial       2       Interview mit Prim. Dr. Kurosch Yazdi       4      Kaufsucht im Zeitalter des Konsums       6      Kaufsucht - Facts       9       Aus der Praxis:  Ambulanz für Spielsucht                Interview mit Maria Mittermaier, MSc. und Karlheinz Staudinger, MSc.     10      Aus der Praxis:  Schuldnerhilfe OÖ                Interview mit Katharina Malzer und  Mag. (FH) Wulf Struck      11      Alles zu seiner Zeit – Punktnüchternheit am Arbeitsplatz      12      Aktuelle Entwicklungen zm Thema Rauchen in OÖ      13      ready4life: Erstes Life Skills-Programm für Lehrlinge in OÖ               Rechtsinfo: Gesetzesänderungen beim Rauchen     14       Neues aus dem Institut      15       § 13 SMG                Buchtipps     16       Hilfeangebote IMPRESSUM :  Medieninhaber  und  Herausgeber:  Institut  Suchtprävention,  pro  mente  OÖ,  4020 Linz, Hirschgasse 44 Leitung: Christoph Lagemann, Mag. Dr. Rainer Schmidbauer Redaktion:  Mag.  Günther  Ganhör  (Leitung),  Mag.  Rosmarie  Kranewitter-Wagner, Mag. Seifried Seyer Grafik: Sabine Mayer Fotos: fotolia, photocase, Institut Suchtprä -ven tion, Land OÖ/Liedl Druck: kb-offset, 4844 Regau  Auf lage: 4.500  Stück  Preis:kostenlos  ZVR 811735276 EDITORIAL Werte Leserinnen und Leser! Obwohl etwa jede/r Vierte entweder von deutlich kompensatorischer Kaufneigung betroffen ist oder gar als stark kaufsuchtgefährdet gilt, ist die Kaufsucht eine „stille“ Sucht. Kaufsucht gilt als vorwiegend weiblich und ihre Protagonisten sind nicht selten aktiv, erfolgreich und leistungsorientiert. Dazu kommt, dass das Kaufen nicht nur ein zentraler Wert unserer aktuellen Konsumgesellschaft ist. Es stellt darüber hinaus auch einen elementaren Bestandteil dieser Gesellschaft dar, ohne den das Funktionieren dieses Systems nicht möglich wäre. Auffällig wird das exzessive oder pathologische Kaufen meist erst dann, wenn bereits eine erhebliche Verschuldung der Betroffenen vorliegt. Diese wiederum erzeugt bei vielen Frauen und Männer ein Schamgefühl, über das man nicht gerne spricht. Vielleicht erklärt dies ein wenig die  große  Lücke  zwischen  den  verhältnismäßig  hohen  Zahlen  von  kaufsüchtigen  bzw.  kaufsucht- gefährdeten Menschen und einer kaum vorhandenen öffentlichen Debatte zu diesem Phänomen, das auch in den gängigen Diagnostischen Manuals nicht als Abhängigkeitserkrankung definiert ist. Doch was heißt das für die Vorbeugung? In der allgemeinen Suchtprävention unterscheiden wir zunächst nicht so stark zwischen einzelnen Abhängigkeiten. So wirkt sich etwa die Vermittlung von persönlichen Schutzfaktoren auf vielen Ebenen positiv aus. Kinder, die familiären Rückhalt erfahren, gute Lern- und Entwicklungschancen vorfinden und positive soziale Beziehungen aufbauen können, werden auch einen gesunden  Selbstwert  und  andere  wichtige  Eigenschaften  entwickeln.  Sie  sind  auch  in  schwierigen Situationen weniger gefährdet, in problematische oder suchtähnliche Verhaltensweisen zu verfallen als Kinder, die keine entsprechenden Ressourcen zur Bewältigung persönlicher Krisen entwickeln konnten. Neben der individuellen Ebene ist es aber natürlich gerade beim Thema Kaufsucht von großer Bedeutung auch die strukturellen Faktoren näher zu beleuchten. In einer konsumorientierten Gesellschaft, in der das Kaufen  eine  zentrale  Funktion  besitzt,  ist  die Verlockung,  den  zahlreichen  Kauf-  und  Finanzierungs- angeboten nachzugeben, groß. Neben dem Thematisieren dieser Problematik ist es daher auch wichtig, dass in den Familien und Schulen offen über den Umgang mit Geld gesprochen wird, dass Werbebot- schaften  kritisch  hinterfragt  werden,  genauso  wie  unser  aller  Konsumverhalten.  Dann  wird  aus  der „stillen“ Sucht vielleicht einmal ein tabubefreites Thema, dass nicht erst zu Tage tritt, wenn eigentlich schon alles verloren ist. Christoph Lagemann | Dr. Rainer SchmidbauerInstitutsleitung INHALT IM GESPRÄCH MIT KUROSCH YAZDI Interview: Günther Ganhör youtube.com/praeventionatfacebook.com/praevention.at WIR KAUFEN VIEL UND GENIESSEN WENIG. Graffito auf einer Mauer in Athen 2


Aber man kann aus den Zahlen, die zur Verfügung stehen, ableiten, dass Kauf-sucht mehr Frauen als Männer betrifft, vor allem jüngere Frauen. Wie lässt sichdas erklären? Zum einen entsteht eine Sucht dadurch, dass eine Verhaltensweise, dievielleicht in gewissem Ausmaß normal ist, übertrieben wird. Es ist zumBeispiel gesellschaftlich durchaus normal, ein Glas Alkohol am Tag zutrinken. Wenn ich es aber übertreibe, dann habe ich ein Alkoholproblem.Beim Einkaufen ist es auch so, dass jene Gruppe, die häufiger einkauft,auch häufiger davon bedroht ist, dieses Verhalten zu übertreiben. Frauenkaufen häufiger ein als Männer, das lässt sich statistisch belegen, dahersind sie auch in stärkerem Ausmaß betroffen. Vielleicht steht Einkaufenauch gesellschaftlich unter einem anderen Druck. Firmen und Werbungrichten sich beim Thema Shopping oft an (junge) Frauen. Generell ist esso, dass es sowohl eher männliche als auch eher weibliche Süchte gibt.Das ist nicht immer gleich verteilt. Dafür gibt es viele Ursachen, die so-wohl biologisch, aber auch sozial und kulturell bedingt sind. Alkoholsuchtist eine eher männliche Suchtform, die Kaufsucht eher eine weibliche.  Gibt es beim pathologischen Kaufen Parallelen zu anderen „Verhaltenssüchten“,wie der Glücksspielsucht, der Internetsucht oder auch zu substanzbezogenenAbhängigkeiten? Grundsätzlich sind sich Suchterkrankungen sehr ähnlich, da genügt einBlick  auf  die  Diagnosekriterien.  Es  decken  sich  zum  Beispiel  bei  derGlücksspielabhängigkeit viele Kriterien mit jenen der Alkoholabhängig-keit: Entzugserscheinungen, Kontrollverlust oder auch die Toleranzent-wicklung. Das gilt auch für das Kaufen: Ich habe vielleicht früher einmalpro Woche Schuhe gekauft und mich die restliche Woche darüber gefreut.Jetzt muss ich mir jeden Tag Schuhe kaufen, um noch Freude zu haben.Das wäre eine klassische Toleranzentwicklung. Oder beim Alkoholiker,der mit drei Bier pro Tag anfängt, und dann bei 15 pro Tag landet: Dassind Phänomene, die es bei jeder Suchterkrankung gibt und die sich auchneurobiologisch sehr ähnlich sind. Darüber hinaus gibt es Kriterien, diesich unterscheiden. Ein beim Glücksspiel sehr spezifisches Merkmal istdas „magische Denken“, also, zu glauben, dass ich genau weiß, wann ichgewinnen werde: „Bei der nächsten Münze, die ich in den Automatenwerfe, gewinne ich ganz sicher.“ Das gibt es bei der Heroinsucht oder beider Alkoholabhängigkeit nicht. Auch bei der Kaufsucht gibt es Faktoren,die nicht mit anderen Suchterkrankungen vergleichbar sind. Aber dasWesen der Sucht ist an sich sehr ähnlich. Treten bei der Kaufsucht auch Suchtverschiebungen zu anderen Abhängigkeiten auf? Das Phänomen von Suchtverschiebungen gibt es innerhalb aller Sucht-erkrankungen, da dieselben Neurotransmittersysteme betroffen sind. Wirbeobachten das zum Beispiel bei vielen Glücksspielern, die sagen: „Wennich Geld am Anfang des Monats habe, dann spiele ich Glücksspiele undwenn mir das Geld ausgeht, dann kiffe ich das restliche Monat. Das kostet mich nichts, weil ich mir das Cannabis selbstanpflanze.“ Auf beides zu verzichten geht nicht,beides gleichzeitig auszuüben braucht es aberauch  nicht.  Das  ist  eine  Suchtverschiebung.Entweder  ich  spiele  Glücksspiele,  dann  gehtmir  das  Kiffen  nicht  ab,  oder  ich  konsumiereCannabis, dann geht mir das Glücksspiel nichtso  ab.  Solche  Phänomene  gibt  es  auch  zwi-schen substanzgebundenen und substanzun-gebundenen Süchten. Bei der Kaufsucht kenneich keine speziellen Suchtverschiebungen, aberjene Sucht, die am häufigsten co-morbid mitanderen Suchterkrankungen vorkommt, ist si-cher die Nikotinabhängigkeit. Die Folgen einer ausgeprägten Kaufsucht könnenverheerend sein. Verhält es sich hier ähnlich wie bei der Glücksspielsucht oder wie bei alkoholkranken Menschen, dass es oft sehrlange dauert, bis eine gewisse Einsicht bei den Betroffenen vorliegt und sie be-reit sind für eine Beratung bzw. eine Therapie? Da bin ich mir ganz sicher, weil es bei allen Süchten so ist. Wir haben hierim Haus ja auch eine der größten Drogenambulanzen Österreichs unddie Leute kommen meist erst nach einer langen Leidensgeschichte zuuns. Wir haben kaum Leute, die rechtzeitig, also in einem frühen Erkran-kungsstadium, gekommen sind. Am ehesten ist das noch bei den Inter-netsüchtigen der Fall, weil es da zum Teil schon sehr vorsichtige Elterngibt, die frühzeitig mit den Kindern zu uns kommen. Aber auch hier istdie überwiegende Anzahl der Patienten schwerkrank. Vielleicht ist die Tat-sache, dass wir ein Krankenhaus sind, auch eine höhere Hürde. Vielleichtbraucht es auch den langen, schweren Krankheitsverlauf für die Problem-einsicht. Die Kaufsüchtigen, die bisher zu uns gekommen sind, waren jene, die wirklich schwer krank und auch schwer verschuldet waren. Indiesen Fällen brennt meistens schon der Hut, da ist kein Geld mehr fürdas normale Leben übrig, da sind alle Ersparnisse verloren gegangen.Das ist natürlich dramatisch, weil es zu vielen unangenehmen Situationenkommt: Scheidungen, familiäre Zerwürfnisse, mitunter auch zu Beschaf-fungskriminalität. Wie verläuft in der Regel eine Therapie von Kaufsucht und wie stehen die Erfolgschancen? Zunächst geht es einmal darum, zu klären, ob ein Bewusstsein für dasProblem vorhanden ist. Das ist ja nicht immer der Fall. Dieses Bewusst-sein versuchen wir mit den Patienten gemeinsam zu erarbeiten. Das wäreeinmal der erste große Schritt. Wenn die Einsicht und in der Folge auchdie Motivation für eine Therapie vorhanden sind, dann ist schon sehr vielpassiert. Die restliche Therapie verläuft dann in der Regel sehr gut. DennSuchttherapie bedeutet vielfach die Lebensweise ein Stück weit zu än-dern, vielleicht sogar ein großes Stück weit. In einem weiteren Schrittgeht es um die Verhaltensanalyse von Rückfällen. Die Betroffenen neh-men sich oft vor, nicht mehr oder weniger einzukaufen. Das gelingt ihnenaber aufgrund des Kontrollverlusts über die Suchterkrankung nicht. Damuss man beobachten, wie es zu solchen Situationen kommt. Was pas-siert  in  mir  –  emotional  und  gedanklich  – bevor  ich  zum  Einkaufenkomme? Viele haben das Gefühl, sie können das nicht steuern, es über-kommt sie. Das ist ja beim Alkohol auch so. Danach wird gemeinsam er-arbeitet, wie man Situationen vermeiden kann, in denen dieses zwang-hafte Gefühl auftreten kann. Wie kann ich vermeiden, an Orte zu gehen,wo das passieren kann? Beim pathologischen Kaufen ist das natürlich be-sonders gemein, weil ich nicht sagen kann, dass ich nie mehr in meinemLeben einkaufe gehe. Dennoch: Wenn ich zum Beispiel immer etwas Spe-zielles kaufe, wie Schuhe oder Möbel usw., dann kann ich schon vermei-den, zum Beispiel in ein Möbelhaus zu gehen. Derzeit ist viel von einer anderen „Verhaltenssucht“ zu lesen und zu hören: demexzessiven Computerspielen. Die „Gaming Disorder“ wurde in die vorläufige Ver-sion des neuen ICD11-Katalog der WHO aufgenommen. Hier gibt es nicht nur Be-fürworter, sondern auch kritische Stimmen, die vor einer Stigmatisierung vonComputerspielern warnen. Wie beurteilen Sie die Diskussion darüber? Der ICD 11 ist ja noch nicht veröffentlicht, sondern noch in Begutachtung,aber es scheint so, dass das Internetspiel künftig eine Diagnose sein wird.Das begrüße ich grundsätzlich. Besser wäre aber eine Differenzierung,die auch das weibliche Geschlecht miteinbezieht. Denn die „Gaming Dis-order“ betrifft fast nur junge Männer, obwohl wahrscheinlich gleich vielejunge Frauen von Internetsucht betroffen sind. Die halten sich aber eherin Online-Foren auf, die aber im ICD nicht abgebildet werden. Diese Dif-ferenzierung wäre sowohl für die Prävention als auch für die Behandlungsinnvoll. Denn erst wenn die Diagnose im ICD 11 drinnen ist, müssen dieKassen für die Behandlung aufkommen.  Die Sorge dabei ist, dass man durch Diagnosen auch ein mehr oder we-niger normales Verhalten als Erkrankung etikettiert. Diese Sorge versteheich, aber das sollte nicht dazu führen, dem Kind keinen Namen zu geben.Denn es ist ja nicht so, dass es kein Problem gäbe. Wir wissen, dass esviele Menschen gibt, vor allem junge Menschen, die durch das Internetihr Leben ruinieren, weil sie aus jeglicher Schulausbildung, Lehrlingsaus-bildung, aus ihrem echten (Offline-)Freundeskreis herausfallen, die sichnur mehr im Zimmer einsperren und sich dabei alle Wertigkeiten in Rich-tung  Computerspiel  verschieben.  Daher  muss  man  dem  Kind  einenNamen geben und am ehesten passt hier der Begriff Suchterkrankung. Sinnvoll wäre meines Erachtens eine Definition wie im amerikanischenDSM V, wo es keinen klaren Cut-Off zwischen gesund und krank gibt, son-dern  wo  bei  allen  Suchterkrankungen  Abstufungen  zwischen  milden,mittleren und schweren Störungen vorgenommen werden. Die Spielsuchtambulanz feiert nächstes Jahr ihr 10-jähriges Bestehen. Wie hat sich das Angebot seit der Gründung entwickelt? Was hat sich verändert,was ist gleichgeblieben, was sind die derzeit aktuellsten Themen? Wir haben von Jahr zu Jahr mehr Kontakte, derzeit sind es etwa 1400 proJahr, wobei wir in den letzten Jahren eine gewisse Plateauphase erreichthaben, aber es gibt nach wie vor einen Anstieg. Wir leben größtenteilsvon Spenden der Glücksspielindustrie. Die größte Gruppe, die wir behan-deln, sind auch nach wie vor die Glücksspieler. Der Anteil der Internet-süchtigen ist aber stark angestiegen, vor allem die Gruppe der internet-süchtigen Jugendlichen. Es kommen jetzt auch mehr Online-Glücksspie-ler zu uns, darunter viele Wettsportsüchtige, die Online-Wettsport betrei-ben. Insgesamt ist auch die Behandlungskapazität gestiegen. Begonnenhaben wir mit einer Gruppe für Glücksspieler, mittlerweile haben wir aucheine Gruppe für Internetsüchtige und eine für Eltern und Angehörige vonInternetsüchtigen. Prim. Dr. Kurosch Yazdi ist Facharzt fürPsychiatrie  und  psychotherapeutischeMedizin und leitet die Klinik für Psychia-trie mit Schwerpunkt Suchtmedizin so-wie  das  Klinikzentrum  Psychiatrie  amKepler Universitätsklinikum in Linz. Kurosch Yazdi ist zudem Vorstandsvorsit-zender von pro mente OÖ und Leiter derAmbulanz für Spielsucht, einem Angebotvon pro mente OÖ am Kepler Universi-tätsklinikum in Linz. 3


