05/2021 SEIT  1946 VIELFALT  ALS  SOZIALE  FRAGE Hart und stabil: Sozialdemo­kratische Integrationspolitik Nurten Yilmaz Der lange Weg zum legalen L(i)eben Sebastian Pay Für einen Feminismus für ALLE Tatjana Gabrielli Vielfalt muss immer eine soziale Frage sein! Mario Lindner 5,– Euro, Österreichische Post AG,  P.b.b. Abs.: Gesellschaft zur Herausgabe der Zeitschrift ZUKUNFT,   Kaiserebersdorferstrasse 305/3, 1110 Wien, MZ 14Z040222 M, Nr. 05/2021


  EDITORIAL Für viele waren die letzten Jahre und Jahrzehnte geprägt von  einer Fülle neuer Möglichkeiten und einem gesellschaftlichen  Trend, der sich immer stärker in Richtung Offenheit, Vielfalt  und Akzeptanz entwickelt hat. An kaum einem Beispiel lässt  sich diese Entwicklung besser verfolgen als an der Geschichte der LGBTIQ-Community. Trotz vieler noch immer bestehender  Diskriminierungen erleben Schwule, Lesben, Bisexuelle, in-tergeschlechtliche, transidente und queere Personen (LGBTIQ) heute ein nie gesehenes Maß an persönlichen Freiheiten und öffentlichem Interesse. Dass genau dieser Weg zu gesellschaft-licher Emanzipation zeitgleich zur Umgestaltung Europas  durch den Neoliberalismus geschah ist kein Zufall … und genau das stellt progressive Bewegungen vor ein Dilemma.  Während die einen Offenheit und Vielfalt als Grundsteine ei- ner modernen Gesellschaft begreifen, sehen die anderen darin reine „Identitätspolitik“, die von den echten Problemen sozi-aler Ungleichheit und massiver Ungerechtigkeiten im neoli-beralen System ablenkt. Die vorliegende Ausgabe 05/2021 der  ZUKUNFT geht einen anderen Weg: Unsere Autor*innen argu- mentieren aus verschiedensten Sichtweisen heraus, dass Viel-falt und Offenheit nur als soziale Fragen erfolgreich sein kön-nen – statt einem Entweder-Oder argumentieren sie für eine bedingungslose Verbindung von gesellschaftlichen Kämpfen auf allen Ebenen! Ganz in diesem Sinne zeigt Mario Lindner mit seinem er-öffnenden Beitrag zum Thema Identitätspolitik, warum Viel- falt für Linke immer eine soziale Frage sein muss. Er wendet  sich dabei klar gegen die Übernahme rechter Diskurse durch progressive Kräfte sowie das Ausspielen von Kämpfen um ge-sellschaftliche Anerkennung und gegen soziale Ungleichheit.  Der Autor kritisiert dabei das Abtun des Feminismus und der Kämpfe von Migrant*innen oder queeren Gruppen als „Or- chideenthemen“, die in einen vermeintlichen Widerspruch zur sozialen Frage gestellt werden. Emanzipation und der  Kampf gegen die individualisierenden Tendenzen des Neo-liberalismus müssen stattdessen immer Hand in Hand gehen. Mit der Forderung nach einem Projekt radikaler Solidarität  appelliert er daher für eine Politik, die Emanzipation und  Gerechtigkeit als zwei Seiten einer Medaille betrachtet … und nur gemeinsam zu einem „guten Leben für ALLE“ führen kann. Nurten Yilmaz stellt in der Folge die moderne sozialdemo-kratische Integrationspolitik in den Mittelpunkt ihres Bei-trages. Sie sieht es bereits als Zeichen von Unsicherheit, dass Integration überhaupt zu einer Frage erklärt und nicht von einer Migrationsgesellschaft als Normalität ausgegangen wird. Die Autorin stellt das verbindende Element der sozialdemo-kratischen Integrations- und Interessenspolitik in den Vorder-grund. Es geht unter anderem darum, gleiche soziale sowie politische Rechte zu schaffen und eine allgemeine Teilhabe zu ermöglichen. Diese „ermächtigende Integrationspolitik“ meint im Bildungssektor beispielsweise die Einrichtung und den Ausbau von (sozialen und demokratischen) Bildungsein-richtungen. Es geht um Integration von Anfang an und das Schaffen von öffentlichen Strukturen, die dies ermöglichen.  Eine Politik, wie Yilmaz sie skizziert, bringt die diversen Menschen und Arbeitnehmer*innen zusammen – während  andere nach Herkunft und Sprachen spalten, stärkt diese Inte-grationspolitik das Gemeinsame. Vielfalt als soziale Frage BIANCA BURGER, SEBASTIAN PAY UND ALESSANDRO BARBERI


 ZUKUNFT | 3    Auch innerhalb des Feminismus gibt es, wie Tatjana   Gabrielli  zeigt, Ausgrenzung, Rassismus, Transphobie und Homophobie, Diskriminierung wegen Einkommen, Herkunft und Klasse – all das betrifft auch die feministischen Kämpfe.  Was es daher braucht, ist ein Feminismus für ALLE Menschen.  Gabrielli leitet diesen Anspruch aus den historischen Kämpfen um Gleichstellung und Gerechtigkeit ab und zeigt an histo- rischen Beispielen, wie feministische Intersektionalität funkti-onieren kann. Die Herausforderungen eines inklusiven Femi-nismus finden sich aber nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Gegenwart: Strömungen wie der transexklusive  Feminismus (TERF), der Transfrauen aus feministischen Kämp- fen und Räumen ausschließen will, laufen genau dieser Vision eines Feminismus für ALLE zuwider. Die Bewegung für Gleich-berechtigung und Solidarität müsse daher auch heute inklusiv  sein, die Lebensrealitäten und Herkünfte aller Frauen beachten  und – natürlich – zu jedem Zeitpunkt die soziale Frage stellen. 1971 wurde Homosexualität im Zuge der Kleinen Strafrechtsre- form entkriminalisiert. Wie lang der Weg bis dorthin war, skiz-ziert dann Sebastian Pay in seinem Beitrag über den langen  Weg zum legalen L(i)eben. Die Verfolgung und Bestrafung Ho- mosexueller während des Nationalsozialismus war mit dessen  Ende 1945 noch längst nicht vorbei. Verurteilungen und Zeiten  in Konzentrationslagern blieben auch nach 1945 als Vorstrafen bestehen. Wie Pay deutlich macht, muss in dieser Hinsicht von einer Rechts- und Alltagskontinuität zwischen dem NS-System und der Zweiten Republik ausgegangen werden. Österreich gehörte nach Kriegsende zu jenen Ländern, welche die ge-richtliche Verfolgung am konsequentesten weiterführten. Erst durch den Einsatz zahlreicher Aktivist*innen und die aktive  Unterstützung der Sozialdemokratie konnte der Kampf um le- gales L(i)eben vor genau 50 Jahren gewonnen werden – heute muss diese Geschichte ein Vorbild für die aktuellen Kämpfe um  Gleichstellung, Solidarität und Gerechtigkeit sein. Während gerade die Gleichstellung von Schwulen, Lesben  und Bisexuellen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr  Aufmerksamkeit bekommen hat, bleiben andere Diskriminie- rungen leider noch viel zu oft unter der öffentlichen Wahr-nehmungsgrenze: Gerade transidente, intergeschlechtliche und non-binäre Menschen werden in unserer Gesellschaft noch im-mer unsichtbar gemacht, ausgegrenzt und sind viel zu oft mit  Unverständnis, Hass oder sogar Gewalt konfrontiert. Als eine  der wenigen gewählten Transpolitiker*innen in Österreich be-schreibt Dominique Mras in ihrem Beitrag die Herausforde-rungen, vor die vielfältige Geschlechtsidentitäten unsere Ge-sellschaft stellen – und wie sie auf Basis von Selbstbestimmung,  Anerkennung und Sichtbarmachung gelöst werden können.  