„Ich bin bei diesen
Begegnungen zunächst
einmal Gast - eine ganz
andere Rolle als im
Krankenhaus, wo ich
das Hausrecht und einen
Kittel habe.“
nach Deutschland suchte ich nach Möglichkeiten,
auch hier so zu arbeiten. Und fand die Sozialpsychiatrischen Dienste, die ganz überwiegend aufsuchend, niederschwellig und unmittelbar in der
Realität der Betroffenen tätig werden.
Parallel dazu veränderte sich meine eigene
familiäre Situation. Wir bekamen Kinder, und die
„alten Herrschaften“ in unserer Familie wurden
älter und unterstützungsbedürftiger. Ohne die
Bereitschaft meines Arbeitgebers, der Stadt Dortmund, meine Arbeitszeit über volle elf Jahre auf
zwei Drittel zu reduzieren, hätten wir es nicht geschafft, vier Kinder großzuziehen und gleichzeitig
vier „Oldies“ zu versorgen.
Inzwischen arbeite ich wieder Vollzeit. Ich
kümmere mich mit Kollegen (neben Ärzten auch
Sozialarbeiter und -pädagogen, Pflegekräfte und
Verwaltungsangestellte) um chronisch psychisch
Kranke, die so beeinträchtigt und isoliert leben,
dass sie die Angebote niedergelassener Kollegen
oder Kliniken nicht nutzen können. Wir suchen die
Menschen zu Hause auf – manchmal die ersten
IM PROFIL
Besucher seit Jahren - und kümmern uns zuerst
Dr. Thomas Lenders (54)
um praktische Dinge: Lebensmittel, Arbeitslosen
geld, Sozialhilfe, Krankenversicherung, Miete.
verheiratet, vier Kinder
Erst dann geht es um die Krankheit, die zu die Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
ser Lebenssituation geführt hat (meist Psychosen
seit 1999 im Sozialpsychiatrischen Dienst
oder langjährige Sucht): Welche Sicht haben die
des Gesundheitsamtes Dortmund
Betroffenen selbst? Wo und wie können sie sich
Änderung oder Behandlung vorstellen? Was ist
Trennung von ambulanter und stationärer Versor- der nächste Schritt? Ich bin bei diesen Begeggung gibt es dort nicht. Als psychiatric registrar nungen zunächst einmal Gast - eine ganz andere
behandelte ich die Patienten dort, wo sie waren. Rolle als im Krankenhaus, wo ich das Hausrecht
Wenn sie stationäre Versorgung brauchten, ging und einen Kittel habe.
ich zu ihnen ins Krankenhaus, wenn sie dazu in
„Vermisst du den OP und den Rezeptblock
der Lage waren, kamen sie in die Ambulanz. Und denn gar nicht?“, werde ich oft von früheren Kolwenn sie sich sehr zurückgezogen hatten, fuhr ich legen aus Studium und Krankenhaus gefragt. Ja
mit den Domiciliary Nurses (aufsuchenden Kran- klar, irgendwie schon. Aber meine Arbeit passt
kenpflegekräften) eben zu ihnen nach Hause.
zu mir. Und ich kann mein Wissen um (seelische)
Die aufsuchende Arbeit in der unmittelbaren Krankheiten sehr sinnvoll einsetzen.
Lebens- und Wohnsituation der Patienten hat
mich sehr beeindruckt. Nach meiner Rückkehr
23