„Ich kaufe, also bin ich.“: Die nach dem bekannten Grundsatz „Cogitoergo sum“ („Ich denke, also bin ich.“) des Philosophen René Descartes(1596-1650) abgewandelte Formulierung bringt eine aktuelle Lebensphi-losophie auf den Punkt. Wir leben in einer „Konsumgesellschaft“, undwir konsumieren so viel wie nie zuvor. Dabei geht es längst nicht mehrum die reine Abdeckung des Notwendigen. Längst wird der Konsum als„Einkaufserlebnis“ verkauft und das „Shoppen“ vielfach nicht mehr alsKaufakt an sich wahrgenommen. Die Autoren der jüngsten AK-Kaufsucht-studie in Österreich beschreiben, dass der „Konsum als Privatsache er-achtet“ wird und „Menschen ein Gefühl individueller Freiheit verleihenkann, sofern es die individuelle Kaufkraft zulässt.“ 1 Der Konsum erfülle somit auch soziale Zwecke, indem er zur Identitätsgewinnung, zur Iden-tifikation oder auch Abgrenzung von anderen dient. „Der Konsum hat eine bislang nie erreichte Aufwertung erfahren. Im Rah-men dieses kontinuierlich stattfindenden, von Wirtschaft und Staat glei-chermaßen moderierten Aufwertungsprozesses, wurde das Kaufen, auchdas  übermäßige  und  unangepasste  Kaufen,  zuerst  in  die  Nähe  einerNorm, dann in die Nähe einer patriotischen Pflicht gerückt.“ 2 , so beschrie- ben Gerhard Raab und Michael Neuner bereits vor zehn Jahren die Ent-wicklung und Bedeutung des Faktors Kaufen in unserer postmodernenKonsumgesellschaft, die durch ihre große Anzahl an erwerbbaren, stan-dardisierten Produkten charakterisiert ist, die von verhältnismäßig weni-gen,  aber  marktbeherrschenden  Konzernen  angeboten  werden.  BeideAutoren waren in der Forschungsgruppe Kaufsucht der Universität Hohen-heim maßgeblich an der Entwicklung des „Screeningverfahrens zur Er-hebung von kompensatorischem und süchtigem Kaufverhalten (SKSK)“,auch bekannt unter der Bezeichnung „Hohenheimer Kaufsuchtindikator“(siehe Seite 6) beteiligt. Kaufen als Freizeiterlebnis Trotzdem oder gerade deshalb stellt das „Shoppen“ eine beliebte Frei-zeitbeschäftigung dar. Immerhin geht in Österreich fast jede/r Dritte dieserAktivität regelmäßig nach. Wissenschaftlich geht das aus dem „Freizeit-monitor“ hervor, einer seit dem Jahr 2001 kontinuierlich veröffentlichtenrepräsentativen Untersuchung des Instituts für Freizeit- und Tourismus-forschung. Die Tendenz, regelmäßig einen Einkaufs- bzw. Schaufenster-bummel  zu  machen,  ist  jedoch  rückläufig.  Gaben  im  Erhebungsjahr2005/06 noch 40 % der Österreicher/innen an, regelmäßig einen Einkaufs-bummel zu machen, waren es bei der letzten Erhebung im Jahr 2018 nurmehr 28 %, was einem Rückgang von 30 % entspricht. 3 Die Ursachen für den  Rückgang  wurden  in  der  IFT-Untersuchung  zwar  nicht  erforscht,wenn man sich jedoch die zeitgleiche Entwicklung des Online-Handelsansieht, liegt die Vermutung nahe, dass nicht das Shoppen an sich denReiz verliert, sondern, dass sich die Art und Weise verändert, wie wir ein-kaufen. Denn der Online-Einzelhandel hat vor allem in den vergangenenfünf  Jahren  stark  zugelegt.  So  wurden  im  EU-Durchschnitt  jährlicheWachstumsraten von mehr als neun Prozent registriert 4 und laut einer von der Wirtschaftskammer in Auftrag gegebenen Studie kauften im Jahr2017 rund 4,1 Millionen Österreicher/innen (Altersgruppe 16-  bis 74 Jäh-rige) online ein und gaben dafür im Durchschnitt pro Jahr 1.700 Euro, inSumme also rund 7 Milliarden Euro aus. 5  Die Schattenseiten der Konsumgesellschaft Der steigende Konsum hat jedoch auch seine Schattenseiten. So gilt lautjüngeren Untersuchungen etwa jede/r Vierte in Österreich als kaufsucht-gefährdet. 5 bis 8 Prozent werden als „stark kaufsuchtgefährdet“, also defacto kaufsüchtig eingestuft. Die Folgen sind oft verheerend. Sie reichenvon Verschuldung über negative Gefühle (Scham, Reue, usw.), Familien-und  Beziehungsproblemen  bis  zu  strafbaren  Handlungen  zur  Geldbe-schaffung. Das öffentliche Interesse an der Kaufsucht ist jedoch trotz derrelativ hohen Anzahl an Betroffenen erstaunlich gering. Zu still ist dieSucht, die medizinisch als solche noch gar nicht klassifiziert ist. Zu großdie Scham, zu selbstverständlich, unauffällig und angepasst das Verhal-ten. Dass die Probleme in Zusammenhang mit Kaufsucht weniger werdenist nicht absehbar, vor allem in Zeiten, in denen das Internet praktisch injedem Haushalt rund um die Uhr verfügbar ist. So bestätigen auch dieErgebnisse der letzten AK Kaufsuchtstudie aus dem Jahr 2017, „dass Per-sonen, die ein kaufsuchtgefährdendes Verhalten aufweisen, im Internetleichter verführt werden als Personen, die ein normales Kaufverhaltenbesitzen.“ Demnach surft jede fünfte Person mit einer Kaufsuchttendenzauf Shopping-Seiten, ohne etwas Bestimmtes zu benötigen, im Gegensatzdazu tun dies nur 3 % der Personen mit einem normalen Kaufverhalten. 6 Es sind jedoch bei weitem nicht immer nur pathologische Käuferinnenund Käufer, deren Kaufverhalten – zumindest phasenweise – intuitiv undspontan und somit mehr oder weniger außerhalb unserer Impulskontrollegestaltet ist. Gerhard Raab erwähnt, dass etwa 40 bis 50 Prozent unserer Neben individuellen Faktoren spielen bei der Entstehung vonproblematischen Verhaltensweisen auch Umwelteinflüsse einewichtige Rolle. Welchen Einfluss strukturelle Faktoren auf dieEntstehung einer Kaufsucht haben, ist nicht immer eindeutigdefinierbar. In Zeiten, in denen laut darüber nachgedacht wird,das Wirtschaftswachstum als Staatsziel in der Verfassung zuverankern, besteht jedoch wohl wenig Zweifel darüber, dass wirin einer Gesellschaft leben, in der Konsumieren nicht nur eineNotwendigkeit darstellt, sondern fast schon zu einer Bürger-pflicht erhoben wird. Die Schattenseiten des erwünschten Kon-sums bleiben aber meist aus persönlicher Scham im Verborge-nen.  Die  Kaufsucht,  das  pathologische  Kaufen,  ist  eine  stilleSucht, die vielfach erst in einem Stadium zu Tage tritt, in demfür die Betroffenen und ihre Angehörigen bereits ein großer Lei-densdruck entstanden ist und in dem meist schon viel mehr ver-loren gegangen ist als das Interesse an den gekauften Produkten. im Zeitalter des Konsums KAUFSUCHT 4 D o t. ti  /  p h o to ca se .d e


Einkäufe impulsive bzw. unkontrollierte Käufe seien. 7 Ein weiteres Indiz, dass unser Konsumverhalten zu großen sozialen Problemen führen kann,ist die Entwicklung der Konsumschulden. Diese haben in Österreich in derVergangenheit deutlich zugelegt. Laut einer im Vorjahr durchgeführtenUmfrage gab jeder zweite Befragte an, privat verschuldet zu sein. 22 %der Österreicher haben demnach einen Konsumkredit. Der Rest setzt sichaus Schulden bei Familie oder Freunden, Kreditkartenschulden und Händ-lerkrediten zusammen. Letztere belaufen sich auf immerhin 5 %, Tendenzsteigend. 8 Angestiegen ist auch die Anzahl der Privatkonkurse in Öster- reich, die im Jahr 2018 erstmals die 10.000er-Marke überschritten hat. 9 Beschleunigung als Bumerang Eine der Ursachen für diese Entwicklung könnte – sozialwissenschaftlichbetrachtet – das gesellschaftspolitische Phänomen der „Beschleunigungund Entfremdung“ sein, zumindest bezeichnet dies der deutsche Sozio-loge Hartmut Rosa in seiner gleichnamigen Veröffentlichung aus demJahr 2013 so. Rosa unterscheidet dabei zwischen der technischen Be-schleunigung,  der  Beschleunigung  des  sozialen  Wandels  und  der  Be-schleunigung des Lebenstempos. 10 Die technische Beschleunigung zeige sich dabei laut Rosa vor allem im digitalen Sektor, wirke sich aber indirektauf unser Lebenstempo aus. Dabei entstehe ein paradoxer Effekt. Denndie technische Beschleunigung führe nicht dazu, dass der Einzelne mehrZeit zur Verfügung hat, weil er für einzelne Tätigkeiten weniger Zeit be-nötigt, sondern das Gegenteil tritt ein: Die Menschen leiden unter Zeit-knappheit, weil möglichst viele Optionen realisiert werden wollen, aus„jener unendlichen Palette der Möglichkeiten, die die Welt uns eröffnet". 11 Das  Leben  auszukosten  werde  zum  zentralen  Streben  des  modernenMenschen - ein Erfahrungshunger, der allerdings nicht gestillt werdenkönne: „Ganz egal, wie schnell wir werden, das Verhältnis der gemachtenErfahrungen zu denjenigen, die wir verpasst haben, wird nicht größer,sondern konstant kleiner". Dazu kommt, so Rosa, dass Depressionen undBurnout stark zugenommen hätten. Die zunehmende Beschleunigung dessozialen Wandels habe auch gesamtgesellschaftlich zu einer rasanten Ver-änderung von Werten, Lebensstilen und Beziehungen geführt, letztlich zueiner Welt, in der sich viele Menschen nicht mehr zurechtfinden. 12  „Gesellschaftlich und kulturell besteht der Anspruch, auf allen Ebenenein erfülltes Leben zu führen", wird Karl Kollmann, der unter anderem fürdie österreichische Arbeiterkammer zum Thema Kaufsucht geforscht hat,im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ zitiert. 13 Das erzeuge Druck, für den viele Menschen einen Ausgleich suchen. Nach einem stressigen Arbeits-tag etwa belohnen sie sich mit dem Kauf eines neuen Pullovers. Der Kon-sum  sei  die  simpelste  Medizin,  um  Frustration  aus  dem  Alltag  zukompensieren, erklärt Kollmann: „Ich entschädige mich dafür, indem ichmir etwas kaufe, das mir gefällt.“ Das sei an sich noch kein Problem, beiMenschen mit Kaufsucht verselbstständige sich dieser Mechanismus je-doch. Oder: „Aus einem „Liking“ wird ein „Wanting“ – wie Astrid Müller,eine der renommiertesten deutschsprachigen Expertinnen zum ThemaKaufsucht, es im „Spiegel“ formulierte. 14 Und weiter: „Dann macht Kaufen keinen Spaß mehr, es befriedigt nur noch einen Drang – und vertreibtLangeweile.“ 15 Denn die Kaufhandlungen bei kaufsüchtigen Menschen dienen in erster Linie der Emotionsregulation und nicht dem nachhaltigenKonsum, der Bereicherung oder dem gewinnbringenden Wiederverkauf“.Das bestätigen übrigens auch die praktischen Erfahrungen von KatharinaMalzner und Wulf Struck von der Schuldnerhilfe OÖ, die in ihren Bera-tungsgesprächen mit kaufsuchtgefährdeten Menschen oft auf das Motivder Langeweile stoßen (siehe S.10).  Nur wenige Hilfsangebote Der Vielzahl an gesellschaftlichen Faktoren, die problematisches oder pa-thologisches Kaufen begünstigen, steht auf struktureller Ebene eine sehrbescheidene  Anzahl  an  Hilfeangeboten  gegenüber.  Das  ist  sowohl  inÖsterreich als auch in Deutschland der Fall: „Die Versorgungslage ist mi-serabel.“, wird Astrid Müller im „Spiegel“ zur Lage in Deutschland zitiert.Laut der Expertin sollten Kaufsüchtige idealerweise in kleinen Gruppentherapiert werden, um sich auch gegenseitig zu coachen. Ein großes Pro-blem dabei ist, dass Kaufsüchtige meist erst in einem kritischen StadiumHilfe suchen. „Die meisten kaufsüchtigen Patienten begeben sich erst inTherapie, wenn sie wegen der immensen kaufsuchtbedingten Verschul-dung nicht mehr ein noch aus wissen, sie von ihren Familienangehörigenoder Freunden darum gebeten wurden oder ihnen ihr Anwalt dazu gera-ten hat. Manchmal besteht auch eine gerichtlich verordnete Therapieauf-lage.  