Mras zeigt anhand historischer Beispiele aus der Geschichte von  Transpersonen in Österreich, welche Hürden und Blockaden (oft unbemerkt vom Rest der Gesellschaft) gegen die Selbstbe- stimmung dieser Gruppe aufgebaut wurden und werden. Soziale und gesellschaftliche Auseinandersetzungen geschehen in Österreich natürlich nicht abgekapselt vom Rest der Welt. In ganz Europa ist in den letzten Jahren ein Backlash spürbar, der Sozial- und Demokratieabbau unter dem Deckmantel von  Angriffen gegen Minderheiten durchsetzt. Ungarn und Po- len sind wohl die dramatischsten Beispiele für die massiven  Attacken gegen LGBTIQ-Personen, Frauen oder auch Roma  und Sinti. Camila Garfias, die Präsidentin des europäischen Gleichstellungsnetzwerks  Rainbow Rose, zeigt in ihrem Bei-trag, nach welchen Mustern die politischen Kämpfe in unseren Nachbarstaaten verlaufen und was dagegen auf europäischer  Ebene getan wird … und wie auch Menschen in Österreich auf Basis internationaler Solidarität einen Beitrag zum Kampf für  gleiche Rechte und Gerechtigkeit leisten können. Mit einer Vorreiterstudie zeigte auch die Arbeiterkammer  Wien im Jahr 2017, wie die Felder von Identität und Arbeits- welt zusammentreffen. Von Schlechterstellung bis Mobbing, von Gehaltsproblemen bis zur Kündigung reichen die Konse- quenzen, mit denen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ori-entierung oder Geschlechtsidentität auch in Österreich im-mer noch in ihrem Job konfrontiert werden. Das führt, wie die Studienautor*innen Daniel Schönherr und  Martina   Zandonella zeigen, dazu, dass viele ihre Identität am Arbeits-


platz verheimlichen, andere Rollen spielen und damit enormen psychischen Stress auf sich nehmen. Klar macht diese Studie damit auch, wie eng die soziale Frage und unsere gesellschaftli-che Vielfalt nicht nur in politischen Kämpfen, sondern im ganz banalen Alltag miteinander verknüpft sind – und warum genau deshalb die Forderung nach gesellschaftlicher Akzeptanz immer  Hand in Hand mit dem Kampf um gute Löhne und gerechte  Arbeitsbedingungen gehen muss. Unter der provokanten Überschrift Marx unter’m Regenbogen  macht der langjährige Aktivist Hans­Peter Weingand einen  Ausflug in die wechselhafte Geschichte von linken Zugängen  zu (sexueller) Vielfalt. Das Spannungsverhältnis zwischen Fra-gen der Identität und dem Kampf für Umverteilung war nie ein  Einfaches und sorgte, wie Weingand zeigt, in Zeiten von Marx  und Engels genauso für Debatten, wie in der Frage der Aufar-beitung von NS-Verbrechen. In einem Streifzug vom 19. Jahr-hundert bis zur Gegenwart zieht der Autor, der selbst einer der ersten offen schwulen Aktivisten innerhalb der SPÖ war, Lehren für die Gegenwart: Insbesondere der Kampf gegen neoliberale Individualisierung müsse stets im Zentrum des Emanzipations-kampfes sein – unter’m Regenbogen müssten Klassenkampf und Pride-Parade zusammengehören. Dass eine Demokratie ihre eigene Entwicklung entlang von Sprache und Symbolen verhandelt, nimmt in der Folge Mar­ ty Huber zum Ausgangspunkt diesbezüglicher Überlegun-gen, die vor allem von den „diskursiven“ Problemzonen der  LGBTIQ-Bewegung berichten. Denn, was in einer gegebenen Gesellschaft oder Kultur sagbar ist und was nicht, formiert auch, wie diese Gesellschaft sich ausrichtet, ob sie also Ausschlüsse  stärkt oder Inklusivität anstrebt. In Österreich ist diese Ausei- nandersetzung eine Geschichte des „Sounds of Silence“, der auf vielen Ebenen das Tabuisierte und mithin die Sprache(n) der Minderheit(en) von der öffentlichen Aussprache trennt. In diesem Sinne nimmt der Beitrag den Fall einer gestohlenen  Regenbogenfahne zum Anlass, die Bereiche der Toleranz, der  Akzeptanz und des gemeinsamen Feierns auszuloten, um auch  die diesbezügliche Doppelmoral der katholischen Kirche zu kritisieren. Auch freut es die Redaktion in besonderem Maße, dass    Offerus Ablinger uns eine zum Thema passende Bildstre- cke mit dem Titel Trans/Masc  zur Verfügung gestellt hat, die er auch am Ende dieser Ausgabe mit einem Beitrag erläutert.  Dabei gibt er einen Einblick in seinen Produktionsprozess und  macht gleichzeitig deutlich, wie Fragen der LGBTIQ-Bewegung auf unterschiedlichen Ebenen ästhetisch vor Augen geführt  werden können. Wir hoffen, dass wir unseren Leser*innen mit dieser Ausgabe  der ZUKUNFT neue Blickwinkel auf die verschiedenen Arenen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bieten können. Unse-re Autor*innen bieten mit ihren Analysen nicht nur Perspek-tiven auf die Herausforderungen einzelner Gruppen und span-nende historische Ableitungen, sondern auch den Grundstein einer politischen Agenda, die langfristig die gewachsenen Grä-ben progressiver Politik überwinden kann. Wir grüßen unsere  Leser*innen im Namen der Redaktion und in allen Farben des Regenbogens … BIANCA BURGER  ist Redaktionsassistentin der ZUKUNFT und hat sich nach ihrem   geisteswissenschaftlichen Studium der Frauen- und Geschlechter- geschichte sowie der historisch-kulturwissenschaftlichen Europaforschung  in den Bereichen der Sexualaufklärung und der Museologie engagiert. SEBASTIAN PAY  ist Bundessekretär der sozialdemokratischen LGBTIQ-Organisation  SoHo, studiert Geschichte und Soziologie und ist u. a. als   parlamentarischer Mitarbeiter für die Themenbereiche   Gleichbehandlung und  Diversität tätig. ALESSANDRO BARBERI ist Chefredakteur der ZUKUNFT; Bildungswissenschaftler, Medien- pädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien.  Politisch ist er in der SPÖ Landstraße aktiv. Weitere Infos und Texte online  unter: https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/


