Einkäufe impulsive bzw. unkontrollierte Käufe seien.
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Ein weiteres Indiz,
dass unser Konsumverhalten zu großen sozialen Problemen führen kann,ist die Entwicklung der Konsumschulden. Diese haben in Österreich in derVergangenheit deutlich zugelegt. Laut einer im Vorjahr durchgeführtenUmfrage gab jeder zweite Befragte an, privat verschuldet zu sein. 22 %der Österreicher haben demnach einen Konsumkredit. Der Rest setzt sichaus Schulden bei Familie oder Freunden, Kreditkartenschulden und Händ-lerkrediten zusammen. Letztere belaufen sich auf immerhin 5 %, Tendenzsteigend.
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Angestiegen ist auch die Anzahl der Privatkonkurse in Öster-
reich, die im Jahr 2018 erstmals die 10.000er-Marke überschritten hat.
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Beschleunigung als Bumerang
Eine der Ursachen für diese Entwicklung könnte – sozialwissenschaftlichbetrachtet – das gesellschaftspolitische Phänomen der „Beschleunigungund Entfremdung“ sein, zumindest bezeichnet dies der deutsche Sozio-loge Hartmut Rosa in seiner gleichnamigen Veröffentlichung aus demJahr 2013 so. Rosa unterscheidet dabei zwischen der technischen Be-schleunigung, der Beschleunigung des sozialen Wandels und der Be-schleunigung des Lebenstempos.
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Die technische Beschleunigung zeige
sich dabei laut Rosa vor allem im digitalen Sektor, wirke sich aber indirektauf unser Lebenstempo aus. Dabei entstehe ein paradoxer Effekt. Denndie technische Beschleunigung führe nicht dazu, dass der Einzelne mehrZeit zur Verfügung hat, weil er für einzelne Tätigkeiten weniger Zeit be-nötigt, sondern das Gegenteil tritt ein: Die Menschen leiden unter Zeit-knappheit, weil möglichst viele Optionen realisiert werden wollen, aus„jener unendlichen Palette der Möglichkeiten, die die Welt uns eröffnet".
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Das Leben auszukosten werde zum zentralen Streben des modernenMenschen - ein Erfahrungshunger, der allerdings nicht gestillt werdenkönne: „Ganz egal, wie schnell wir werden, das Verhältnis der gemachtenErfahrungen zu denjenigen, die wir verpasst haben, wird nicht größer,sondern konstant kleiner". Dazu kommt, so Rosa, dass Depressionen undBurnout stark zugenommen hätten. Die zunehmende Beschleunigung dessozialen Wandels habe auch gesamtgesellschaftlich zu einer rasanten Ver-änderung von Werten, Lebensstilen und Beziehungen geführt, letztlich zueiner Welt, in der sich viele Menschen nicht mehr zurechtfinden.
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„Gesellschaftlich und kulturell besteht der Anspruch, auf allen Ebenenein erfülltes Leben zu führen", wird Karl Kollmann, der unter anderem fürdie österreichische Arbeiterkammer zum Thema Kaufsucht geforscht hat,im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ zitiert.
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Das erzeuge Druck, für den
viele Menschen einen Ausgleich suchen. Nach einem stressigen Arbeits-tag etwa belohnen sie sich mit dem Kauf eines neuen Pullovers. Der Kon-sum sei die simpelste Medizin, um Frustration aus dem Alltag zukompensieren, erklärt Kollmann: „Ich entschädige mich dafür, indem ichmir etwas kaufe, das mir gefällt.“ Das sei an sich noch kein Problem, beiMenschen mit Kaufsucht verselbstständige sich dieser Mechanismus je-doch. Oder: „Aus einem „Liking“ wird ein „Wanting“ – wie Astrid Müller,eine der renommiertesten deutschsprachigen Expertinnen zum ThemaKaufsucht, es im „Spiegel“ formulierte.
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Und weiter: „Dann macht Kaufen
keinen Spaß mehr, es befriedigt nur noch einen Drang – und vertreibtLangeweile.“
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Denn die Kaufhandlungen bei kaufsüchtigen Menschen
dienen in erster Linie der Emotionsregulation und nicht dem nachhaltigenKonsum, der Bereicherung oder dem gewinnbringenden Wiederverkauf“.Das bestätigen übrigens auch die praktischen Erfahrungen von KatharinaMalzner und Wulf Struck von der Schuldnerhilfe OÖ, die in ihren Bera-tungsgesprächen mit kaufsuchtgefährdeten Menschen oft auf das Motivder Langeweile stoßen (siehe S.10).