Dies  ist  der  Fall,  wenn  zur  Befriedigung  des  Kaufdrangs  bereitsStraftaten begangen worden sind und Anzeigen wegen Vortäuschen von Zahlungsunfähigkeit, Veruntreuung o.Ä. vorliegen.“, beschreibt Müller ineiner ihrer Publikationen 16 den Leidensdruck ihrer Patientinnen und Pa- tienten zum Thema Kaufsucht. Ein Phänomen, das auch Kurosch Yazdi,Leiter der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin sowie desKlinikzentrums Psychiatrie am Kepler Universitätsklinikum in Linz, bestä-tigt: „Die Kaufsüchtigen, die bisher zu uns gekommen sind, waren jene,die wirklich schwer krank und auch schwer verschuldet waren. In diesenFällen brennt meistens schon der Hut, da ist kein Geld mehr für das nor-male Leben übrig, da sind alle Ersparnisse verloren gegangen. Das ist na-türlich dramatisch, weil es zu vielen unangenehmen Situationen kommt:Scheidungen, familiäre Zerwürfnisse, mitunter auch zu Beschaffungskri-minalität.“ (siehe Seite 3) In Oberösterreich gibt es erfreulicherweise mitder Ambulanz für Spielsucht von pro mente Oberösterreich sowie denBeratungsstellen der Schuldnerhilfe OÖ und der OÖ Schuldnerberatungzumindest drei kostenlose Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige.Diese Anlaufstellen können helfen, sowohl im Vorfeld mögliche Problemeabzuklären bzw. im Bedarfsfall auch entsprechende Behandlungsmög-lichkeiten anzubieten bzw. weiterzuvermitteln. Prävention von Kaufsucht Was aber bedeutet dieses Gemenge aus strukturellen und individuellenFaktoren für die Prävention von Kaufsucht? Fakt ist: Umweltfaktoren las-sen sich meist nicht völlig ausblenden. Dazu zählt bei der Kaufsucht natür-lich unsere Konsumgesellschaft mit ihren ständig verfügbaren Angeboten.Beim problematischen oder süchtigen Kaufverhalten kommt erschwe-rend  dazu,  dass  diese  Verhaltenssucht  nicht  abstinent  gelebt  werdenkann, da der Einkauf von Lebensmitteln oder anderen Produkten für dentäglichen Bedarf notwendig ist. Gesetzliche Einschränkungen, wie etwadie  Beschränkung  von  Öffnungszeiten,  die  Verschärfung  von  Jugend-schutzgesetzen etc. sind zwar grundsätzlich möglich, dauern aber langein der Umsetzung und sind auch nicht immer erwünscht. Zudem lösensie  das  Problem  der  24/7-Verfügbarkeit  im  Online-Bereich  auch  nicht.Daher konzentrieren sich viele Präventionsansätze auf die individuelleEbene. Hier ist es  von Bedeutung, dass Prävention und Gesundheitsför-derung nicht nur dazu beitragen, persönliches Problem- und Fehlverhal-ten zu verhindern, sondern auch die jeweiligen Bewältigungsressourcenzu fördern, zu aktivieren und zu stärken.  Eine wesentliche Aufgabenstellung in diesem Zusammenhang ist die Ent-wicklung von persönlichen Schutzfaktoren sowie die Minimierung vonRisikofaktoren. Müller zählt zu den wichtigsten Risikofaktoren der Kauf-sucht unter anderem Depression, soziale Ängste und damit verbundeneSelbstwertprobleme sowie Selbstunsicherheit, Defizite in der Selbstkon-trolle, eine materielle Wertorientierung, negative Lebensereignisse, biolo-gische aber auch Umweltfaktoren, wie etwa Anreize aus dem Marketing. 17 Demgegenüber stellt in diesem Zusammenhang eines der bewährtestenund auch am besten untersuchten präventiven Modelle der Life-Skills-Ansatz dar. Lebenskompetenz-Programme kommen in unterschiedlichenPräventionsbereichen wie Sucht, Gewalt, Suizid usw. zum Einsatz. DasErlernen von sozialen und persönlichen Fähigkeiten sind wichtige Schutz-faktoren,  die  vor  der  Ausbildung  problematischer  Verhaltensweisenschützen. Dazu zählen beispielsweise der Umgang mit Gefühlen, Genuss-fähigkeit oder der Aufbau eines stabilen, positiven Selbstwertgefühls. Un-terschiedliche Praxisprojekte haben den „Life-Skills-Ansatz“ aufgegriffen,ihn modifiziert und erweitert. Ein Beispiel ist das vom Institut Suchtprä-vention angebotene Unterrichts-Programm „Plus“ (Sekundarstufe I), beidem auch substanzunspezifische Themenbereiche, wie der Umgang mitStress und Belastungen oder die Förderung sozialer Kompetenzen aufdem Programm stehen. Beim Thema Kaufsuchtprävention sind also einerseits die Stärkung vonLebenskompetenzen, die sich allgemein positiv auf die persönliche Ent-wicklung auswirken gefragt, aber auch konkrete Wissensvermittlung inden Bereichen Finanzkompetenz und Schuldenprävention. So geht es beider Kaufsuchtprävention im Kindes- und Jugendalter neben der Vermitt-lung  aktiver  Bewältigungsstrategien  natürlichauch um konkrete „Geldwirtschaftserziehung“,wie das Erlernen von Selbstkontrolle in finanziel-len Angelegenheiten, wie zum Beispiel das Erhal-ten  eines  wöchentlichen  Taschengeldes.  Vonbesonderer  Bedeutung  ist  dabei  natürlich  auchdie Werthaltung der Eltern, die auch die ehrlicheReflexion des eigenen Konsumverhaltens als Er-ziehende sowie das Hinterfragen von Werbebot-schaften, Medieninhalten, Gruppenzwang zu Mar-kenprodukten usw. ermöglicht. 1   Nina Tröger, Kaufsucht in Österreich, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien 2017, S.6   2 Gerhard Raab, Michael Neuner, Kaufsucht als nichtstoffgebundene Abhängigkeit entwickelter Konsumgesellschaften. Wesen, Entwicklungstendenzen und Forschungsperspektiven, in: Dominik Batthyány, Alfred Prinz, Rausch ohne Drogen, Substanzungebundene Süchte, Wien, 2009, S.95 3  PeterZellmann, SonjaMayrhofer, IFT - Institut für Freizeit-und Tou-rismusforschung, Forschungstelegramm 1/2018, Wien, 2018 4 https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5572361/Onlinehandel_Oesterreich-kann-mit-anderen-EULaendern-nicht-mithalten  5 Internet-Einzelhandel 2018,https://www.wko.at/branchen/handel/internet-einzelhandel-2018.html  6 Tröger, 2017, S.13 7 6. Hannöverscher Suchthilfetag 2011, Vortrag Prof. Dr. Gerhard Raab, FH Ludwigshafen, Unkontrolliertes und „süchtiges“ Kaufverhalten8  https://diepresse.com/home/wirtschaft/boerse/5415916/Jeder-zweite-Oesterreicher-hat-Konsumschulden  9  www.ksv.at/Insolvenzstatistik_Private_2018_final.pdf  10, 11, 12 Sebastian Hammelehle, Beschleunigung – Das alles be- herrschende Monster, Spiegel-Online, 2013, www.spiegel.de/kultur/literatur/hartmut-rosa-beschleunigung-und-entfremdung-a-908140 13 Daniela Schumacher, Teresa Nauber, Kaufen ohne Kontrolle, Wenn Shoppen zur Sucht wird,Spiegel-Online, 2017 14 Schumacher, Nauber, 2017  15 Schumacher, Nauber, 2017  16,17 Astrid Müller, Klaus Wölfling, Kai W. Müller, Verhaltenssüchte – Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht, 2018 S. 42 „Der Konsum ist die simpelste Medizin,  um Frustration aus dem Alltag zu kompensieren.“ Kollmann 5 .lu / photocase.de Günther Ganhör


Das Phänomen Kaufsucht ist keinesfalls so neu wie man vielleicht an-nehmen könnte. Bereits im Jahr 1909 beschrieb der deutsche PsychiaterEmil Kraeplin „die krankhafte Kauflust, die den Kranken veranlasst, so-bald sich ihm dazu Gelegenheit bietet, ohne jedes wirkliche Bedürfnis ingroßen Mengen einzukaufen“. Er wählte dafür den Begriff  „Oniomanie“, ein Kompositum aus den griechischen Wörtern onios (käuflich, kaufen)und maní  (ausgeprägte Leidenschaft, Trieb, Zwang). Definition und Merkmale Unter Kaufsucht wird meist das in Anfällen auftretende, impulsive undexzessive Kaufen von Konsumgütern und Dienstleistungen verstanden.Das Kaufen dient dabei weniger seinem eigentlichen Sinn, also dem Er-werb von Gütern oder Dienstleistungen, sondern vielmehr dem Kaufenselbst bzw. den dadurch herbeigeführten positiven Gefühlen (Stimmungs-aufhellung, positiver Kick). Ein weiteres, wesentliches Merkmal der Kauf-sucht ist ihre Unscheinbarkeit. Das Suchthafte bleibt oft lange Zeit un-erkannt – sowohl von den Süchtigen selbst, die sich ihre Abhängigkeitnicht eingestehen möchten, als auch vom sozialen Umfeld, das die Kauf-aktivitäten der Süchtigen zunächst eher anerkennt als kritisch kommen-tiert. 1 Denn im Gegensatz zu anderen Suchtformen ist das Kaufen gesell- schaftlich gebilligt, ja sogar erwünscht. Man hat zunächst kein schlechtesGewissen, „sich etwas zu gönnen“. Dazu kommt, dass Kaufen die Persön-lichkeit nicht verändert, wie es besonders bei stoffgebundenen Süchten,z.B. der Alkoholabhängigkeit, der Fall ist. Geldprobleme können kurzfris-tig mit der Überziehung des Kontos, dem Aufnehmen eines Kredits oderdem Auflösen von Sparbüchern versteckt werden. Kreditkarten erleich-tern dies noch. Häufig tritt die Kaufsucht auch abwechselnd oder gleich-zeitig mit anderen Süchten auf. Medizinisch wird die Kaufsucht in dengängigen  Diagnosekriterien  nicht  als  Suchterkrankung,  sondern  als „Störung der Impulskontrolle“ eingeordnet. Neben der weitgehenden gesellschaftlichen Akzeptanz ist ein weitererGrund für diese Einstufung, dass es vor allem im englischen Sprachraumeine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen für Kaufsucht gibt. Amgängigsten ist hier der Begriff  „Compulsive Buying“, aber auch die Be- zeichnungen  „Pathological Buying“, „Shopping Addiction“ oder „Buying Dis- order“ sind in der einschlägigen Literatur zu finden. Laut der deutschenPsychologin Astrid Müller (Medizinische Hochschule Hannover), die sichbereits in mehreren wissenschafltichen Publikationen mit dem Phäno-men der Kaufsucht auseinandergesetzt hat, „spiegeln diese unterschied-lichen Bezeichnungen im englischsprachigen Raum auch die verschie-denen theoretischen Ansätze und die bisherige Unsicherheit bezüglichder korrekten Einordnung von pathologischem Kaufen wider“. So gingenviele Autoren lange Zeit davon aus, dass es sich um eine Zwangsstörunghandelt. In letzter Zeit wird laut Müller vermehrt auf die Ähnlichkeitenmit substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen (z.B. Alkoholab-hängigkeit) Bezug genommen, da typische Muster auch bei Patientenmit pathologischem Kaufen nachweisbar sind. 2 Eine Kaufsucht entsteht nicht von heute auf morgen, sie entwickelt sich.Jene Phase, die sich in diesem Entwicklungsprozess zwischen unauffäl-ligem und süchtigem Kaufverhalten befindet, ist das so genannte „kom-pensatorische Kaufverhalten“. Dazu zählen die häufig als  „Frustkäufe“ bezeichneten Vorgänge. Frustkäufe haben die Funktion über unange-nehme oder belastende Stimmungen hinwegzuhelfen. Von süchtigemVerhalten spricht man, wenn mehrere Suchtkriterien (siehe rechts oben)klar ausgeprägt sind. Zudem erfolgt trotz des Auftretens negativer Folgen(z.B. Verschuldung) eine Fortsetzung des Verhaltens.  Screeningverfahren Im deutschsprachigen Raum hat sich als Basis zur Erhebung von Kauf-sucht das „Screeningverfahren zur Erhebung von kompensatorischemund süchtigem Kaufverhalten (SKSK)“, auch bekannt als  „Hohenheimer Kaufsuchtindikator“ durchgesetzt. Der SKSK wurde nach einigen Vorstu-dien bereits 1991 in einer großen Untersuchung eingesetzt, die Normie-rung erfolgte jedoch erst in einer Repräsentativerhebung 2001. Das SKSKist  an  die  „Compulsive  Buying  Measurement  Scale“  angelehnt  undwurde in älteren Artikeln als  „Hohenheimer Kaufsuchttest“ bezeichnet. 3 Das Verfahren basiert auf der Definition der Kaufsucht als stoffunge-bunde Sucht (vgl. Spielsucht, Arbeitssucht), die von den Autoren wiefolgt definiert wird: •  ein unwiderstehlicher Drang, der stärker als der eigene Wille erfahren wird • eine Abhängigkeit vom Kaufen bis zum Verlust der Selbstkontrolle,    mit Einengung der Interessen auf das Kaufen; das Kaufen bleibt als  einziges Befriedigungsmittel; soziale Isolation und Überschuldung als   mittel- und langfristige Folgen • Tendenz zur Dosissteigerung: häufigere und teurere Einkäufe • Entzugserscheinungen: innere Unruhe und Unwohlsein, psychosoma-   tische Erkrankungen, Selbstmordgedanken Als besonders problematisch an der Kaufsucht ist deren anfängliche Un-auffälligkeit zu sehen, die sowohl aus der sozialen und gesellschaftlichenAkzeptanz des Konsums als auch aus der Verleugnung der Problematikdurch  die  Betroffenen  resultiert.  Meist  führen  erst  schwerwiegende Konsequenzen (Verschuldung, familiäre und/oder psychische Folgen) zuDiagnose und Behandlung. 