Inhalt 6     Vielfalt muss immer eine soziale Frage sein!    VON MARIO LINDNER 12    Hart und stabil: Sozialdemokratische     Integrationspolitik    VON NURTEN YILMAZ 16    Für einen Feminismus für ALLE    VON TATJANA GABRIELLI 20    Der lange Weg zum legalen L(i)eben    VON SEBASTIAN PAY 24    Geschlechtervielfalt in Österreich    VON DOMINIQUE MRAS 30    Der Kampf für Gleichberechtigung ist international    VON CAMILA GARFIAS 32    LSBTI und Arbeitswelt    VON DANIEL SCHÖNHERR UND MARTINA ZANDONELLA 36    Wenn das Wort Feuer wird …    VON MARTY HUBER 40    Karl Marx unter’m Regenbogen    VON HANS-PETER WEINGAND 46    Malerei, Installation, Performance und      bewegtes Bild     VON OFFERUS ABLINGER OFFERUS ABLINGER – TRANSMASC (SERIE 2) #10 (2020)ÖL AUF LEINWAND, 200 X 101 CM IMPRESSUM Herausgeber: Gesellschaft zur Herausgabe der Zeitschrift »Zukunft«, 1110 Wien, Kaiserebersdorferstraße 305/3 Verlag und Anzeigenannahme: VA Verlag GmbH,  1110 Wien, Kaiserebersdorferstraße 305/3, Mail: office@vaverlag.at Chefredaktion: Alessandro Barberi Stellvertretende Chefredaktion: Thomas Ballhausen  Redaktionsassistenz: Bianca Burger Redaktion: Julia Brandstätter, Hemma Prainsack, Katharina Ranz, Constantin Weinstabl Online-Redaktion: Bernd Herger Mail an die Redaktion: redaktion@diezukunft.at Cover: Offerus Ablinger – TransMasc (Serie 2) #10 (2020) © Offerus Ablinger


 6 | ZUKUNFT  MARIO LINDNER  diskutiert eingehend die Problemfelder Queere Rechte, Feminismus sowie die Gleichstellung von  Migrant*innen, die in der Linken immer öfter als „Identitätspolitik“ abgetan und in einen vermeintlichen Widerspruch zur sozialen Frage gestellt werden. Insgesamt fordert er zu einem Projekt radikaler Solidarität auf.  Vielfalt muss immer eine  soziale Frage sein! VIELFALT MUSS IMMER EINE SOZIALE FRAGE SEIN!  VON MARIO LINDNER I. EINLEITUNG Über Gleichheit zu reden ist oft nicht einfach. Gerade in  der Linken erleben wir in den letzten Jahren eine Debatte, die Identitätspolitik gegen die sozialen Fragen ausspielt. Das Nar-rativ dahinter ist, zumindest für die Verfechter*innen eines Zugangs, der wieder die „harten“, sozialen Themen ins Zent-rum rücken will, ziemlich simpel: Viel zu lange haben sich die Linken und Progressiven „Orchideenthemen“ zugewandt. Sie haben Minderheiten bedient und deren Interesse vor die In-teressen der Mehrheit gestellt … und sie haben damit verlo-ren. Von Hillary Clinton in den USA bis zu Christian Kern in Österreich müssen sich diesen Vorwurf eine ganze Reihe von Sozialdemokrat*innen anhören. Und ein Funken von Wahr-heit steckt in dieser Anklage schon drin. Denn während Sozialdemokrat*innen und Sozialist*innen  in den vergangenen Jahrzehnten, spätestens seit den 1990er-Jahren, immer seltener die Verteilungsfrage gestellt haben, ha-ben sich Themen wie Frauenrechte, Migration und LGBTIQ-Themen 1  immer stärker durchgesetzt. Dieser Trend spiegelt  sich auch in der Gesellschaft wieder: Immer mehr Gruppen artikulieren heute ihre Forderungen und kämpfen für ihre Grund- und Menschenrechte. Der Einsatz für mutige Um-verteilung oder eine gerechte Arbeitswelt wurde dagegen lei-ser. Gerade hier wirkte die Sozialdemokratie oft eher wie die mutlose Verteidigerin eines alten Systems, das schon längst nicht mehr für alle funktioniert … und weniger wie die Vor-kämpferin von Reformen für die Vielen. Doch am Ende des Tages ist die Idee, dass die richtige  Antwort auf verteilungspolitische Mutlosigkeit das Kleinma-chen, Belächeln und Wegdrängen von Fragen der Gleich- heit und der Menschenrechte sei, vor allem eines: Billig. Die-ser Zugang ist nicht nur ideologielos, sondern übernimmt ganz bewusst Diskurse von Neoliberalen und Rechten, die auf Spaltung setzen. Dabei werden nicht nur historische, son-dern auch tagespolitische Fakten ignoriert. Stattdessen wird ein rechtes Narrativ übernommen, das so alt ist, wie der poli-tische Wettbewerb selbst: Nämlich jenes, dass man die Fragen von Gleichheit und Gerechtigkeit nicht miteinander verbin-den kann – oder zeitgemäßer in den Begriffen Trumps for-muliert – dass die linken Eliten sich nur für die Rechte von Minderheiten einsetzen, weil sie in Wahrheit gegen die Rech-te der Arbeiter*innen und wirtschaftlich Schlechtergestellten seien. Ein moderner Ansatz für linke Politik muss sich von ge- nau diesen verfahrenen und historisch gescheiterten Model-len lösen. Ganz simpel gesagt: Uns muss klar sein, dass auch schlecht bezahlte Schwule am Bau hackeln und Transfrauen mit Fluchterfahrung in unseren Krankenhäusern arbeiten … sie alle haben nicht nur das Recht auf guten Lohn und ge-rechte Arbeitsbedingungen, sondern auch darauf nicht diskri-miniert und gesellschaftlich abgesichert zu werden. Der Ge-gensatz zwischen der „weißen, heterosexuellen, männlichen Mehrheit“ und den „Randgruppen“ ist konstruiert und ver-schleiert nur die echten Probleme unserer Gesellschaft, die in Wahrheit alle von uns betreffen. Einen Teil der Gesellschaft gegen einen anderen Teil aus- zuspielen ist und bleibt genauso falsch, wie zu glauben, dass wir mit sozialer Absicherung einen Teil des guten Lebens politisch erreichen können, ohne gleichzeitig ein diskrimi-nierungsfreies, selbstbestimmtes Leben umzusetzen. Sozia-


le Themen und Gesellschaftspolitik sind weder Widerspruch noch Konkurrenten, sie gehören zusammen. Vielfalt muss am Ende des Tages, gerade für uns Linke, immer eine sozia-le Frage sein! II.  DER LINKE MYTHOS VON DEN ORCHIDEENTHEMEN Kaum ein Beispiel zeigt diesen schwelenden Konflikt zwi- schen sozialen und gesellschaftlichen Themen wohl aktuell so deutlich, wie die Debatte innerhalb der deutschen Linkspar-tei. Nun ist Sahra Wagenknecht in den letzten Jahren nicht gerade mit sensiblen oder respektvollen Aussagen aufgefallen, wenn es um die Frage von Menschenrechten ging. Mit ihrem neuen Buch sorgt sie aber gerade jetzt für eine neue Welle der Empörung. In  Die Selbstgerechten wendet sich Wagenknecht laut ers- ten Auszügen in den sozialen Medien gegen „immer kleinere und skurrilere Minderheiten“, die den Anspruch hätten, „ein Opfer zu sein“. „Sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Eth-nie dagegen funktionieren immer“, so die Politikerin, wenn es darum geht, in der „Lifestyle-Linken“ Anerkennung zu be-kommen. Linke Parteien helfen  „die Fokussierung auf die Zielgruppe der Lifestyle-Linken und ihre Debatten um Denk- und Sprachverbote sowie Identitätspo-litik nicht […]. Solche Diskussionen werden von einem Großteil der Bevölkerung als abgehoben wahrgenommen und gehen an den Problemen vorbei, die ein normaler Arbeitnehmer in seinem Alltag hat.“ (zit. nach Laubenburg 2021) Wagenknecht steht mit dieser Meinung nicht allein da.  