Nur wenige Hilfsangebote
Der Vielzahl an gesellschaftlichen Faktoren, die problematisches oder pa-thologisches Kaufen begünstigen, steht auf struktureller Ebene eine sehrbescheidene Anzahl an Hilfeangeboten gegenüber. Das ist sowohl inÖsterreich als auch in Deutschland der Fall: „Die Versorgungslage ist mi-serabel.“, wird Astrid Müller im „Spiegel“ zur Lage in Deutschland zitiert.Laut der Expertin sollten Kaufsüchtige idealerweise in kleinen Gruppentherapiert werden, um sich auch gegenseitig zu coachen. Ein großes Pro-blem dabei ist, dass Kaufsüchtige meist erst in einem kritischen StadiumHilfe suchen. „Die meisten kaufsüchtigen Patienten begeben sich erst inTherapie, wenn sie wegen der immensen kaufsuchtbedingten Verschul-dung nicht mehr ein noch aus wissen, sie von ihren Familienangehörigenoder Freunden darum gebeten wurden oder ihnen ihr Anwalt dazu gera-ten hat. Manchmal besteht auch eine gerichtlich verordnete Therapieauf-lage. Dies ist der Fall, wenn zur Befriedigung des Kaufdrangs bereitsStraftaten begangen worden sind und Anzeigen wegen Vortäuschen von
Zahlungsunfähigkeit, Veruntreuung o.Ä. vorliegen.“, beschreibt Müller ineiner ihrer Publikationen
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den Leidensdruck ihrer Patientinnen und Pa-
tienten zum Thema Kaufsucht. Ein Phänomen, das auch Kurosch Yazdi,Leiter der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin sowie desKlinikzentrums Psychiatrie am Kepler Universitätsklinikum in Linz, bestä-tigt: „Die Kaufsüchtigen, die bisher zu uns gekommen sind, waren jene,die wirklich schwer krank und auch schwer verschuldet waren. In diesenFällen brennt meistens schon der Hut, da ist kein Geld mehr für das nor-male Leben übrig, da sind alle Ersparnisse verloren gegangen. Das ist na-türlich dramatisch, weil es zu vielen unangenehmen Situationen kommt:Scheidungen, familiäre Zerwürfnisse, mitunter auch zu Beschaffungskri-minalität.“ (siehe Seite 3) In Oberösterreich gibt es erfreulicherweise mitder Ambulanz für Spielsucht von pro mente Oberösterreich sowie denBeratungsstellen der Schuldnerhilfe OÖ und der OÖ Schuldnerberatungzumindest drei kostenlose Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige.Diese Anlaufstellen können helfen, sowohl im Vorfeld mögliche Problemeabzuklären bzw. im Bedarfsfall auch entsprechende Behandlungsmög-lichkeiten anzubieten bzw. weiterzuvermitteln.
Prävention von Kaufsucht
Was aber bedeutet dieses Gemenge aus strukturellen und individuellenFaktoren für die Prävention von Kaufsucht? Fakt ist: Umweltfaktoren las-sen sich meist nicht völlig ausblenden. Dazu zählt bei der Kaufsucht natür-lich unsere Konsumgesellschaft mit ihren ständig verfügbaren Angeboten.Beim problematischen oder süchtigen Kaufverhalten kommt erschwe-rend dazu, dass diese Verhaltenssucht nicht abstinent gelebt werdenkann, da der Einkauf von Lebensmitteln oder anderen Produkten für dentäglichen Bedarf notwendig ist. Gesetzliche Einschränkungen, wie etwadie Beschränkung von Öffnungszeiten, die Verschärfung von Jugend-schutzgesetzen etc. sind zwar grundsätzlich möglich, dauern aber langein der Umsetzung und sind auch nicht immer erwünscht. Zudem lösensie das Problem der 24/7-Verfügbarkeit im Online-Bereich auch nicht.Daher konzentrieren sich viele Präventionsansätze auf die individuelleEbene. Hier ist es von Bedeutung, dass Prävention und Gesundheitsför-derung nicht nur dazu beitragen, persönliches Problem- und Fehlverhal-ten zu verhindern, sondern auch die jeweiligen Bewältigungsressourcenzu fördern, zu aktivieren und zu stärken.
Eine wesentliche Aufgabenstellung in diesem Zusammenhang ist die Ent-wicklung von persönlichen Schutzfaktoren sowie die Minimierung vonRisikofaktoren. Müller zählt zu den wichtigsten Risikofaktoren der Kauf-sucht unter anderem Depression, soziale Ängste und damit verbundeneSelbstwertprobleme sowie Selbstunsicherheit, Defizite in der Selbstkon-trolle, eine materielle Wertorientierung, negative Lebensereignisse, biolo-gische aber auch Umweltfaktoren, wie etwa Anreize aus dem Marketing.