4 Der Hohenheimer Kaufsuchtindikator (German Addictive Buying Scale) inseiner Standardversion besteht aus 16 Fragen mit jeweils vierstufigerAntwortmöglichkeit (1 = „trifft nicht zu“ bis 4 = „trifft zu“). Daraus wirdein Summenscore (GABS-Score) gebildet, welcher über das Ausmaß derKaufsuchtgefährdung Auskunft gibt. Die Normierung dieser Skala wurdedurch Tests mit klinisch kaufsüchtigen Personen ermittelt. Der durchschnittliche Summenscore kaufsüchtiger Personen lag bei 45.Von diesem Wert aufwärts (maximaler Wert = 64) wird daher von einerstarken Kaufsuchtgefährdung (de facto kaufsüchtig) ausgegangen. Wertezwischen 32 und 44 Punkten werden einer deutlichen Kaufsuchtgefähr-dung zugeordnet und bedeuten ein ausgeprägt kompensatorisches Kauf-verhalten.  Bei den Einzelfragen des Screeningtests zur Kaufsuchtgefährdung (SKSK)wird denjenigen am meisten zugestimmt, die das  „Craving“, das Verlan- gen bzw. die Stärke des unmittelbaren Kaufimpulses abbilden. Etwa 30% der Befragten gaben bei folgenden Aussagen „trifft zu“ bzw. „triffteher zu“ an: „Manchmal sehe ich etwas und fühle einen unwiderstehli-chen Impuls, es zu kaufen.“ „Oft habe ich das Gefühl, dass ich etwas Be-stimmtes unbedingt haben muss.“     1.  Wenn ich Geld habe, dann muss ich es ausgeben.    2.  Wenn ich durch die Innenstadt oder durch ein Kaufhaus gehe,           fühle ich ein starkes Verlangen etwas zu kaufen.    3.  Oft verspüre ich einen unerklärlichen Drang, einen ganz plötzlichen,           dringenden Wunsch, loszugehen und irgendetwas zu kaufen.    4.  Manchmal sehe ich etwas und fühle einen unwiderstehlichen           Impuls etwas zu kaufen.    5.  Oft habe ich das Gefühl, dass ich etwas Bestimmtes unbedingt           haben muss.     6.  Nach dem Kauf frage ich mich oft, ob es wirklich so wichtig war.     7.  Ich kaufe oft etwas, nur weil es billig ist.    8.  Oft kaufe ich etwas, weil ich einfach Lust zum Kaufen habe.    9.  Werbebriefe finde ich interessant; Häufig bestelle ich auch etwas.  10.  Ich habe schon oft etwas gekauft, das ich dann nicht benutzt habe.   11.  Ich habe schon öfters etwas gekauft, das ich mir eigentlich           gar nicht leisten konnte.   12.  Ich bin verschwenderisch.   13.  Einkaufen ist für mich ein Weg, dem unerfreulichen Alltag          zu entkommen und mich zu entspannen.   14.  Manchmal merke ich, dass etwas in mir mich dazu getrieben hat,           einkaufen zu gehen.   15.  Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir          etwas gekauft habe.  16.  Oft traue ich mich nicht, gekaufte Sachen anderen zu zeigen,           weil man mich sonst für unvernünftig halten könnte.                                                             trifft nicht zu trifft zu DER HOHENHEIMER KAUFSUCHTINDIKATOR Screeningverfahren zur Erhebung von kompensatorischem und süchtigem Kaufverhalten (SKSK) KAUFSUCHT - FACTS 6 birdys / photocase.de


Verbreitung  Das Verhältnis von Frauen und Männern mit einem krankhaften Zwangeinzukaufen liegt laut deutschen Studien etwa bei 60 zu 40. Einer erst-mals 2004 veröffentlichten Studie der Arbeiterkammer zufolge, sind vorallem jüngere Frauen im Alter zwischen 14 und 24 gefährdet. Kaufsüch-tige kommen aus allen Bildungs- und Einkommensschichten, die meis-ten weisen eine mittlere bis höhere Bildung auf. Viele verfügen abernur über ein geringes Einkommen, was das süchtige Kaufen noch ver-hängnisvoller macht. Nicht selten kommt es zur völligen Überschul-dung.  Fast  immer  konzentrieren  sich  die  zwanghaften  Einkäufe  aufProdukte. Bei Frauen sind dies vor allem Kleidung, Schuhe, Schmuck,Haushaltsgeräte, Lebensmittel oder Bücher. Männer zieht es eher zuAutozubehör, technischen Geräten, Sportartikeln und Antiquitäten. Laut einer Metaanalyse sind ca. fünf Prozent der Erwachsenen kauf-suchtgefährdet, wobei Frauen häufiger gefährdet zu sein scheinen. 5 In westlichen Ländern gab es in den vergangenen Jahren eine Zunahmeder Kaufsuchttendenz, die möglicherweise aufgrund des wachsendenE-Commerce  und  den  gestiegenen  Möglichkeiten  des  Online-Shop-pings erklärbar ist, wobei es für diese These bislang keine empirischenUntersuchtungen gibt. Laut Müller fallen klinisch keine grundsätzlichenGeschlechterunterschiede auf. Lediglich hinsichtlich der Konsumgütergibt es – wie oben beschrieben – Unterscheidungsmerkmale. JüngerePersonen neigen eher zu pathologischem Kaufen als ältere Menschen.Die Annahme, dass pathologisches Kaufen eher vorrangig bei Menschenmit  niedrigem  Einkommen  oder  schlechter  Schulbildung  vorkommt,konnte bislang nicht bestätigt werden. Pathologisches Kaufen scheinteher unabhängig vom sozioökonomischen Status aufzutreten. 6  Komorbidität Aus den Forschungsarbeiten von Astrid Müller, aber auch aus anderenUntersuchungen zeigt sich, „dass pathologisches Kaufen bei Menschenmit psychischen Erkrankungen relativ häufig auftritt und dass nahezujeder 10. Patient, der sich in stationärer Psychotherapie oder stationärerpsychiatrischer  Behandlung  befindet,  unter  Symptomen  einer  Kauf-sucht leidet“. 7 Nicht selten leiden laut Müller Menschen, die sich auf- grund ihrer Kaufsucht in Therapie begeben, auch unter depressivenoder Angstsymptomen. Ein weiteres Problem sei die Anhäufung dergekauften Konsumgüter, von denen sich Menschen mit Kaufzwang trotzder meist seltenen oder nicht vorhandenen Nutzung nicht trennen kön-nen („zwanghaftes Horten“). Auch Binge Eating Störungen – der Kon-trollverlust beim Essen ohne kompensatorische Maßnahmen (Erbrechen,exzessiver Sport, Abführmittel) werden in diesem Zusammenhang ge-nannt. 8 Da sich viele wegen der kaufsuchtbedingten finanziellen Folge- probleme oft schämen und deswegen nicht von sich aus darüber be-richten, wird laut Müller „kaufsüchtiges Verhalten im klinischen Alltagleider oft übersehen oder bagatellisiert, was das Risiko für das Ausblei-ben einer angemessenen Behandlung erhöht“. 9 Kaufsucht in Österreich und Oberösterreich Die Arbeiterkammer Wien hat seit dem Jahr 2004 mehrere repräsenta-tive Studien zur Kaufsuchtgefährdung veröffentlicht. Die jüngste Unter-suchung  stammt  aus  dem  Jahr  2017  (Erhebungszeitraum  2016).Demnach ist jede vierte Person (24 %) ab 14 Jahren in Österreich kauf-suchtgefährdet, d.h. sie weist ein kompensatorisches oder pathologi-sches Verhalten auf. Der Anteil der rein kaufsüchtigen Personen liegtbei 11 %. 10 Betrachtet man die Entwicklung über einen längeren Zeit- raum,  so  unterliegt  die  Kaufsuchtgefährdung  aber  auch  stärkerenSchwankungen, wie die Autoren betonen. Ein stabil bleibender Wert ist jedoch die Geschlechterfrage. Wie auchin den früheren Erhebungen zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschiedzwischen Frauen und Männern. Frauen weisen deutlich höhere Anteilebei problematischem Kaufverhalten auf. Jede dritte Frau, jedoch nurjeder fünfte Mann hat Probleme beim Kaufverhalten. Insbesondere derAnteil der stark Süchtigen ist mit 14 % bei Frauen doppelt so hoch wiebei Männern. 11 Laut aktueller AK Studie sind etwa ein Viertel der Österreicher/innenkaufsuchtgefährdet, etwa jede/r Zehnte erfüllt auch Suchtkriterien. Im  „Drogenmonitoring Oberösterreich“, einer vom Institut Suchtpräven- tion alle 3 bis 5 Jahre durchgeführten, oberösterreichweiten repräsen-tativen Bevölkerungsbefragung, wurde dasselbe Erhebungsinstrumentverwendet wie in den AK Österreichstudien von Kollmann und Kautsch.In Oberösterreich stellte sich die Situation im Jahr 2015 ähnlich dar.Rund 28 % der Befragten fallen in die Gruppe der Kaufsuchtgefährdeten,etwa 5 % sind stark kaufsuchtgefährdet. In Oberösterreich sind also demnach 350.000 Personen von einer Kauf- suchtgefährdung betroffen. Eine Gruppe von 58.000 Personen kann als„stark kaufsuchtgefährdet“ bzw. als „kaufsüchtig“ eingestuft werden .  Kaufsucht ist dabei vor allem jung und weiblich.36,1 % der über 15-jäh-rigen Frauen gegen-über  20,8  %  der  Männer  können  als  kauf-suchtgefährdet gelten. Besonders die Grup-pe der 15- bis 30-jährigen Frauen sticht he-raus. Hier finden sich Werte zwischen 50 %und  59  %  Prozent  Anteil  an  kaufsuchtge-fährdeten  Frauen.  In  dieser  Altersgruppefinden sich zwischen 11 % und 20 % „starkkaufsuchtgefährdeter“ Frauen. Kaufsuchtgefährdung nach Geschlecht, österreichweit 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2016 25 % 24 % 32 % 32 % 42 % 28 % 30 % 27 % 28 % Kaufsuchtgefährdung – kompensatorisch und süchtig, österreichweit Ô normal       Ô kompensatorisch      Ô süchtig männlich weiblich gesamt 81 % 71 % 76% 12 % 15 % 13 % 7 % 14 % 11 % Kaufsuchtgefährdung in Oberösterreich 24 % 71,2 % 4 ,8 % Quelle: Bevölkerungsbefragung OÖ 2015,Institut Suchtprävention Ô keine Kaufsuchtgefährdung Ô kaufsuchtgefährdet Ô starke Kaufsuchtgefährdung KAUFSUCHT - FACTS 7 criene / photocase.de © bernardbodo/fotolia.com


15 – 19 Ja h re 2 0 – 2 4 Ja h re 2 5    – 2 9 Ja h re 3 0 – 3 9 Ja h re 4 0 – 4 9 Ja h re 5 0 – 5 9 Ja h re 6 0 Ja h re  u . ä lt e r g e sa m t Kaufsuchtgefährdung nach Geschlecht und Altersgruppen in Oberösterreich Ô kaufsuchtgefährdet       Ô starke Kaufsuchtgefährdung 34,7 % 15,0 % 15,9 % 17,6 % 24,7 % 9,2 % 18,0 % 36,8 % 39,2 % 38,9 % 25,7 % 33,3 % 31,2 % 21,6 % 29,2 % 7,0 % 7,9 % 20,9 % 1,0 % 4,1 % 15,0 % 2,8 % 15,8 % 19,6 % 6,9 % 11,1 % 4,9 % 4,3 % 2,8 % 8,6 % männlich  weiblich 15 – 19 Ja h re 2 0 – 2 4 Ja h re 2 5    – 2 9 Ja h re 3 0 – 3 9 Ja h re 4 0 – 4 9 Ja h re 5 0 – 5 9 Ja h re 6 0 Ja h re  u . ä lt e r g e sa m t KAUFSUCHT - FACTS Signifikante Zusammenhänge finden sich bei der Kaufsuchtge-fährdung neben dem Alter und Geschlecht der Befragten hin-sichtlich des Konsums von illegalen Substanzen und dem Statusdes Tabakkonsums. Zwischen Kaufsuchtgefährdung und Alko-holkonsum  ergibt  sich  hingegen  kein  relevanter  Zusammen-hang. Personen, die kürzlich eine illegale Substanz konsumierthaben, weisen gleichzeitig einen größeren Anteil an deutlicherund  starker  Kaufsuchtgefährdung  auf.  Nicht  ganz  drei  Viertel der Befragten ohne Kaufsuchtgefährdung deklarieren sich als „absolute Nichtraucher“. Bei den Kaufsuchtgefährdeten sind das56 %, bei den stark Kaufsuchtgefährdeten 53 %. 12 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass – trotz man-cher  Schwankungen  im  Zeitverlauf  –  im  Allgemeinen  mehrFrauen  als  Männer  vom  Phänomen  Kaufsucht  betroffen  seindürften. Das gilt für Oberösterreich genauso wie für österreich-weite  Erhebungen  bzw.  Erhebungen  im  deutschsprachigenRaum. Zu den Ursachen gibt es keinen eindeutigen Zusammen-hang. Raab und Neuner beschreiben das Phänomen wie folgt: „Frauen weisen nicht nur häufiger, sondern auch stärkere Ten-denzen zum kompensatorischen und süchtigen Kaufverhaltenauf als Männer. […] Dieser Geschlechterunterschied kann zahl-reiche  Gründe  haben.  Dazu  zählen  kulturelle  Normen,  rollen-und sozialisationsspezifische Aspekte, etwa dass Frauen mehrZeit in Geschäften verbringen und damit einer höheren Kauf-wahrscheinlichkeit ausgesetzt sind.“ 13  Zudem gab und gibt es eine zum Teil sehr kontroverse Diskus-sion,  ob  Verhaltenssüchte  wie  die  Kaufsucht  tatsächlich  alsSuchterkrankung zu definieren seien. Die Kaufsucht nimmt hiergewiss eine Sonderstellung ein, da es sich im besonderen Maßeum eine „saubere“ Sucht handelt. Die Betroffenen wirken vonaußen gesehen schnell als aktiv, erfolgreich, leistungsorientiert,im Gegensatz zu z.B. Alkoholkranken, die von ihrem Umfeld viel-leicht  eher  als  labil  oder  „willensschwach“  gesehen  werden.Dazu kommt, dass die Kaufsucht prinzipiell im Einklang mit denWerten  unserer  Gesellschaft  steht.  Dieser  Hintergrund  kannmöglicherweise die Diskrepanz zwischen den relativ hohen Zah-len von „kaufsüchtigen“ Menschen und der doch kaum vorhan-denen öffentlichen Debatte dieses Phänomens erklären. 8 Fe m m e C u ri e u se /p h o to ca se .d e Quellen und weiterführende Literatur:1 Gerhard Raab, Michael Neuner, Lucia A. Reisch, Gerhard Scherhorn, SKSK, Screeningverfahren zur Erhebung von kompensatorischem und süchtigem Kaufverhalten, Göttingen, 2005, S.11 2 Astrid Müller, Klaus Wölfling, Kai W. Müller, Verhaltenssüchte – Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht, 2018  3 Institut Suchtprävention, Drogenmonitoring 2015, Linz, 2016, S. 158  4 Drogenmonitoring 2015, S. 159  5, 6, 7 Müller, S.13  8 Müller, S. 21 9 Müller, S. 14  10 Nina Tröger, Kaufsucht in Österreich, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien 201711  Tröger, 2017, S. 10   12 Drogenmonitoring 2015, S. 158 13 Gerhard Raab, Michael Neuner, Kaufsucht als nichtstoffgebundene Abhängigkeit entwickelter Konsumgesellschaften. Wesen, Entwicklungstendenzen und Forschungsperspektiven, in: Dominik Batthyány, Alfred Prinz, Rausch ohne Drogen, Substanzungebundene Süchte, Wien, 2009, S. 100