Ihr Buch ist vielmehr Ausdruck eines Diskurses der schon lange innerhalb linker, progressiver und teilweise sogar so-zialliberaler Zirkel schwelt. Dass sie auf diesen Zug auf-springt, sorgt aber zu Recht für Empörung. Nicht nur aus ihrer eigenen Partei und der deutschen SPD schlägt ihr für sol-che Behauptungen Gegenwind entgegen, sondern sogar die AfD mischt sich online mit Freude in den Streit der linken Reichshälfte ein und lobt Wagenknechts Abrechnung mit Identitätspolitik. Worum geht’s wirklich bei den ideologischen Unter- schieden zwischen Links und Rechts? Um unseren Blick auf die Welt. Nicht nur einzelne Teile der Welt, sondern die ge-samte Gesellschaft in der wir leben, arbeiten und existieren.  Schon aus der Tradition linker, sozialdemokratischer und so-zialistischer Bewegungen heraus wissen wir, dass wir nicht ei-nen Teil des Lebens gegen einen anderen ausspielen können. Zu Recht war die Gründungsidee der Sozialdemokratie ja nicht nur, durch gute Löhne und gerechte Arbeitsbedingun-gen für Fortschritt zu sorgen … wir haben immer erkannt, dass zum Leben mehr gehört. Freizeit, Entfaltung, Wissen, die Möglichkeit zu sein und zu leben, wie wir sind – all das ist auch eine soziale Frage und als genau solche nicht zu tren-nen von Wirtschaft, Verteilung und Arbeitswelt. Egal ob wir, wie ich selbst, aus einem Dorf in der Steiermark stammen oder mit Fluchterfahrung nach Österreich gekommen sind, egal ob wir als Frau gegen gläserne Decken im Job ankämpfen oder als schwuler Jugendlicher um Anerkennung in der Leh-re kämpfen. Wenn Wagenknecht also sagt: „Es gibt kein gemeinsa- mes Interesse der Nachfahren von Einwanderern aus muslimi-schen Ländern oder der Homosexuellen oder gar der Frauen, das über die rechtliche Gleichstellung und generelle Nichtdis-kriminierung hinausgeht“ (zit. nach Laubenburg 2021) dann zeigt sie uns vor allem eines: Dass dieser vermeintlich linke Blick auf die Welt in eine Sackgasse gelaufen ist. Der Weg hinaus – und in Wahrheit der Weg nach vorn – kann und wird nur durch ein neues politisches Projekt funktionieren: Ein Projekt, das endlich jeden Bereich unseres Lebens als eine untrennbare, unspaltbare soziale Frage begreift. III.  ÜBER DIE ERSTEN OPFER RECHTER POLITIK Doch bevor wir uns dieser Zukunftsperspektive zuwen- den, hilft ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart. „Nichts ist für eine erfolgreiche Praxis so nützlich, wie eine gute Theorie“, sagte schon Bruno Kreisky zurecht. Und die Basis jeder guten Theorie ist und bleibt die Analyse, das ge-naue Hinschauen auf die Herausforderungen und Probleme einer Gesellschaft. Genau dieses Hinschauen zeigt uns aber eines: In der Geschichte, genauso wie heute, sind es vor al-lem Minderheiten, welche die ersten Opfer rechter Politiken und Diskurse sind. Spalten, auseinanderdividieren und gegen-einander ausspielen – das sind Muster, die so alt sind, wie die Menschheit selbst. Im 20. Jahrhundert haben wir gesehen, zu welch furchtbaren Ergebnissen das führen kann. Als der Vorreiter der Sexualwissenschaft und frühe Gleich- stellungsaktivist Magnus Hirschfeld 1919 in Berlin das welt-weit einzigartige Institut für Sexualwissenschaften gegründet hat,   ZUKUNFT | 7 


 8 | ZUKUNFT  VIELFALT MUSS IMMER EINE SOZIALE FRAGE SEIN!  VON MARIO LINDNER schuf er nicht nur eine wissenschaftliche Einrichtung, sondern auch einen sicheren Ort für Schwule, Lesben und Transper-sonen. Seine Arbeit war, trotz vieler Detailkritik, die sie ver-dient hat, Ausdruck eines Aufbruchs im Berlin der Weimarer Republik. In der zeitgenössischen Literatur sehen wir genau-so wie in Zeitzeug*innen-Berichten, welche Bedeutung diese Stadt insbesondere in den 1920er-Jahren für sexuelle und ge-schlechtliche Minderheiten hatte.  „Die erste schwullesbische Bewegung blühte im Berlin der 1920er Jahre. […]. Bei aller Feindseligkeit entwickelte sich aber auch eine neue Sichtbarkeit gleichgeschlechtlicher Liebe. Sie beschränkte sich auch nicht allein auf das großstädtische Nachtleben.“ (Schymu-ra 2013) So beschreibt beispielsweise Die Zeit das schwullesbische  Leben im Berlin jener Zeit. Trotz des gesetzlichen Verbotes von Homosexualität wur- de dieses Treiben in der deutschen Hauptstadt nicht nur heimlich vollzogen, sondern großteils offen toleriert. Zu poli-zeilicher Verfolgung kam es nur in den seltensten Fällen – vor allem wohlhabende Personen waren davon kaum betroffen. Und so ist es kein Wunder, dass sich genau diese Akzeptanz in Berlin rasch zu einem prominenten Feindbild des Natio-nalsozialismus entwickelte. In Reden hetzte Hitler in ganz Deutschland massiv gegen die „Unzucht“ in der Hauptstadt, mit der Machtergreifung der Nazis endete das Wegschau-en der Polizei praktisch sofort und Hirschfelds Institut (und mit ihm das erste queere Archiv Europas) wurde im Mai 1933 geplündert und von der SA in Brand gesteckt. „Bekannte“ Schwule und Lesben wurden in den dunklen Jahren danach verfolgt, inhaftiert und in vielen Fällen in Konzentrationsla-gern ermordet. Nach der Befreiung vom NS-System endete die Verfolgung aber nicht: Viele Gerichtsverfahren, die noch unter Nazi-Herrschaft vor allem gegen schwule Männer be-gonnen wurden, setzten sich auch in Österreich nach 1945 fort – Vorstrafen wurden nicht erlassen und die Stigmatisie-rung blieb aufrecht. Erst 1971 schaffte Österreich das Total-verbot von Homosexualität unter Erwachsenen ab, als Opfer-gruppe des Nationalsozialismus wurden Schwule erst in den 1990er-Jahren anerkannt. Die Verbrechen, die Minderheiten unter nationalsozialis- tischer Herrschaft angetan wurden, sind beispiellos und dür- fen nicht verharmlost werden. Aber gerade für all jene, denen Vielfalt und Gleichheit heute ein Anliegen sind, ist es wich-tig, die Muster zu erkennen, die dahinterstecken. Muster, die auf Ausgrenzung und Spaltung basieren. Muster, die wir auch in unserer heutigen Gesellschaft wiederfinden – überall dort, wo Herrschaft oder Herrschaftsansprüche auf einer auseinan-derdividierten Gesellschaft beruhen. Es reicht ein Blick nach Polen, um genau das zu sehen: Denn es ist kein Zufall, dass in diesem Land undemokratische Strukturen, die Verfolgung po-litischer Gegner*innen und massiver Sozialabbau unter dem Deckmantel von Gesellschaftspolitik durchgepeitscht werden. In einem Land, in dem sich mehr als ein Drittel der Regio-nen als „LGBT-freie Zonen“ bezeichnen, Minderheiten ver-folgt und die Reproduktionsrechte von Frauen am laufen-den Band attackiert