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Demgegenüber stellt in diesem Zusammenhang eines der bewährtestenund auch am besten untersuchten präventiven Modelle der Life-Skills-Ansatz dar. Lebenskompetenz-Programme kommen in unterschiedlichenPräventionsbereichen wie Sucht, Gewalt, Suizid usw. zum Einsatz. DasErlernen von sozialen und persönlichen Fähigkeiten sind wichtige Schutz-faktoren, die vor der Ausbildung problematischer Verhaltensweisenschützen. Dazu zählen beispielsweise der Umgang mit Gefühlen, Genuss-fähigkeit oder der Aufbau eines stabilen, positiven Selbstwertgefühls. Un-terschiedliche Praxisprojekte haben den „Life-Skills-Ansatz“ aufgegriffen,ihn modifiziert und erweitert. Ein Beispiel ist das vom Institut Suchtprä-vention angebotene Unterrichts-Programm „Plus“ (Sekundarstufe I), beidem auch substanzunspezifische Themenbereiche, wie der Umgang mitStress und Belastungen oder die Förderung sozialer Kompetenzen aufdem Programm stehen.
Beim Thema Kaufsuchtprävention sind also einerseits die Stärkung vonLebenskompetenzen, die sich allgemein positiv auf die persönliche Ent-wicklung auswirken gefragt, aber auch konkrete Wissensvermittlung inden Bereichen Finanzkompetenz und Schuldenprävention. So geht es beider Kaufsuchtprävention im Kindes- und Jugendalter neben der Vermitt-lung aktiver Bewältigungsstrategien natürlichauch um konkrete „Geldwirtschaftserziehung“,wie das Erlernen von Selbstkontrolle in finanziel-len Angelegenheiten, wie zum Beispiel das Erhal-ten eines wöchentlichen Taschengeldes. Vonbesonderer Bedeutung ist dabei natürlich auchdie Werthaltung der Eltern, die auch die ehrlicheReflexion des eigenen Konsumverhaltens als Er-ziehende sowie das Hinterfragen von Werbebot-schaften, Medieninhalten, Gruppenzwang zu Mar-kenprodukten usw. ermöglicht.
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Nina Tröger, Kaufsucht in Österreich, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien 2017, S.6 2 Gerhard Raab, Michael Neuner, Kaufsucht als nichtstoffgebundene Abhängigkeit entwickelter Konsumgesellschaften. Wesen,
Entwicklungstendenzen und Forschungsperspektiven, in: Dominik Batthyány, Alfred Prinz, Rausch ohne Drogen, Substanzungebundene Süchte, Wien, 2009, S.95 3 PeterZellmann, SonjaMayrhofer, IFT - Institut für Freizeit-und Tou-rismusforschung, Forschungstelegramm 1/2018, Wien, 2018 4 https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5572361/Onlinehandel_Oesterreich-kann-mit-anderen-EULaendern-nicht-mithalten 5 Internet-Einzelhandel 2018,https://www.wko.at/branchen/handel/internet-einzelhandel-2018.html 6 Tröger, 2017, S.13 7 6. Hannöverscher Suchthilfetag 2011, Vortrag Prof. Dr. Gerhard Raab, FH Ludwigshafen, Unkontrolliertes und „süchtiges“ Kaufverhalten8
https://diepresse.com/home/wirtschaft/boerse/5415916/Jeder-zweite-Oesterreicher-hat-Konsumschulden 9 www.ksv.at/Insolvenzstatistik_Private_2018_final.pdf 10, 11, 12 Sebastian Hammelehle, Beschleunigung – Das alles be-
herrschende Monster, Spiegel-Online, 2013, www.spiegel.de/kultur/literatur/hartmut-rosa-beschleunigung-und-entfremdung-a-908140 13 Daniela Schumacher, Teresa Nauber, Kaufen ohne Kontrolle, Wenn Shoppen zur Sucht wird,Spiegel-Online, 2017 14 Schumacher, Nauber, 2017 15 Schumacher, Nauber, 2017 16,17 Astrid Müller, Klaus Wölfling, Kai W. Müller, Verhaltenssüchte – Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht, 2018 S. 42
„Der Konsum ist die simpelste Medizin,
um Frustration aus dem Alltag zu kompensieren.“
Kollmann
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Günther Ganhör