Die Ambulanz für Spielsucht ist ein Angebot von pro mente OÖund befindet sich am Neuromed Campus des Kepler Universi-tätsklinikums in Linz. Sie wurde im Juni 2010 gegründet und istdie einzige Spielsuchtambulanz in Oberösterreich. Behandeltwerden in erster Linie Glücksspiel- und Internetsucht, aber auchandere Verhaltenssüchte wie etwa die Kaufsucht. Das Team be-steht aus zwei Psychiatern – Prim. Dr. Kurosch Yazdi, Dr. Chris-toph Bilous – und zwei Psychotherapeuten, Maria Mittermaier,MSc. und Karlheinz Staudinger, MSc., die unseren Leser/inneneinen kleinen Einblick in die Praxis der Ambulanz gewähren. Was erwartet die Menschen, die sich an die Spielsuchtambulanz wenden?Wie sieht das Angebot derzeit aus? Maria Mittermaier: Zunächst gibt es ein Erstgespräch,dann erfolgt eine Klärung. Liegt ein Problem vor?Wie schwer ist das Problem? Welchen Bereich be-trifft es? Die Hauptthemen sind das Glücksspiel undder Bereich Internetsucht. Wir bieten Gruppenthera-pien für drei Bereiche an: für Glücksspieler, für On-line-Spieler und für Eltern von jugendlichen Online-Spielern, wobei hier idealerweise sowohl die Kinderals auch deren Eltern die Gruppentherapie besuchensollten. Karlheinz Staudinger: Wichtig  ist  nach  dem  Erstge-spräch  auch  die  Frage,  was  der  Patient  genaubraucht. Liegen möglicherweise mehrere Suchtfor-men oder zusätzliche psychische Krankheiten vor?Sind Medikamente nötig oder ein stationäres Set-ting überlegenswert? In diesen Fällen können wireinen  Psychiater  aus  unserem  Team  hinzuziehen.Zudem  gibt  es  auch  für  Bereiche,  in  denen  keine Gruppen zustande kommen, die Möglichkeit einer Einzeltherapie. Dazugehören die Themen Kaufsucht, Sexsucht oder auch Online-Pornografie. Warum kommen nur wenige Kaufsüchtige in die Ambulanz? Maria Mittermaier: Die Kaufsucht ist meist sehr unauffällig und kann langekaschiert werden. Der Übergang vom kompensatorischen zum problema-tischen Kaufen erfolgt fließend. Da vergeht meist sehr viel Zeit, bis die Men-schen zu uns kommen. Die meisten haben lange Zeit ein einigermaßengeregeltes Arbeitsleben und sind auch sozial angepasst. Die Leute „funk-tionieren“ und daher fällt das Problemverhalten oft nicht so schnell auf. Kaufsucht ist ja auch eher weiblich besetzt und weiblich dominierte Süchte sind ja generell eher unauffällig. Karlheinz Staudinger: Es gibt hier gewisse Parallelen zur Internetsucht. Daunterscheiden wir ja auch zwischen den Gamern und jenen, die in sozia-len Foren unterwegs sind. Das problematische Gaming betrifft fast nurJungen, während  es bei Online-Foren viel mehr Mädchen sind. Die Mäd-chen kommen aber kaum zu uns, obwohl es ungefähr gleich viele Pro-blemfälle sein müssten. Da spiegelt sich ein wenig das Dilemma, dasswir auch bei der Kaufsucht beobachten. Wenn wir die Kaufsucht mit demGlücksspiel vergleichen, sehen wir, dass die Kaufsucht eher weiblich, dasGlücksspiel eher männlich dominiert ist. Die Glücksspielsüchtigen kom-men in die Ambulanz, die Kaufsüchtigen kaum. Wie hat sich das Angebot der Spielsuchtambulanz in den vergangenen Jahren entwickelt? Karlheinz Staudinger: Wir haben als reine Glücksspielambulanz begonnen.Im Laufe der Zeit hat sich das Angebot erweitert. Vor allem der Online-Bereich wurde häufiger zum Thema. Mittlerweile haben wir auch Grup-pen  für  Online-Süchtige.  Die  Auslastung  ist  ebenfalls  stark  gestiegen.Daher gibt es derzeit leider Wartezeiten für die Termine.  Wie oft treffen sich die Gruppen? Wie groß sind sie und wie viele Termine umfasst eine Therapie? Maria Mittermaier: Bei den Glücksspielern sind es neun, bei den Internet-gruppen und der Einzeltherapie sind es zehn Termine. Ein Termin dauert1,5  Stunden.  Die  Gruppengröße  umfasst  circa  zehn  bis  15  Personen,wobei es aber leider immer wieder auch zu Abbrüchen kommt, aber dasist von Gruppe zu Gruppe sehr unterschiedlich. Im Bereich der Internet-sucht ist es stabiler als bei den Glücksspielern. Karlheinz Staudinger:Ein Grund dafür ist auch die Persönlichkeitsstruktur, die bei den Glücks-spielern tendenziell narzisstisch angelegt ist. Das heißt, sie haben meisteine sehr hohe Überzeugung von sich selbst und glauben oft nach zweioder drei Wochen überstandener Spielpause, dass sie geheilt sind unddie Therapie nicht mehr benötigen. Dennoch: Über die Jahre hinweg binich überrascht, wie stabil die Gruppen sind - obwohl sie ambulant sind.Der Großteil der Teilnehmer bleibt bis zum Schluss dabei. Welche Ursachen und Auslöser von Abhängigkeit lassen sich häufig beobachten? Maria Mittermaier: Hier müssen wir wieder unterscheiden zwischen denGlücksspielern und den Internet-Abhängigen. Bei letzteren gibt es häufigdysfunktionale Familien im Hintergrund, in denen zu wenig geredet wird.Oft ist es auch eine fehlende positive Vaterfigur, die in der Folge im Spielals Held kreiert wird. Wir sehen auch Mütter, die ihre Kinder emotionalüberfrachten, ihnen zu viel zumuten, aus einer eigenen Kränkung heraus,weil vielleicht die Ehe in Brüche gegangen ist. Was auch immer der Grundist: Vor allem den Burschen wird das oft zu viel.Die Mütter sind meist alleine und überfordert mit ihren Söhnen. Das führtauch zu Co-Abhängigkeiten, die es schwer machen, aus dem Problem-verhalten auszusteigen. Es gibt auch viele Jungen, die sich vom Vaternicht angenommen fühlen und ins Spiel flüchten. Dort finden sie eineheile  Welt,  in  der  sie  sich  Anerkennung,  Herausforderung,  Akzeptanzholen können, die sie vielleicht im realen Leben nicht im nötigen Ausmaßvorfinden. Beim Glücksspiel ist die Situation anders? Karlheinz Staudinger: Ja, denn hier haben wir das Problem, dass die Kar-rieren meist schon viel länger andauern als beim Online-Gaming. BeimGlücksspiel vergehen ja häufig zehn Jahre oder mehr, bevor die Betrof-fenen das erste Mal zu uns kommen. Da sind die Ursachen nicht mehr sooffensichtlich erkennbar. Ganz allgemein würde ich sagen, dass es oftzwischenmenschliche Probleme sind, die eine große Rolle spielen, wieetwa Ehen, die nicht mehr funktionieren. Auch die angesprochene nar-zisstische Dynamik spielt sicher eine Rolle: Ich will schnell sehr viel Geldgewinnen, ohne mich anstrengen zu müssen. Ich brauche mich nicht un-terordnen, für mich gelten die Regeln der anderen nicht, usw. Was hilft den Klienten, aber auch den Angehörigen am meisten?  Maria Mittermaier: Wir beobachten, dass vor allem die soziale Eingebun-denheit in einer Gruppe eine große Hilfe sein kann. Bei den Elterngruppenist es häufig die Solidaritätserfahrung. Die Themen, die wir behandeln,sind sehr oft schambesetzt und tabuisiert. Die Erfahrung in der Gruppeund der ungezwungene Austausch in einem geschützten Rahmen undohne Belehrungen lässt die Teilnehmer stark voneinander profitieren. Dastut vielen gut und sie lernen auch viel voneinander. Wir leiten Übungenan und sind selbst oft erstaunt, wie einfache Dinge etwas auslösen kön-nen oder gut ankommen. Da passiert im Gruppenprozess schon sehr viel. Karlheinz Staudinger: Ergänzend dazu kommt die Kontrollerfahrung, vorallem bei den Glücksspielsüchtigen. Das heißt, sie können jede Wochekommen und erzählen, dass sie wieder eine Woche nicht gespielt haben.Diese stützende regelmäßige Erfahrung hilft ebenfalls. Auch die kreativeHerangehensweise in der Therapie wird oft als hilfreich empfunden. Eswird viel gemalt, es gibt aber auch Rollenspiele, wo sich die Leute in derGruppe erproben und austauschen können. Interview: Günther Ganhör AMBULANZ FÜR SPIELSUCHT AUS DER  PRAXIS 9


Seit wann gibt es die Kaufsuchtberatung? Katharina Malzer: Wir haben dieses Angebot seit 10 Jahren. Es hat sichaus der Schuldnerberatung heraus ergeben. Wenn z.B. viele Schulden in-nerhalb ganz kurzer Zeit entstanden sind und unklar ist, aus welchemGrund, dann kann die Ursache ein problematisches Kaufverhalten bis hinzu Kaufsucht sein und das wird thematisiert.  Wulf Struck: Auch beim Blick auf die Einnahmen-Ausgaben-Liste, einemGrundmodul in der Schuldnerberatung, wird mitunter deutlich: an sichmüsste sich das von den Finanzen ausgehen. Es geht sich aber für dieBetroffenen nicht aus. Was steckt dahinter? Im Gespräch können sichdann Hinweise auf ein problematisches Kaufverhalten ergeben. Die Menschen kommen also eher wegen ihrer Schulden und weniger aufgrundihres Kaufverhaltens? Katharina Malzer: Beides ist der Fall. Einige Menschen melden sich dezi-diert zu einer Kaufsuchtberatung an. Bei anderen kommt das Thema imZuge der Schuldenberatung auf. Grundsätzlich ist die Kaufsucht ein eherverstecktes Thema und wird oft erst über die Schuldensituation sichtbar. Kommen vermehrt Frauen in die Beratung? Wulf Struck: Kaufsucht ist eher weiblich, aber es sind auch Männer betrof-fen. Es war zum Beispiel ein Klient in Beratung, der abends anfing ausLangeweile Modellbausätze im Internet zu bestellen. Der Mann war be-reits in einer psychosozialen Beratung, bei unseren Gesprächen ging esdann speziell um den Umgang mit den Finanzen.  Warum kommen weniger Kaufsüchtige als Spielsüchtige in die Beratung? Spielthier auch das Geschlecht eine Rolle? Wulf Struck: Ich denke, Männer treiben ihr Suchtverhalten oft bis zur exis-tenziellen Gefährdung voran, während Frauen trotz eines Suchtverhaltensnoch eher im Limit bleiben. Vielleicht liegt es auch daran, dass ein impul-sives Kaufverhalten von Männern weniger als Problem gesehen wird,wenn zum Beispiel Autos oder Unterhaltungselektronik gekauft werden. Katharina Malzer: Ja, Männer kaufen andere Sachen als Frauen. Die Kauf-sucht lässt sich besser verbergen, sofern das Verhalten nicht ganz exzes-siv  und  auffällig  ist.  Es  ist  auch  ein  von  der  Gesellschaft  toleriertesVerhalten; Shoppen gehen ist ja sogar eine beliebte Freizeitbeschäftigung.Das Glücksspiel hingegen ist gesellschaftlich schon eher negativ besetzt.Einkaufen muss jeder und beim Lebensmittelkauf im Supermarkt gibt esauch viele andere Dinge; das heißt, ich kann eine Kaufsucht viel leichterunauffällig ausleben.  Man kann sich dem Kaufen schwer verschließen. Katharina Malzer: Ja, man kann bei Kaufsucht nicht abstinent leben. Des-halb sind die Übergänge vom normalen Einkauf über ein problematischesKaufverhalten bis zur Kaufsucht fließend. Die Grauzone ist hier größerals bei anderen Süchten. Das Einkaufen passiert mittlerweile sehr viel amPC. Früher waren es die klassischen Versandhäuser, jetzt wird vieles on-line bestellt. Die ständige Verfügbarkeit ist da natürlich fatal. Lässt sich in den Beratungsgesprächen auch ein kompensatorisches Verhalten beobachten? Wulf Struck: Die Kompensation für Unzufriedenheit, innere Spannungen,geringes Selbstwertgefühl usw. steht häufig im Hintergrund eines pro-blematischen Verhaltens. Einzelne „Frustkäufe“ kennt ja praktisch jeder.Zum Problem wird es, wenn es regelmäßig passiert, aus Langeweile he-raus oder wenn zum Beispiel Mütter das Gefühl haben, dass sie ihremKind zu wenig an Zuwendung bieten können und aus diesen Gründen be-ginnen, Kleidung, Spielsachen und anderes für ihr Baby zu bestellen. Katharina Malzer: Ich habe auch den Eindruck, dass vor allem junge Frauenderzeit sehr unter einem gesellschaftlichen Druck stehen. Das beginnt mitIdealbildern, die über Medien verbreitet werden, denen entsprochen wer-den muss, aber auch mit einem gewissen Gruppendruck. Ich hatte jungeFrauen in Beratungsgesprächen, die gesagt haben, dass sie beim Ausge- hen  in  der  Clique  nicht  zweimal  das  gleiche  Outfit  anhaben  können,immer top gestylt sein müssen. Das ist schon ein hoher Anspruch.  Welche anderen Ursachen verbergen sich hinter problematischem Kaufverhalten? Katharina Malzer: Neben der Langeweile und Frustkäufen unter dem Motto„Jetzt gönne ich mir etwas!“ spielt sicher der erwähnte Gruppendruckeine Rolle. Ich nehme bei den Beratungsgesprächen aber auch immerwieder Beziehungsprobleme als Ursache wahr. Da geht es um Unzufrie-denheit in der Partnerschaft, die kompensiert wird.  Wulf Struck: Bei manchen Personen setzt das exzessive Kaufverhalten ein,wenn Brüche in ihrer Biografie auftreten: Schwere Unfälle, Scheidungen,Arbeitsplatzverlust, Pensionierung, usw. Es spielen aber auch psychischeKrankheiten eine Rolle, bei denen das Kaufen als eine Art von Selbstme-dikation angewandt wird. In diesen Fällen reicht unsere Beratung alleinenicht aus. Da bedarf es zusätzlich fachärztlicher Hilfe. Das persönliche Einkommen ist ein wichtiger Faktor bei der Kaufsucht. Wer essich leisten kann, wird wohl nicht so schnell als kaufsüchtig auffallen, oder? Wulf  Struck:Ja,  ähnlich  wie  bei  Spielsüchtigen.  