werden, können wir dieses Muster rechter Politik deutlich erkennen. Dasselbe gilt für Ungarn, wo Or-ban seine Umgestaltung des Staates durch Angriffe auf Roma und Sinti, sowie die LGBTIQ-Community verschleiert und wo erst Ende 2020 die Entrechtung von transidenten Personen in der Verfassung verankert wurde. Wir sehen dieses Muster in der Rhetorik und Politik Trumps genauso wie in der Herr-schaft Putins in Russland und Bolsonaros in Brasilien. Und wir sehen sie auf ganz perverse Art zum Beispiel auch in den Niederlanden, wo Rechte den vermeintlichen „Schutz von Homosexuellen“ als Waffe gegen Migrant*innen und insbe-sondere Muslim*innen nutzen. Diese und viel zu viele andere Beispiele zeigen, dass rechte  Diskurse nicht davor zurückschrecken, Fragen von Emanzipa-tion und Selbstbestimmung mit sozialen Fragen zu verknüpfen … wenn es ihrem Ziel der Herrschaft durch Spaltung dient. Gerade deshalb darf die Linke nicht den Fehler machen und genau diesen Diskurs der Spaltung wiederholen. Wir dürfen uns nicht hinreißen lassen, egal ob aus Mutlosigkeit, Hilflosig-keit oder Ideenarmut, ein Konzept der Spaltung zu überneh-men. Unser Zugang muss ein radikal anderer sein. IV.  FÜR EINE POLITIK DER RADIKALEN SOLIDARITÄT Als Linke müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Wir  sind heute nicht die ersten, die vor der Frage stehen, wie wir soziale und gesellschaftliche Kämpfe verknüpfen können, um zu einem guten Leben für wirklich ALLE zu kommen. Die Emanzipation des Individuums, also die Möglichkeit frei und 


 ZUKUNFT | 9  selbstbestimmt leben zu können, bedarf immer sozialer Absi-cherung. Das war schon Johanna Dohnal und Bruno Kreisky bewusst. Sie haben ihre gesellschaftliche Koalition ganz be-wusst gestärkt, indem sie beispielsweise die Absicherung von Bäuer*innen zu einem zentralen, sozialpolitischen und fe-ministischen Anliegen gemacht und mit traditionellen Kli-schees der österreichischen Innenpolitik gebrochen haben. Und diesen Zugang verfolgen heute unzählige internationa-le Politiker*innen und Aktivist*innen, für die es inzwischen (zum Glück) selbstverständlich ist, radikale Sozial- mit radika-ler Emanzipationspolitik zu verbinden: „Pride is about honoring the community workers, the people who work in the clinics, the community organizers, the people who work with LGBT youth, the people who are fighting to make sure it’s not just about marriage equality but about quality of life for all peo-ple in the community, everybody.“ (Ocasio-Cortez 2019) Dies sagte zum Beispiel Alexandria Ocasio-Cortez im  Zuge ihrer Rede auf einer Pride-Kundgebung in New York 2019. Damit bringt sie auf den Punkt, was linke Gleichstel-lungspolitik heute sein muss: Ein Projekt der radikalen Solida-rität, das die Qualität jedes Lebens ins Zentrum stellt. Etwas, das mich in diesem Zusammenhang bis heute be- wegt, ist der Film Pride. Er erzählt die wahre Geschichte von Londoner Schwulen und Lesben, die im Widerstand gegen die Angriffe Margaret Thatchers auf die junge LGBTIQ-Com-munity in den 1980er-Jahren die Solidarität mit anderen mar-ginalisierten Gruppen finden. Sie sammeln Geld für eine Ge-meinde von Minenarbeiter*innen, die durch die radikale Politik der konservativen Regierungschefin gefährdet werden und in Angst vor der Schließung der Mine leben müssen, die der ganzen Stadt eine Existenzgrundlage gibt. Zwischen die-sen Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, formt sich ein Band der Solidarität, das am Ende dazu führt, dass die Minenarbeiter*innen die frühen Demonstrationen für die Rechte von Schwulen und Lesben in London unterstützen. Sie entwickeln ein Verständnis davon, dass, obwohl ihre Le-bensrealitäten und politischen Forderungen verschieden sind, sie gemeinsame Opfer eines Systems der gesellschaftlichen und sozialen Unterdrückung wurden … und sie gemeinsam stärker gegen ihre jeweiligen Probleme vorgehen können. Aus den historischen Ereignissen, die diesem bewegenden Film zugrunde liegen, entwickelte sich ein Bündnis zwischen bri-tischen Gewerkschaften und den Organisationen der LGBTIQ-Community, das bis heute andauert und für beide Gruppen  große Erfolge erzielen konnte. Nicht umsonst waren es die britischen Gewerkschaftsverbände, die bis vor kurzem traditi-onell den Eröffnungsblock der Londoner Pride-Demonstrati-onen bildeten. Genau solche Projekte gab und gibt es auch in Öster- reich. Eines der inspirierendsten bleibt für mich das zweite Frauen*Volksbegehren. Unter dem Motto „Eines für alle“ ver-folgten die Aktivist*innen dabei einen Kurs der Inklusion in dem soziale Fragen, wie die Forderung nach gleichen Löh-nen selbstverständlich und logisch neben gesellschaftlichen, wie gelebter Antidiskriminierung und gerechter Verteilung von Macht, standen. Verbunden wurden dabei Fragen von Fe-minismus, Migration und Sexualität mit mutiger Sozialpolitik, wie der Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkür-zung … für ALLE. Und dabei hat es uns genau das vorgelebt, was linke Gesellschaftspolitik tun muss: Nicht Emanzipation fördern, um möglichst viele, getrennte Gruppen nebeneinan-der zu bilden – sondern durch Emanzipation allen Kämpfen eine Stimme geben und genau diese Kämpfe hinter gemein-samen politischen Forderungen zu versammeln, die das Leben aller verbessern. V. CONCLUSIO „There is no such thing as a single-issue struggle, because  we do not live single-issue lives.“ Auf dieses wegweisende Zitat von Audre Lorde bezieht sich Elisabeth Lechner und schreibt in ihrem Beitrag #EinesFürAlle – Intersektionalität im Frauen*Volksbegehren 2.0 zu recht: „Feministische Kämpfe können sich nicht nur mit Geschlecht be-schäftigen, sie müssen andere Ungleichheit generierende Strukturen und Identitätsmarker wie Race [sic!], Klasse, Nationalität, Religi-on, Sexualität, Alter und Behinderung mitdenken, um der Kom-plexität unserer ‚multi-issue‘-Leben gerecht zu werden.“ (Lech-ner 2020: 70) Das Frauen*Volksbegehren und viele andere, österreichische  und internationale Projekte wie dieses zeigen uns klar, dass wirksamer Kampf um soziale und gesellschaftliche Anerken-nung nur Hand in Hand mit dem Kampf gegen soziale Un-gleichheit funktionieren kann. Wir brauchen beide Zugänge zusammen und logisch verknüpft, um echte Veränderun-gen für alle Menschen zu schaffen. Wir brauchen ein Pro-jekt der radikalen Solidarität, um ein gutes Leben für ALLE zu schaffen.