Manche  Spielsüchtigesagen:  „Wenn  ich  mehr  Einkommen  hätte  und  genauso  viel  spielenwürde, wäre ich gar nicht hier. Dann hätte ich kein Problem.“ Es stellt sichdie Frage: Ab wann spüre ich ein Problem? Denn meist erfolgt erst danneine Reaktion. Wenn ich mir Modellbausätze bestellen möchte, aber nurdie Mindestsicherung zur Verfügung habe, dann gehen sich keine zweiModelle um 50 Euro im Monat aus. Dann bekomme ich ein Problem. Inder Beratung kennen wir diese Situationen aber auch von Menschen, diemehr Geld zur Verfügung haben und trotzdem nicht damit auskommen. Wie läuft eine Beratung in der Regel ab?  Wulf Struck: Nach  Problem-,  Ursachen-  und  Zielklärung  wird  versuchtschrittweise eine Verhaltensveränderung zu erzielen und zwar mit im All-tag  möglichst  einfach  umsetzbaren  Maßnahmen.  Für  viele  ist  es  aberschon eine Erleichterung, wenn sie über ihr Problem reden können. Die-ses Bewusstwerden ist der erste Schritt zur Veränderung. Katharina Malzer: Einfache Maßnahmen wären etwa Plastikkarten wegzu-geben oder Online Zugänge sperren. Wir empfehlen Einkaufstagebücherzu führen, um herauszufinden, in welchen Situationen besonders gekauftwird. Manchmal ist es sinnvoll, Dinge, die man besonders gerne kauft inihrer Gesamtheit zu visualisieren. Wenn dann zum Beispiel über 40 Par-füms nebeneinander stehen oder die gesamten T-Shirts auf einem Bergangehäuft sind, dann ist das ein Bild, das im Gedächtnis bleibt und dasVerhalten in der Zukunft verändern kann.  Bekommt man auch Erfolgserlebnisse in der Beratung mit? Wulf Struck: Ja, es gibt es immer wieder positive Rückmeldungen. Mandarf nicht die Erwartung haben, dass eine nachhaltige Verhaltensände-rung von heute auf morgen passiert. Ein erster Erfolg ist schon, wenn dasalte Konsummuster für kurze Zeit durchbrochen werden kann. Das An-sprechen von Rückfällen und „Ausrutschern“ soll dazu führen, Risikosi-tuationen zu erkennen und zu vermeiden.Manchmal hilft den KlientInnen auch ein Satz, den man als Berater viel-leicht gar nicht bewusst als Intervention gemeint hat. W elche Erfahrungen haben Sie in der Angehörigenberatung? Katharina Malzer: Bei Angehörigen ist es häufig so, dass sie schon vor demBetroffenen einen Leidensdruck verspüren. Es müssen oft noch gar keinegroßen finanziellen Probleme da sein, aber sie sehen die vielen Rechnun-gen, Pakete usw. und fragen sich dann: Wie geht sich das aus? Gerade beider Kaufsucht von jugendlichen bzw. jungen erwachsenen Kinder rufenoft Eltern, vor allem Mütter, an. Sie suchen Unterstützung beim Umgangmit der süchtigen Person. In der Beratung entwickeln sich dann meistThemen wie Grenzsetzung, Ablösung und Verantwortungsübernahmedurch die Kinder. Jedenfalls lohnt es sich auch als Angehörige lieber frü-her wie zu spät Kontakt aufzunehmen und sich Unterstützung zu holen. SCHULDNERHILFE OÖ Die SCHULDNERHILFE OÖ wurde 1979 gegründet und ist eine staatlich an-erkannte Schuldner- und Familienberatungsstelle mit Standorten in Linz,Rohrbach-Berg,  Freistadt,  Perg  und  Kirchdorf  an  der  Krems.  Neben  derSchuldnerberatung wird Beratung in den Bereichen Glücksspielsucht, Kauf-sucht sowie Familienberatung und Scheidungsberatung angeboten. Im neugegründeten Institut Finanzkompetenz wird das Präventionsangebot derSCHULDNERHILFE OÖ im Bereich Finanzbildung zusammengefasst. Nähere Infos: www.schuldner-hilfe.at  Katharina Malzer: Schuldnerberaterin, Beratung bei Kaufsucht, stellver-tretende Geschäftsführerin der Schuldnerhilfe OÖ und fachliche Leiterinder Beratung. Mag (FH) Wulf Struck: Schuldnerberater, Beratung in denBereichen Glücksspiel- und Kaufsucht. AUS DER  PRAXIS 10


Das  Konzept  der  Punkt-nüchternheit, das mit denAktivitäten zum „Aktions-plan  Alkohol“  der  Welt-gesundheitsorganisation(WHO)  Ende  der  1990er-Jahre in Deutschland ver-breitet wurde, erkennt an,dass  Alkohol  in  verant- wortlichem Rahmen als Genussmittel eingesetzt wird, ohne zwangsläufigSchaden anzurichten. Es legt aber nahe, in bestimmten Situationen kon-sequent auf den Konsum von Alkohol zu verzichten – z.B. bei der Arbeit,im Straßenverkehr, in der Schwangerschaft oder auch bei Medikamen-teneinnahme. Ziel dieses Konzeptes ist ein eigenverantwortlicher, risiko-armer und situationsangemessener Umgang mit Alkohol. Durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) § 15(4) besteht fürArbeitnehmer/innen die Verpflichtung, „[…] sich nicht durch Alkohol, Arz-neimittel oder Suchtgift in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sichoder andere Personen gefährden können.“ In Bezug auf starke Berau-schung und die damit verbundene Gefährdung der Arbeitssicherheit fin-det  dieser  Passus  breite  Zustimmung.  Weniger  Bewusstsein  ist  beimanchen Beschäftigten für die Risiken von geringen Alkoholisierungs-graden und die Bedeutung von Restalkohol vorhanden. Bereits bei einerAlkoholisierung von 0,2 Promille steigt die Risikobereitschaft, ab 0,3 Pro-mille lässt die Konzentrationsfähigkeit nach. So wird leichte Alkoholisie-rung zu einem häufig unterschätzten Risiko für Arbeitsunfälle. Mehr als nur ein Alkoholverbot Um die Gesundheit der Mitarbeiter/innen und die Arbeitssicherheit zu för-dern, setzen manche Unternehmen auf das Konzept der Punktnüchtern-heit. Dahinter steht mehr als ein einfaches Alkoholverbot. Denn Punkt-nüchternheit beruht vielmehr auf dem Prinzip der Selbstverpflichtung.Arbeitnehmer/innen entscheiden sich für Nüchternheit am Arbeitsplatz,weil ihnen ihre Gesundheit wichtig ist, weil sie qualitativ hochwertige Ar-beit leisten wollen, weil sie die Arbeitssicherheit nicht gefährden wollen,weil Sie Vorbild sein möchten – kurz: weil sie selbst überzeugt sind, dassNüchternheit am Arbeitsplatz wichtig ist.Daher  geht  es  auch  nicht  in  erster  Linie  darum,  Regelverletzungen  zusanktionieren oder erzieherisch tätig zu werden, sondern laufend im Ge-spräch zu bleiben, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Suchtmit-teln am Arbeitsplatz gelingen kann und warum er Sinn macht. Bei Mit-arbeitern/innen, denen Abstinenz nicht möglich ist, ist zu prüfen, ob derEinstieg in einen Stufenplan im Rahmen der betrieblichen Suchtpräven-tion angezeigt ist. Auf den ersten Blick scheinen Alkoholverbote in der Praxis leichter um-setzbar  zu  sein.  Jeder,  der  gegen  das  Alkoholverbot  verstößt,  hat  mitSanktionen zu rechnen. Tatsächlich schreiben viele Unternehmen in ihrenBetriebsvereinbarungen Alkoholverbote am Arbeitsplatz fest und Perso-nen, die dagegen verstoßen, werden in einem gestuften Vorgehen moti-viert, ihren Konsum einzustellen. Wird weiter konsumiert, kommt es zuarbeitsrechtlichen Konsequenzen.  Gerade in großen Betrieben, mit dezentralen Strukturen und selbständigarbeitenden  Einheiten  sind  generelle  Alkoholverbote  jedoch  für  Füh-rungskräfte  schwer  kontrollierbar.  Es  ist  unmöglich,  zu  jeder  Zeit,  anjedem Ort die Einhaltung betrieblicher Regeln zu überprüfen. Es bedarfeines hohen Maßes an Sensibilisierung und an Disziplin der Beschäftig-ten, den gebotenen Regeln auch ohne Kontrolle zu folgen. Und genaudies versucht das Konzept der Punktnüchternheit zu verwirklichen. Häufigwird das Punktnüchternheitsgebot in Betriebsvereinbarungen als gene-relles Prinzip und als Merkmal der Betriebskultur zu Alkoholverboten er-gänzt.  Punktnüchternheit ist ein ambitioniertes und herausforderndes Ziel: •  Punktnüchternheit ist ein Präventionskonzept, das viel Kommunikation   erfordert. Persönliche Überzeugung kann nicht verordnet werden. Be-  schäftigte müssen für den bewussten Verzicht am Arbeitsplatz gewon-  nen werden. Zwischen Motivation zur Selbstverpflichtung und Verord-  nen der Nüchternheit, liegt sicher ein schmaler Grat. •  Firmenleitung und Belegschaftsvertretung müssen eine gemeinsame   Haltung entwickeln und im betrieblichen Alltag dazu stehen. Das setzt  hohes Reflexionsvermögen, Engagement und Konsequenz voraus. •  Nicht zuletzt braucht es auch starke Vorbilder und Fürsprecher im Be-   trieb und eine gelebte Nüchternheitskultur im Unternehmen, über alle  Arbeitsbereiche und Hierarchieebenen hinweg. •  Um Punktnüchternheit am Arbeitsplatz tatsächlich verwirklichen zu kön-   nen, muss ein persönlicher Lernprozess jedes Einzelnen, aber auch ein  Lernprozess der gesamten Organisation stattfinden. Das angestrebte  Ideal der Punktnüchternheit kann im Laufe der Zeit zu einem Prinzip der  Firmenkultur werden.  Auf dem Weg dorthin gilt es mögliche betriebliche Ursachen für Alkohol-konsum zu analysieren, das Thema in das betriebliche Gesundheitsma-nagement zu integrieren und genussvolle Alternativen zu kultivieren. Tipp:  Das Institut Suchtprävention unterstützt Sie bei der Umsetzung präventiver Maßnahmen im Betrieb. Informieren Sie sich über die Mög-lichkeiten und Anwendungsbereiche betrieblicher Suchtprävention, er-fahren Sie mehr über unsere Angebote und werfen Sie einen Blick aufunsere Referenzen:  www.praevention.at/arbeitswelt  Rosmarie Kranewitter-Wagner BETRIEBLICHE SUCHTPRÄVENTION Suchtprävention und Genuss schließen einandernicht  aus.  Im  Gegenteil:  Genussfähigkeit  giltsogar als ein Schutzfaktor gegen Suchtentwick-lung. Moderne Suchtpräventionsprogramme zie-len vielmehr darauf ab, einen kompetenten undsituationsangemessenen Umgang mit Substan-zen zu fördern. In der betrieblichen Suchtpräven-tion ist dabei „Punktnüchternheit“ ein zentralerBegriff.  Um  die  Gesundheit  und  die  Arbeitssi-cherheit zu fördern, setzen manche Unterneh-men  auf  das  Konzept  der  Punktnüchternheit.Hinter diesem Begriff steht jedoch mehr als eineinfaches Alkoholverbot.  Quellen und weiterführende Literatur:  Katja Beck-Doßler: Punktnüchternheit am Arbeitsplatz. Ein überzeugendes Konzept für die betriebliche Sucht-prävention? 56. DHS Fachkonferenz Sucht. Abstinenz-Konsum – Kontrolle.11.10.2016  http://www.dhs.de/filead-min/user_upload/pdf/Veranstaltungen/Fachkonferenz_2016/Forum_104_Katja_Beck-Dossler.pdf  Hand-Böckler-Stiftung (2018): Erfolgsfaktoren für die Umsetzung betrieblicher Regelungen zur Suchtpräventionund Suchthilfe. Praxiswissen Betriebsvereinbarung. https://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_mbf_bvd_405.pdf  Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2011): Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Sucht-hilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Ein Leitfaden für die Praxis. http://www.dhs.de/filead-min/user_upload/pdf/Arbeitsfeld_Arbeitsplatz/Qualitaetsstandards_DHS_2011.pdf 11 © ehrenberg-bilder / fotolia.com ALLES ZUSEINER ZEIT. PUNKTNÜCHTERNHEIT AM ARBEITSPLATZ


Die Auswertung des „Drogenmonitoring 2019“ zeigt, dass im-mer weniger Jugendliche in Oberösterreich rauchen. Nur mehr13 Prozent der 15- bis 19-Jährigen rauchen täglich und über zwei Drittel  rauchen  überhaupt  nicht.  Damit  wurde  auch  das  inOberösterreich für 2020 gesetzte Gesundheitsziel „Suchtprä-vention verstärken“ im Bereich Tabak vorzeitig erreicht. Nachwie vor hohe Raucherraten gibt es bei Lehrlingen. Seit dem Jahr 2000 führt das Institut Suchtprävention mit dem „Drogen-monitoring Oberösterreich“ periodisch alle 3 bis 5 Jahre eine oberöster-reichweite  repräsentative  Bevölkerungsbefragung  durch,  bei  der  dieoberösterreichische Bevölkerung über Wissen, Einstellungen und Ver-halten rund um legale und illegale Drogen bzw. Sucht be-fragt wird. Die Studie, für die rund 1500 Personen ab 15Jahren zwischen Dezember 2018 und Jänner 2019 befragtwurden, dient u.a. der systematischen Erfassung der Kon-sumtrends in Oberösterreich.  Am 15. März 2019 präsentierten Gesundheitsreferentin,Landeshauptmann-Stellvertreterin Mag. Christine Haber-lander und Christoph Lagemann, Leiter des Institut Sucht-prävention, aktuelle Zahlen zum Thema Rauchen in Ober-österreich sowie das neue digitale Coaching-Programm"ready4life", dass speziell für Lehrlinge entwickelt wurde.  71  % der Oberösterreicher/innen sind Nichtraucher  Für den Bereich Tabak wurden die Daten aus der aktuellen Studie bereitsausgewertet. Dabei zeigt sich, dass es im Laufe der vergangenen Jahreeinen deutlichen Wandel hin zum Nichtrauchen gegeben hat. 71 % derBefragten gaben an, Nichtraucher zu sein. Zum Vergleich: Bei der erstenErhebung im Jahr 2000 waren es noch 43 %. Der Anteil der täglichenRaucher/innen beträgt aktuell 17 %, bei der letzten Erhebung 2015 warenes noch 23 %, jener der Gelegenheitsraucher/innen liegt bei 12 % (2015:9%).  Jugendliche rauchen deutlich weniger  Sehr erfreulich präsentieren sich die Konsumzahlen bei den 15- bis 19-Jährigen. Hier konnte im Vergleich zur letzten Erhebung ein deutlicherRückgang bei den täglichen Raucher/innen verzeichnet werden. Gabenbeim Drogenmonitoring OÖ 2015 noch 33 % der Jugendlichen an, täglichzu rauchen, sind es jetzt nur mehr 13 %. Damit wurde eines der OÖ Ge-sundheitsziele für das Jahr 2020 im Bereich der Suchtprävention bereitsjetzt erfüllt: „Bis 2020 wird der Anteil der oberösterreichischen 15- bis19-Jährigen, die täglich rauchen, von derzeit rund 35 Prozent auf höchs-tens 20 Prozent gesenkt.“ (OÖ Gesundheitsziel im Bereich „Suchtpräven-tion verstärken“) Dies wirkt sich auch auf die Zahl der Nichtraucher/innen unter den Jugendlichen in Oberösterreich aus. Hier ist der Anteil von50 % auf 67 % gestiegen.  Mehr Burschen als Mädchen rauchen  Betrachtet man die aktuellen Raucherzahlen in Bezug auf die Geschlech-terverteilung, so zeigt sich, dass unter den 15- bis 19-jährigen Jugendli-chen in Oberösterreich mehr Burschen als Mädchen rauchen. Das trifftsowohl auf den Bereich der täglichen Raucher (21,1 % Buschen, 7,7 %Mädchen) zu, als auch auf den Bereich der Gelegenheitsraucher (23,7 %,17,3 %). Der Nichtraucheranteil liegt in dieser Altersgruppe beim weibli-chen Geschlecht bei 75 %, beim männlichen Geschlecht bei 55,3 %. Mitzunehmendem Alter gleicht sich jedoch der Unterschied wieder an. Soliegt der Nichtraucheranteil bei den 24-jährigen Frauen bei 52,9 %, bei den gleichaltrigen Männern liegt er bei 47,1 %. Große Unterschiede zwischen Lehrlingen und Schüler/innen  Trotz dieser erfreulichen Entwicklung gibt es in SachenTabakprävention noch viel zu tun. Vor allem im Bereich derberufstätigen Jugendlichen, insbesondere bei den Lehr-lingen, gibt es nach wie vor verhältnismäßig hohe Kon-sumraten. So gaben 42 % der befragten Lehrlinge an, dasssie täglich rauchen. Bei den berufstätigen 15- bis 19-Jäh-rigen (die nicht oder nicht mehr in einer Lehre sind) be-trägt  dieser  Anteil  17,4  %.  Zum  Vergleich:  Unter  den Schüler/innen bzw. Studierenden beträgt die tägliche Raucherquote nurmehr 5,4 %. Um die aus präventiver Sicht wichtige Zielgruppe der Lehr-linge besser zu erreichen, hat das Institut Suchtprävention seit März 2019mit „ready4life“ ein neues, interaktives, digitales Lebenskompetenzpro-gramm im Angebot, dass speziell für Lehrlinge adaptiert wurde (sieheSeite 13). Steigendes Gesundheitsbewusstsein: Hohe Zustimmung für Maßnahmen der Tabakprävention Im Vergleich zur letzten Studie im Rahmen des Drogenmonitorings OÖist die Zustimmung zu (politischen) Maßnahmen der Tabakpräventionweiter gestiegen. So stimmen beispielsweise 93,3 % (2015: 89,5%) derBefragten der Aussage „Es soll viel mehr getan werden, um Jugendlichevom Rauchen abzuhalten.“ zu. Fast ebenso viele unterstützen die Forde-rung, wonach ein Teil der Steuern auf Tabak für Prävention verwendetwerden sollte (88,1%, 2015: 82,4%) und 71,8 % würden ein gänzlichesRauchverbot in der Gastronomie begrüßen (2015: 53,9%). Die hohen Zu-stimmungsraten zu Einstellungen wie „Wenn Kinder im gleichen Raumanwesend sind, sollte auf keinen Fall geraucht werden“ (95 % stimmendieser Aussage zu) unterstreichen das steigende Gesundheitsbewusst-sein der Oberösterreicher/innen. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN ZUM THEMA RAUCHEN IN OÖ 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Ô 2000    Ô 2006   Ô 2009   Ô 2015    Ô 2019 tägliche Raucherinnen GelegenheitsraucherInnen NichtraucherInnen 40 31 27 23 17 17 12 10 9 12 43 56 63 68 71 Entwicklung der Raucherzahlen in Oberösterreich Raucherstatus in Prozent 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Ô 2000    Ô 2006   Ô 2009   Ô 2015    Ô 2019 tägliche Raucherinnen GelegenheitsraucherInnen NichtraucherInnen 44 37 37 33 13 29 22 18 17 20 27 42 45 50 67 Entwicklung der Raucherzahlen in Oberösterreichbei den 15- bis 19-Jährigen Raucherstatus in Prozent 12 una.knipsolina / photocase.de


Das Institut Suchtprävention bietet seit März 2019 mit „ready4life“ ein interaktives Le-benskompetenzprogramm speziell für Lehrlinge an. Das Programm wurde in der Schweizentwickelt und wird in ganz Oberösterreich angeboten. Es handelt sich dabei um einCoaching-Programm, das sowohl auf Face-to-Face-Information als auch auf digital ver-mittelte Inhalte setzt. „ready4life“ ist ein ganzheitliches Projekt, das die Lebenskompetenzen von Jugendlichen in den Mit-telpunkt stellt und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber allen Suchtmitteln stärken soll“, sagt TanjaSchartner, Projektverantwortliche am Institut Suchtprävention. Der Zugang zu diesem Projekt erfolgtüber Berufsschulen und Lehrlingsbetriebe, die einen zweistündigen Workshop buchen können, der inKooperation mit der OÖ GKK angeboten wird. So haben Berufsschüler/innen die Möglichkeit, im Work-shop über Wirkungen von Substanzen wie Tabak, Alkohol und Cannabis zu sprechen, ihre eigene Be-findlichkeit zu reflektieren und zu diskutieren, wie sich diese auf Gefühle und Wahrnehmung auswirken.Im Mittelpunkt dieses Workshops stehen der Umgang mit Stress und die Wirkung von Substanzen –im speziellen von Tabak. Wer sich für das Programm entscheidet, erhält via Mobiltelefon eine kostenlose viermonatige „Betreu-ung“ durch einen digitalen Coach. Dabei setzen sich die Jugendlichen mit ihren Stressbewältigungs-strategien und ihrem Umgang mit eigenen Gefühlen auseinander. Die Kombination von Face-to-FaceKontakt via Workshop und anschließendem digitalen Coaching-Programm wird in Oberösterreich inder Suchtprävention erstmals angeboten. Dieses Angebot steht auch allen Lehrlingsbetrieben in Oberösterreich kostenlos zur Verfügung!Alle weiteren Details zu diesem neuen Programm gibt es auf der ebenfalls neu erstellten Websitewww.ready4life.at. JUGEND ready4life ERSTES LIFE SKILLS-PROGRAMMFÜR LEHRLINGE IN OÖ RECHTSINFO Gesetzesänderungen beim Rauchen:Kauf und Konsum von Tabakwaren und verwandtenErzeugnissen erst ab 18 Jahren Verkaufsverbot österreichweit Seit 1. Jänner 2019 dürfen laut Tabak- und Nichtraucher/innen-Schutz-Gesetz (TNRSG) Tabakprodukteund verwandte Erzeugnisse nur mehr an Personen verkauft werden, die 18 Jahre oder älter sind. DieRegelung betrifft Zigaretten sowie andere Tabakwaren wie z.B. Zigarren, Zigarillos, Kau- und Schnupf-tabak, Snus, aber auch E-Zigaretten, E-Shishas und zugehörige Liquids (sowohl nikotinhältig als auchnikotinfrei) und Shishas (Wasserpfeifen). Konsum- und Aufenthaltsverbot in OÖ Neben dem bundesweiten Verkaufsverbot wurden auch auf Ebene der Bundesländer die jeweiligenJugendschutzgesetze auf das höhere Schutzalter von 18 Jahren angepasst. Mit 1. Februar 2019 ist inOberösterreich eine entsprechende Novelle zum Jugendschutzgesetz in Kraft getreten. Das Rauchenunter 18 Jahren ist nun gänzlich verboten. Dies gilt sowohl für den Konsum von Zigaretten, Tabaker-zeugnissen, Wasserpfeifen als auch für E-Zigaretten, E-Shishas und verwandte Produkte. Zudem istJugendlichen unter 18 Jahren der Aufenthalt in Betriebsräumlichkeiten, in denen vorwiegend Wasser-pfeifen (Shishas), E-Shishas oder E-Zigaretten abgegeben bzw. konsumiert werden, verboten. Es gibt keine Ausnahmeregeln oder Übergangsbestimmungen für alle, die mindestens 16 Jahre alt sind und biszum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderungen schon rauchen durften. 13 R E H vo lu ti o n .d e  /  p h o to ca se .d e * * Fo to : L a n d  O Ö /L ie d l LH-Stv. Mag. Christine Haberlander und Christoph Lagemann, Institut Suchtprävention


14 THEMA „ZUVIELISATION“:  WIESO WENIGER MEHR IST Im Rahmen der  Veranstaltungsreihe „Thema“ setzte sich am 19. November 2018 Thomas Mohrs, Philosoph und Experte für Allgemeine und Angewandte Ethik, mit dem Begriff der „Zuvielisation“ auseinander. Knapp 180 Personen aus den Bereichen Bildung, Sozialarbeit,Polizei, Politik und Verwaltung verfolgten die Ausführungen von  Prof. Thomas Mohrs, der sich immer wieder Anlehnungen aus unter- schiedlichen Zeitepochen nahm, um daraus auf aktuelle gesellschaftspolitische Fragestellungen Bezug zu nehmen. So zum Beispiel aufden Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm, der „die Gier“, als einen „Ausdruck der inneren Leere“ bezeichnete. Was er damitmeinte: Wenn man nicht zufrieden ist mit dem, wer und wie man ist, wenn man nicht „bei sich“, sondern von sich selbst entfremdet ist,neigt  man  leicht  dazu,  dieses  Selbstzufriedenheitsdefizit  zu  kompensieren,  sei  es  durch  Hab-Sucht,  Herrsch-Sucht,  Konsum-Suchtoder/und auch durch die „Flucht“ in den Rausch, die Droge. Mohrs stellte in der Folge die Frage, ob dieses Phänomen der „Entfremdung“, die in der Gier zum Ausdruck kommt, nicht nur ein indi-viduelles, sondern ein kollektives, ein soziokulturelles sein kann, dass ein ganzes Gesellschaftssystem betroffen ist? Als Beispiel dafürbeschrieb er das Konzept des „Earth Overshoot Day“ (bzw. „Erderschöpfungstag“), also jener Tag des Jahres, an dem wir (als Menschheit)die Ressourcen verbraucht haben, die eigentlich weltweit für ein ganzes Jahr zur Verfügung stünden. Dieser „Earth Overshoot Day“ lagim Jahr seiner ersten Berechnung 1987 am 19. Dezember. Im Jahr 2018 lag er am 1. August. Doch wie können wir als Gesellschaft ausdiesem Irrweg wieder herausfinden? Möglicherweise mit dem  Prinzip der Mäßigung, dass schon in der griechischen Antike als eine der Kardinaltugenden galt. Epikur, der wohl bekannteste Vertreter des Hedonismus, der Philosophie der Lust, hielt fest: „Willst du einenMenschen glücklich machen, so vermehre nicht seine Habe, sondern verringere seine Bedürfnisse.“ Das bedeutet laut Thomas Mohrskeineswegs, dass man asketisch leben soll, aber dennoch erscheint es im Hinblick auf unsere „Zuvielisation“ als durchaus ratsam, sichauch heute an solchen uralten Einsichten zu orientieren und – in unserem eigenen mittel- und längerfristigen Interesse – zum  „mensch- lichen Maß“ zurückzukehren. KOORDINATOR/INNEN FÜR SUCHTPRÄVENTION Von 13. bis 15. März 2019 fand am Institut Suchtprävention in Linz der zweite Teil der dreiteiligen Ausbildung zum/zur „Koordinator/infür Suchtprävention an OÖ Schulen“ statt. Programmpunkte des Moduls 2 waren u.a. Lehrveranstaltungen, bei denen die Ebenen derschulischen Suchtprävention, die Schule als Schutz- und Risikofaktor für die Entstehung von Sucht sowie die Förderung von Lebens-kompetenzen im Mittelpunkt standen. Der Koordinatoren-Lehrgang umfasst 3 Module und besteht seit dem Jahr 2000. Er wird in Ko-operation  zwischen  der  Bildungsdirektion  OÖ  (vormals  Landesschulrat  OÖ),  dem  Institut  Suchtprävention  und  der  PädagogischenHochschule OÖ durchgeführt. Das dritte und letzte Modul des laufenden Durchgangs findet im Dezember dieses Jahres statt.Aufgrund ihrer Ausbildung sind die Absolventinnen und Absolventen besonders als Ansprechpartner für Fragestellungen im Zusam-menhang mit Suchtprävention im Bereich Schule qualifiziert. Sie beraten und unterstützen andere Lehrkräfte bei primärpräventiven Un-terrichtsvorhaben und Projekten, geben Auskunft über Unterrichtsmaterialien, Angebote des Instituts Suchtprävention und Weiter-bildungsmöglichkeiten. Häufig initiieren die Koordinatoren auch die Durchführung von Unterrichtsprojekten zum Thema. Durch ihre Un-terstützung und ihr großes Engagement konnten auf diese Weise in den letzten Jahren viele suchtpräventive Aktivitäten und Projekte inden oberösterreichischen höheren Schulen umgesetzt werden. In Summe gibt es derzeit 215 Lehrkräfte an oberösterreichischen AHS und BMHS, die diese Ausbildung absolviert haben. KOORDINATOREN/INNEN-DIENSTBESPRECHUNG 2019 Die jährlichen Dienstbesprechungen der Koordinatoren/innen für Suchtprävention fanden am 28. März (AHS) und am 2. April 2019 (BMHS)in der Bildungsdirektion OÖ (vormals Landesschulrat) in Linz statt. Es nahmen insgesamt 80 Lehrkräfte daran teil. Im Zentrum der vonder Bildungsdirektion einberufenen und inhaltlich vom Institut Suchtprävention gestalteten Dienstbesprechung standen heuer die The-men  „Psychische Probleme im Jugendalter“ und „Mobbingprävention und Mobbingintervention im Lebensraum Schule“. Zudem gab es aktuelle Informationen aus Bereichen Tabakprävention und Jugendarbeit. Geleitet wurde die Veranstaltung von  Dir. HR Mag. Siegfried Streicher, BHAK Eferding und  Mag. Ingrid Rabeder-Fink vom Institut Suchtprävention. Nach den offiziellen Begrüßungsworten durch Landesschul- ärztin  Dr. Gertrude Jindrich folgten die Hauptreferate von Dr. Barbara Emhofer-Licka und Mag. Brigitte Schröder.  