 10 | ZUKUNFT  VIELFALT MUSS IMMER EINE SOZIALE FRAGE SEIN!  VON MARIO LINDNER 1.   LGBTIQ steht für die Community von Lesben, Schwulen, Bisexu- ellen, intergeschlechtlichen, transidenten und queeren Menschen – also all jenen, die durch ihre sexuelle Orientierung oder Geschlecht-sidentität nicht dem heteronormativen Weltbild entsprechen. LiteraturLaubenburg, Frank (2021): Sahra Wagenknecht macht „skurrile Minder- heiten“ verächtlich, in: Mannschaft Magazin, online unter: https://mannschaft.com/sahra-wagenknecht-widerlich-nicht-nur-vorm-hintergrund-zunehmender-gewalt-gegen-queers/ (letzter Zugriff: 22.04.2021). Lechner, Elisabeth (2020): #EinesFürAlle – Intersektionalität im  Frauen*Volksbegehren 2.0., in: Baran-Szoltys, Magdalena/Berger, Werner (Hg.): Überforderungen. Wie feministischer Aktivismus ge-lingt, Wien: Kremayr & Scheriau, 70–74.  Ocasio-Cortez, Alexandra (2019): Twitter-Post vom 23. Juni 2019, online  unter: https://twitter.com/AOC/status/1142857778815524865?ref_src=twsrc%5Etfw (letzter Zugriff: 22.04.2021).  Schymura, Yvonne (2013): Hexensabbat für Schwule und Lesben. Der  Christopher Street Day in deutschen Städten gehört zum Sommer wie die Hitze. Die erste schwullesbische Bewegung blühte im Berlin der 1920er Jahre, in: Die Zeit, online unter: https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2013-08/homosexuellenbewegung-berlin-zwanziger-jah-re/komplettansicht (letzter Zugriff: 22.04.2021).  MARIO LINDNER  ist Abgeordneter zum Nationalrat und Sprecher der SPÖ für Gleich- behandlung, Diversität und LGBTIQ. Seit 2017 ist er Bundesvorsitzender  der sozialdemokratischen LGBTIQ-Organisation SoHo Österreich.


 ZUKUNFT | 11  TransMasc (Serie 1–8)   #1 (2019) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm OFFERUS ABLINGER


 12 | ZUKUNFT  HART UND STABIL: SOZIALDEMOKRATISCHE INTEGRATIONSPOLITIK  VON NURTEN YILMAZ I. EINLEITUNG Vielfalt ist. Sie ist einfach. Sei es in der Arbeit, im alltäg- lichen Leben oder in jedem anderen sozialen Bereich: Wir Menschen sind divers und vielfältig. Wir haben unterschied-liche Herkünfte, Merkmale, Geschmäcker, Geschlechter, Er-fahrungen, Erstsprachen und Begehren. Das ist so selbstver-ständlich, dass ein Punkt dabei oft unverständlich bleibt: Es gibt unterschiedliche Unterschiede, weil manche Unterschie-de auf gleicher Höhe verhandelt werden (du magst Vanille-, ich Schokoeis). Und manche Unterschiede wiederum tief eingelassen sind in staatlich überformte Macht- und Herr-schaftsstrukturen, worüber nicht nur gesamtgesellschaftliche Ungleichheiten reproduziert werden, sondern auch Individu-en selbst entlang dieser Achsen symbolischer Macht und Ge-walt ausgesetzt sind: Abwertung, Scham, Unsichtbarkeit und Unsicherheit. Als Sozialistin und Feministin ist mir wichtig, nicht beim  Beschreiben von Vielfalt stehen zu bleiben. Oder gar Viel-falt einfach abzufeiern. Es gibt „differences, that make a dif-ference“ in der Zuweisung von Chancen, Möglichkei-ten und Machtpositionen. Es ist genau unsere Aufgabe als Arbeiter*innenbewegung die sozialen, rechtlichen und öko-nomischen Verhältnisse so umzubauen, damit wir endlich eine „Gesellschaft der Freien und Gleichen“ etablieren, in welcher Unterschiede einfach Unterschiede sein können. Ohne Ab-wertung, Ausschlüsse, Erniedrigung und Ausbeutung. Der emanzipatorische Einsatz für Teilhabe, rechtliche Gleichstel- lung, Anerkennung und die Überwindung von Schicht- und Klassenverhältnissen laufen dabei immer ineinander, ergän-zen und unterstützen sich entlang einer Leitschnur: Gleich-heit und Freiheit für alle. Darum ist es strategisch wichtig, dass wir uns nicht auf- halten bei einem Politiknarzissmus der kleinen Differenz und politische Kleingärten beackern, die sich zu noch kleineren Schrebergärten ausdifferenzieren. Im Gegenteil. Es gilt Bernie Sanders Imperativ – „Bring people together“ – als Auftrag ernst zu nehmen und über eine verbindende Klassen- und Gesellschaftspolitik die Achsen der Ungleichheit auszuhebeln. Über eine Politik, die alle mitnimmt und niemanden zurück-lässt. Nachfolgend versuche ich als SPÖ-Integrationsspreche-rin diese Aufgabe für einen Unterschied durchzudeklinieren, der von zentraler Bedeutung für die politische Auseinander-setzung in Österreich ist: Die Unterscheidung nach Herkunft. II.  FALSCHE FRAGEN Kennt ihr die „Integrationsfrage“? Sie taucht oft gemein- sam mit ihrer Schwester, der „Migrationsfrage“, in innenpoli-tischen Zirkeln auf. Dort, wo sich Journalist*innen eine über-bezahlte Beraterzunft und Facebook-Politiker*innen über „Linien“ und „Positionen“ unterhalten. Wobei nicht klar wird, was überhaupt gefragt wird. Und auch darauf verzich-tet wird, die Fragen konkret auszubuchstabieren. Aber eine Antwort sei dringend und längst ausständig. Und beantworten  Hart und stabil:  Sozialdemokratische  Integrationspolitik Der Beitrag von  NURTEN YILMAZ  diskutiert unterschiedliche Aspekte der gesellschaftlichen Vielfalt und bringt so die  wichtigsten Aspekte der sozialdemokratischen Integrationspolitik auf den Punkt …


 ZUKUNFT | 13  heißt in diesem Politikverständnis meist: Restriktive Signa-le „kommunizieren“ und Integration mit Migration und Si-cherheit mixen. Oder Integration als Migrationsmanagement betrachten. Und Grenzen, ganz wichtig, weil Schutz und Si-cherheit. Man müsse „näher hinsehen“, „realistisch sein“, „Verständnis zeigen“ und ja nicht „überfordern“. Dieser Zu-gang – im Grunde nur eine Ansammlung von Überschriften – wird dann von anderen aus dieser Bubble als harte, konse-quente Linie gelobt, wodurch im Umkehrschluss alle ande-ren in der Integrationspolitik, die pragmatisch, evidenzbasiert, werteorientiert und zuversichtlich arbeiten, als weltfremd er-scheinen (sollen). III.  ABSTRAKTE SACKGASSEN Diese Fragerei ist aber so naiv. Sie ist Ausdruck eines He- rumeierns auf der Metaebene, das allen „Menschen da drau-ßen“ schon so zum Hals raushängt. Instrumentalistisch wird darin eine „Position“ in der sogenannten „Integrationsfrage“ gesucht – als wären wir Sozialdemokrat*innen nicht immer schon klar auf Seiten der Vielen positioniert, auf Seiten der vielfältigen Arbeitnehmer*innen. Allein, dass man Integrati-on zur Frage erklärt – und nicht ausgeht von der Normalität als Migrationsgesellschaft – zeugt von einer Unsicherheit, die sich oft in einer sozialdemokratischen Sprachlosigkeit nieder-schlägt. In der Angst Falsches zu sagen. Und im Übernehmen gegnerischer Diskurse und Argumentationen. Das bringt uns aber nicht weiter. Migration und Integration zur abstrakten Frage hochzu- stilisieren ist genauso naiv wie die liberale Bearbeitung kul-tureller Differenzen. Im Sinne von: Koche und tanze deine Heimat und Flagge. Integration ist aber kein Ausflug ins „Di-versity-Disneyland“, wo man sich durch ethnische Vielfalt durchkostet, aber die Putzfrau noch nie zu Gesicht bekom-men hat, geschweige denn ihren Namen aussprechen kann. Während die Liberalen kulturelle Differenzen und Ethnizität für den „Wirtschaftsstandort“ verwerten, dazwischen Dialoge abhalten und/oder Toleranz einfordern, sind es auf der ande-ren Seite die Nationalist*innen aller Herkunftsländer, die kul-turelle und ethnische Differenzen ungleich und repressiv auf-laden, um im Namen der Homogenität am autoritären Staat zu basteln. Von beiden Zugängen grenzen wir uns ab, weil wir  Sozialdemokrat*innen harte Interessenspolitik für die Vielen machen. Über eine verbindende Klassen- und Gesellschafts- politik bringen wir alle zusammen: Die, die unser Land täglich vorwärtsbringen. Die, die es sich nicht richten können. Und die, die an eine bessere Zukunft glauben und daran arbeiten. Wir organisieren sie, wir organisieren uns. Wir richten uns auf. Unsere Integrationspolitik ist somit Teil eines gemeinsa-men Einsatzes für kollektive und individuelle Ermächtigung – nicht nur für die „Neuen“ im Land, sondern für uns alle. Unser politisches Terrain ist die Ökonomie, sind Machtver-hältnisse, das Ringen um gleiche soziale und politische Rech-te und der Einsatz für Respekt, Anerkennung, Demokratie und Teilhabe. Es nützt nichts bei kulturellen Differenzen, ir-gendwelchen „Fragen“ oder PR-Slogans hängen zu bleiben. Es braucht „real talk“ und glaubwürdiges Engagement. IV.  UNSERE HERKUNFT, SPRACHE UND KULTUR Was also als abstrakte „Integrationsfrage“ zwischen Libe- ralen, Nationalisten und Beratern als heiße Kartoffel hin- und hergeschoben wird, ist als feministische Sozialistin ganz leicht zu beantworten, wenn man die Scheindebatten hinter sich lässt und an die Wurzeln ungleicher Verhältnisse und Chan-cen vordringt. Wenn man in die Stätten der Produktion und Dienstleistungen geht. Dort, wo diese Kartoffeln geerntet und für unsere Mittagsmenüs hergestellt werden. Dort, wo man gemeinsam schwitzt, tüftelt, schuftet und entwirft. Das ist un-sere sozialdemokratische Herkunft. Wir kommen vom Wien-erberg, wo unsere Partei wesentlich als Selbstorganisation der sogenannten „Ziegelböhm“ entstanden ist. Wir kommen, wie meine zugewanderten Eltern, aus den Fabriken Österreichs. Und wir stammen von überall dort, wo man miteinander ar-beitet, zusammensteht, gemeinsam werkt und Zukunft baut. Wir sprechen die vielen Sprachen der Straßen, Großküchen und Baustellen unseres Landes. Und wir sprechen die Spra-che der Solidarität. Und auch wenn grammatikalisch nicht al-les immer stimmt, sind wir Roten doch das Sprachrohr all je-ner, die als die wirklichen Leistungsträger*innen unser Land täglich am Laufen halten. Nicht nur während Corona. Und Lohnarbeit ist dynamisch, sie ist in Bewegung und war und ist immer schon migrantisch. V. WIR  SIND MIGRANTISCH UND STABIL Der burgenländische Pendler, die rumänische Arbeits- migrantin oder der Südtiroler Student. Wir sind als Partei in Bewegung immer schon die Vertretung jener, die in Bewe-gung sind. Wir migrieren, weil wir lernen wollen und ha-ckeln müssen. Weil wir uns etwas aufbauen für uns, unsere 


 14 | ZUKUNFT  HART UND STABIL: SOZIALDEMOKRATISCHE INTEGRATIONSPOLITIK  VON NURTEN YILMAZ Kinder und Enkel. Und wir alle brauchen eine stabile Vertre-tung unserer gemeinsamen Interessen, unabhängig von Her-künften oder Geburtsorten. Deshalb tun wir uns zusammen. Deshalb vertreten wir als Gewerkschaft und Partei jene 95  % der Gesellschaft, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Ob als EPU oder Arbeitnehmer*in. Und dabei ist es egal, welche Erstsprache, welchen Pass oder welche Hautfarbe jemand hat. Denn das ist unsere Kultur: Füreinander einstehen und aufste-hen, aufeinander schauen und die Hände reichen, wenn je-mand einmal stolpert. Einfach: Respekt für alle Menschen. Wir SIND die Menschen „da draußen“, ohne die jede Pflege-einrichtung schließen müsste. Ohne die keine Baustelle je-mals fertig wird. Wir sind die, die unser Land ausmachen und in Gang halten. VI.  SOZIALE OFFENSIVE UND ERMÄCHTIGUNG Als Ottakringer SPÖ-Abgeordnete repräsentiere ich auch  nicht die Türken oder die Muslime, sondern bin für alle da und organisiere die vielfältigen Vielen gegen jene, die uns gegen-einander aufbringen. Beide – das Kapital und die rechten Nationalist*innen aller Länder – spalten und verunsichern, um Ungleichheit voranzutreiben und die ungleichen Verhält-nisse zu bewahren. Es ist unsere historische Aufgabe als Par-tei soziale Sicherheit und Kooperation durchzusetzen, auch indem öffentliche Infrastruktur die sozialen und politischen Rechte aller Menschen ermöglicht. Und diese zusammen-bringt. Gute, ermächtigende Integrationspolitik erleichtert das Zurechtfinden und Ankommen in Österreich. Vom ersten Tag an. Aber unsere Integrationspolitik ist als Teilhabepolitik darüber hinaus immer Gesamt-Gesellschaftspolitik, weil wir soziale und politische Teilhabe und individuelle Selbstbestim-mung für ALLE Menschen im Land durchsetzen wollen. Nicht umsonst heißt es in unserem Welser Parteiprogramm: „Sozial-demokratische Integrationspolitik arbeitet aktiv an der gesell-schaftlichen Teilhabe und Mitbestimmung aller Menschen – egal ob hier geboren oder nicht.