Barbara Emhofer-Licka ist Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinder- und Jugendneurologie und –psychiatrie in Steyr. Zudemist die Expertin für Psychosomatik und Psychotherapie auch als Schulärztin tätig. Emhofer-Licka referierte zum Thema „Psychische Pro-bleme im Jugendalter“ und erläuterte wie Lehrkräfte in der Schule psychische Probleme erkennen können, hinter welchen Verhaltens-weisen psychische Schwierigkeiten stecken können und wie man diese möglichst früh erkennen kann. Mag. Brigitte Schröder, Leiterindes Bundeszentrums ÖZEPS (Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und Soziales Lernen) erläuterte in ihrem Vortrag dasThema „Mobbingprävention und Mobbingintervention im Lebensraum Schule“. Dabei wurde nicht nur das Phänomen Mobbing in derSchule aus wissenschaftlicher Sicht erläutert, sondern auch konkrete Hilfestellungen und Materialien zur Mobbingprävention vorgestellt. 5000 JUGENDSCHUTZ-TESTKÄUFE IN OÖ ABSOLVIERT Seit Jänner 2014 überprüft das Institut Suchtprävention mit ausgewählten Jugendlichen die Einhaltung des Jugendschutzes hinsichtlichder Abgabe von Alkohol in ganz Oberösterreich. Im Februar 2019 wurde nun der 5000. Testkauf absolviert! „Die Überprüfung der Abgabevon Alkohol an Minderjährige durch jugendliche Testkäufer hat sich in den vergangenen Jahren als eine sehr wirksame Maßnahme desJugendschutzes und der Prävention erwiesen“, sagt Dietmar Krenmayr, Projektverantwortlicher am Institut Suchtprävention. Die jugend-lichen Testkäufer/innen müssen jünger als 16 Jahre sein und damit altersmäßig unter dem Schutzalter für die die Abgabe von Alkoholliegen. Dieses Schutzalter ist durch das Jugendschutzgesetz des Landes OÖ festgelegt. Die jugendlichen Testkäufer/innen werden vonExperten des Instituts Suchtprävention geschult und während des Einsatzes von erwachsenen Betreuer/innen begleitet. OÖ PRÄVENTIONSPROJEKT „DRIVE CLEAN“ WIRD INTERNATIONAL Das Institut Suchtprävention wird i m Rahmen des EU-Projekts „Localize It!“ mit der griechischen Präventionseinrichtung OKANA kooperieren. Inhalt der Zusammenarbeit ist die Adaption des in Oberösterreich seit Jahren erfolgreichen Projekts „Drive Clean“ für die HauptstadtAthen. Das Projekt soll heuer in der griechischen Hauptstadt eingeführt werden.Der Workshop „Drive Clean“ wird in  Kooperation mit oberösterreichischen Fahrschulen angeboten. Unter dem Motto „Aktiv lernen statt passiv konsumieren" arbeiten junge, vom Institut Suchtprävention ausgebildete Trainer/innen mit den Fahrschülerinnen und Fahrschülern. DerWorkshop bietet abwechslungsreiche Übungen, Diskussionen in der Gruppe, die Reflexion eigener Erfahrungen und kritisches Hinter-fragen von Einstellungen und Alkoholmythen. ERFREULICHE „MAMMAMIA“-BILANZ Am 17. Dezember 2018 fand am Institut Suchtprävention in Linz das  Jahresabschlusstreffen zum Projekt „MammaMia – Mütter im Gespräch“ statt. Beim Projekt „MammaMia" treffen sich Mütter aus Familien mit Migrationshintergrund zu einer in der jeweiligen Muttersprachemoderierten Gesprächsrunde in einer möglichst angenehmen, zwanglosen Atmosphäre bei einer Gastgeberin zu Hause. Die Gesprächs-themen betreffen Kinder und Erziehung, zum Beispiel „Kinder stark machen“ oder „Computer, Handy, Internet“.Im Jahr 2018 wurden insgesamt 102 Treffen organisiert, an denen 525 Frauen teilgenommen haben. Derzeit gibt es in Linz 19 Modera-torinnen, davon sind vier im Vorjahr neu hinzugekommen. Als feierlichen Abschluss ihres ersten Projektjahres erhielten die Mütter vonMag. Ingrid Rabeder und Mag. Sandra Brandstetter (beide Institut Suchtprävention) ein Abschluss-Zertifikat und eine Linzertorte. DieGesamtbilanz nach 5 Jahren „MammaMia" in Linz ist sehr erfreulich: Es wurden bis dato 506 Treffen mit rund 2700 Teilnehmerinnen in 15 unterschiedlichen Sprachen organisiert! Neues AUS DEM INSTITUT v.l: Ingrid Rabeder-Fink, Institut Suchtprävention mitGastreferentin Barbara Emhofer-Licka


15 TIPP:  Alle erwähnten Bücher können in der Fachbibliothek am Institut Suchtprävention kostenlos entlehnt werden. Öffnungszeiten:  Mo–Do: 8:30–12:00 Uhr und 13:00–16:00 Uhr     Fr: 8:30–12:00 Uhr Schulferien: 8:30–12:00 Uhr Online-Kata log: praevention.at  VERHALTENSSÜCHTE – PATHOLOGISCHES KAUFEN, SPIELSUCHT UND INTERNETSUCHT Astrid Müller, Klaus Wölfling, Kai W. Müller, Göttingen, 2018 Substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungen rücken in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus wissenschaftlicher Unter-suchungen. Dieses Buch widmet sich drei spezifischen Verhaltenssüchten: dem pathologischen Kaufen, dem pathologischen Glücks-spielen und der Internetsucht. Für diese substanzungebundenen Abhängigkeiten scheint in der Bevölkerung eine besonders hohe Ge-fährdung zu bestehen. Der Band beschreibt die Besonderheiten der drei Verhaltenssüchte, informiert über den Verlauf der Störungen,gibt differenzialdiagnostische Hinweise und liefert einen Überblick über diagnostische Verfahren und Dokumentationshilfen. Störungs-spezifische kognitiv-behaviorale Therapieansätze, die sich als wirksam bei der Behandlung der drei Störungsbilder erwiesen haben,werden praxisorientiert vorgestellt. Dabei geht es u.a. um den Aufbau von Änderungsmotivation, die Vorbereitung von Verhaltensana-lysen, die Entwicklung eines individuellen Entstehungsmodells und die Durchführung der Expositionsbehandlung. PATHOLOGISCHES KAUFEN – KOGNITIV-VERHALTENSTHERAPEUTISCHES MANUAL Astrid Müller, Martina de Zwaan, James E. Mitchell, Köln, 2008 Die Autoren dieses Buches haben mit dem „Erlanger Therapieprogramm“ ein störungsspezifisches Behandlungskonzept für Menschenmit pathologischem Kaufverhalten entwickelt. Dieses Manual stellt die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Kognitiven Verhal-tenstherapie von pathologischen Käufern vor und bietet für Therapeuten eine Anleitung zur Durchführung des 12-stündigen Gruppen-programms. Dazu enthält die Publikation viel an Grundwissen zum Thema Kaufsucht. JUNKIES WIE WIR – SPIELEN, SHOPPEN, INTERNET Kurosch Yazdi, Wien, 2013 Spielen. Shoppen. Internet: In uns allen steckt ein Junkie, auch wenn wir das nicht immer wahrhaben wollen. Je nach persönlicher Prä-gung ist er stärker oder schwächer. Kurosch Yazdi, Leiter der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin sowie des Klinikzen-trums Psychiatrie am Kepler Universitätsklinikum in Linz, beschreibt in seinem ersten, 2013 erschienenen Buch, was den Junkie in unsweckt, wie er funktioniert und wie Konzerne unsere Verhaltenssüchte und die unserer Kinder nutzen und sie zur ganz normalen Kulturpraxis erklären. Ein Buch über dunkle Seiten in jedem von uns, über eine Generation junger Menschen, die als manipulierbare24/7 -Konsumenten den Tritt verlieren und über das Muster, das hinter jeder Sucht steckt: der Wunsch nach Beziehung. RAUSCH OHNE DROGEN – SUBSTANZUNGEBUNDENE SÜCHTE Dominik Batthyány, Alfred Prinz, Wien, 2009 Suchtforschung galt lange überwiegend der Auseinandersetzung mit substanzgebundener Abhängigkeit. Dieses Buch widmet sichexplizit dem Phänomen der „substanzungebundenen Süchte“ und diskutiert Trends und Erfahrungen mit substanzungebundenenSüchten. Schwerpunkte werden sowohl auf Darstellung einzelner Formen, wie etwa Internet-, Sex-, Kauf- und Arbeitssucht, auf Über-legungen zu Therapie, Behandlung und Prävention, auf das Problem der Klassifikation dieses Phänomens als eigenständiges Störungs-bild, auf Ursachenforschung und neurobiologische Aspekte gesetzt. LEBEN ALS KONSUM Zygmunt Baumann, Hamburg, 2009 Der 2017 verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman durchleuchtet in diesem Buch pointiert und scharfsinnig Gegenwartsphänomene,von der Liebe in Zeiten des Internets, über Jugendmode und Arbeitsmarkt bis hin zu den wachsenden privaten und öffentlichen Schul-denbergen, und zeigt, wie der Konsumismus mit seinen Marktgesetzen alle Lebensbereiche durchdringt und die sozialen Beziehungenverändert. Doch obwohl Konsumieren – als überaus ernstes Freizeitvergnügen und als Voraussetzung für die Teilnahme an der modernenGesellschaft – unvermeidbar erscheint, vermittelt Baumans Essay, dass der Zwang zum „Leben als Konsum" auch unterlaufen wird. NEUER HANDLUNGSLEITFADEN ZUM §13 SMG AN DER SCHULE Der Paragraph 13 Abs.1 des Suchtmittelgesetzes verpflichtet Schulen jenen Schüler/innen, dieillegale Suchtmittel konsumieren, gezielte Hilfe anzubieten. Dadurch soll jungen Menschen früh-zeitig Unterstützung angeboten werden – ohne zu strafen, ohne Anzeige und ohne Diskriminie-rung. Unter dem Motto:  „Helfen statt strafen“. Bei einem begründeten Verdacht auf den Konsum von illegalen Substanzen muss nach einem Ablaufplan auf Basis des Suchtmittelgesetzes ge-handelt werden, der das Prinzip „Helfen statt strafen“ in den Mittelpunkt stellt. Konsequenzenund Sanktionen sind vielfach notwendig. Jedoch sollten sie für alle Beteiligten einschätz- undnachvollziehbar  sein.  Dazu  hat  das  Bundesministerium  für  Bildung,  Wissenschaft  und  For-schung unter Mitwirkung der Fachstellen für Suchtprävention einen neuen Leitfaden veröffent-licht. Für Oberösterreich gibt es eine leicht adaptierte Ausgabe. Download:  praevention.at/schule §13 Buch tipps C a ta le n ca /p h o to ca se .d e


youtube.com/praeventionat und facebook.com/praevention.at Ein Angebot für Familien mit Kindern  von 10 bis 14 Jahren FAMILIEN STÄRKEN  ©  J a co b  L u n d / fo to li a .c o m Anlaufstellen zum Thema Kaufsucht und Verschuldung: Ambulanz für Spielsucht - pro mente OÖNeuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums Wagner-Jauregg-Weg 15, 4020 Linz www.spielsuchtambulanz.atInformation, Behandlung und BegleitungThemen: Glückspielsucht, Internetsucht, Kaufsucht, Arbeitssucht und Sexsucht Schuldnerhilfe OÖZentrale: Stockhofstraße 9, 4020 Linzwww.schuldner-hilfe.atSchuldnerberatung, Beratung zu den Themen Glücksspielsucht und Kaufsucht, Familienberatung und Scheidungsberatung, Finanzbildung Schuldnerberatung OberösterreichZentrale: Spittelwiese 3, 4020 Linzwww.ooe.schuldnerberatung.at Schuldnerberatung, Finanzbildung Beratung und Hilfe bei Suchtproblemen und schwierigen Lebenssituationen: Sucht- und Drogenkoordination Land OÖBahnhofplatz 1, 4021 Linz,www.land-oberoesterreich.gv.at/12831Allgemeine Beratung und Information über Sucht und DrogenVermittlung, Koordination von Hilfemaßnahmen: Vorbeugung, Abstinenz- und Substitutionsbehandlung, Beratung für Hörgeschädigte mit Suchtproblematik pro mente OberösterreichLonstorferplatz 1, 4020 LinzPsychosoziale Beratungwww.pmooe.at Krisenhilfe Oberösterreich:0732 / 2177  – Notruf, rund um die Uhr erreichbar Viele weitere Anlaufstellen für Oberösterreich finden Sie unter: www.praevention.at/help Y Y Die Pubertät ist eine Zeit, die besonders viele Veränderungenbringt. Was vorher gut funktioniert hat, tut es vielleicht nichtmehr.  Konflikte  häufen  sich.  Oft  entstehen  Situationen,  indenen es schwer ist, miteinander zu reden. Aber eigentlichwünschen  sich  alle,  wieder  besser  miteinander  auszukom-men. Genau dabei möchte „FAMILIEN STÄRKEN“ unterstützen. Das Programm  richtet sich an Familien mit mindestens einem Kind im Alter von10 –14 Jahren. Es besteht aus 11 Treffen. Jedes Treffen dauert 3 Stunden und endet mit einem gemeinsamen Abendessen. „Familien stärken“ ist kostenlos.  Bei Be- darf wird eine Kinderbetreuung für jüngere Geschwister angeboten. Eltern und Erziehungsberechtigte erfahren  •  wie Jugendliche in diesem Alter denken, fühlen und handeln.•  wie sie  mit ihren Kindern Probleme lösen und Regeln vereinbaren können.•  wie sie Liebe und Wertschätzung ausdrücken können.•  wie sie Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum entgegenwirken können. Kinder und Jugendliche lernen•  wie sie mit Ärger und Stress besser umgehen können.•  wie sie ihre Gefühle zeigen und Bedürfnisse ausdrücken können.•  wie sie Konflikte gut austragen können.•  wie sie Freundschaften eingehen und pflegen können. Familien erfahren •  wie positive Kommunikation in der Familie gelingen kann.•  was das Besondere an ihrer Familie ist.•  was ihre Familie stark macht. Nächster Programmstart: 22. Oktober 2019 Nähere Informationen: www.praevention.at/familienstaerken Stärken auch Sie Ihre Familie! „Wir haben gelernt, entspannter miteinander umzugehen.“ „Ich lobe mein Kind häufigerund habe gelernt, konsequentund klar zu sein.“