“ Das ist unser Spirit. Damit hebelt man auch den spalteri- schen Sozialchauvinismus („Ihr kümmerts euch nur um die Ausländer/Flüchtlinge!“) aus: Wir gehen in die soziale Offen-sive für alle und investieren in den sozial-ökologischen Um-bau, damit niemand zurückbleibt und es allen besser geht. Ermächtigende Integrationspolitik heißt in der Bildung mas-siver Ausbau öffentlicher, ganztägiger Bildungseinrichtun-gen, in der individuell supportet und gemeinsam gelernt wird. Beste Bildung für alle, kein Kind zurücklassen. Wenn  wir Sozialdemokrat*innen Integrationsmaßnamen wie das Ju-gendcollege (Stadt Wien) oder das Integrationsjahr (Stöger/Duz-dar) installieren, dann wollen wir „Integration von Anfang an“ und die Bedingungen fürs Ankommen und Weiterkom-men schaffen. Keine paternalistische Hilfe, sondern öffentli-che Strukturen für soziale Emanzipation. Deutschkurse sollen z. B. leicht zugänglich sein, methodisch an den Lebenswel-ten der Lernenden ansetzen, ermächtigen und von gemein-samer Zuversicht getragen sein – und nicht als repressives Mittel dienen, noch mehr Hürden zur Teilhabe einzuzie-hen (Wohnungsmarkt, Sozialhilfe, etc.). Ermächtigende Inte-grationspolitik heißt hinsichtlich der Geschlechterverhältnis-se klare Kante für Frauenrechte und Gleichstellung. Immer und überall. Egal wo, egal welcher Pass, egal welches religi-öse Bekenntnis oder Herkunftsland. Kein Wegschauen oder „falsche Toleranz“, sondern solidarisches Eintreten für öko-nomische Selbstbestimmung, Gleichheit, individuelle Freiheit und höhere Löhne im migrantisch geprägten Care-Bereich. Unsere Integrationspolitik ist Einsatz für weibliche, migran-tische Sichtbarkeiten, feministische Bubenarbeit und soziale Gleichstellung zugleich. Wir zeigen nicht mit dem distanzier-ten, moralischen Finger oder dreschen symbolisch hin, son-dern bilden langfristige (Frauen-)Banden der Emanzipation. VII. GEGEN ALLE PARALLELGESELLSCHAFTEN Private Krankenhäuser, private Schulen und elitäre Wohn- viertel. Die oberen 5 % grenzen sich gerne ab und ein, bilden „gated communities“. Egal ob am Wörthersee, in der ÖVP-Spendenliste oder im 1. Bezirk. Wir Roten wollen diese Paral-lelgesellschaften nicht. Wir wollen auch nicht, dass Menschen aus Tirol oder Syrien unter sich bleiben und irgendwelche kulturellen Inseln in Wien ausformen. Unsere ganze Kom-munalpolitik zielt darauf ab, dass wir öffentliche, inklusive Räume für alle schaffen. Für Begegnung, Teilhabe, Freiheit, Bildung und Gestaltung. Fürs Zusammenleben und Zusam-menkommen. Eine Stadt ist keine Aneinanderreihung von ethnischen oder sprachlichen Kulturcontainern, die nebenei-nander herumstehen. Wer in Wien ist, ist Wiener*in. Punkt. Und ausgehend von dieser Präsenz und Gleichheit bauen wir miteinander unsere Stadt weiter. Im Umkehrschluss heißt das natürlich auch: Wer neu in Wien ist, von dem oder der wird auch erwartet, dass er und sie sich als Wienerin und Wiener einbringt und mitmacht. Deshalb ist Community überall dort, wo im Grätzl oder  im Verein verschiedenste Menschen zusammenfinden und 


 ZUKUNFT | 15  das Gemeinsame anpacken und weiterentwickeln. Das ist un-ser Verständnis von Community: die Kommune in Zuver-sicht gestalten. In diesem Verständnis von Community sind lokale Präsenz, Vielfalt in Zusammenhalt, kollektives Engage-ment und Stärke miteinander verwoben – es wird nicht nach Geburtsorten, Sprachen oder Bekenntnissen aus- und einge-grenzt. Diese ganzen (meist) Männer, die von sich behaup-ten, diese oder jene erstsprachliche, religiöse oder ethnische „Community“ zu vertreten – einfach Nein. Diese veraltete Repräsentationspolitik bringt uns politisch nicht weiter, weil sie auch das Aufbrechen von patriarchalen und kulturalistisch-nationalistischen Strukturen erschwert. Wir wollen ja gerade Frauen, Mädchen, Jugendliche und Kinder in ihrem demo-kratischen Selbstbewusstsein stärken, damit sie für sich selbst sprechen und sich einbringen. Und nicht nur mitgemeint sind. Deshalb machen wir als SPÖ ständig Hausbesuche. Wir klappern Wohnung für Wohnung ab, um direkt mit unseren Leuten ins Gespräch zu kommen. Das ist also unsere politi-sche Sprache: Ermächtigung, Individualität, Feminismus und Sozialismus. Ganz einfach.  VIII. GRENZEN ZIEHEN Was also tun, wenn das nächste Mal ein*e  Sozialdemokrat*in eures Vertrauens hadert und zögert, abs-trakt über irgendeine „Frage“ sinniert, keine adäquate Sprache findet oder Anleihen bei politischen Gegner*innen nimmt? Erstens: Sagen, was ist. Wir sind Einwanderungsland und Mi-grationsgesellschaft. Wir organisieren uns in Partei und Ge-werkschaft als vielfältige Arbeitnehmer*innen in Bewegung unabhängig von Herkünften, Geburtsorten und Erstsprachen. Ein Wappler ist ein Wappler, egal woher er kommt. Individu-elle Freiheit sticht jede Kultur, Tradition oder Religion. Mi-sogynie, Sexismus und Patriarchat sind überall zu bekämp-fen. Als Kraft der Gleichheit und Demokratie setzen wir den Rassist*innen aller Länder klare Grenzen. Und diese Grenzen sind zu markieren und politisch zu vertreten, gegenüber den einheimischen Nationalist*innen genauso wie den zugewan-derten. Weil, machen wir uns nichts vor, ein typischer FPÖ-Funktionär ist vom Mindset eines „Freizeitislamisten“ nicht weit entfernt (Autoritarismus, Rassismus, Frauenfeindlich-keit, Ethnonationalismus, etc.). Hier gibt es keine Koopera-tion, kann es nicht geben. Das sind politische Gegner*innen, alle zusammen. Wir Roten sind nicht die besseren Menschen. Und ja,  wir haben politische Fehler gemacht. Aber unser Herz schlägt  überall dort, wo Menschen aufeinander schauen, miteinander reden, füreinander einstehen und auch gemeinsam aufstehen. Das ist unsere Leitkultur. Wir sind die politische Schutzmacht all jener, die in den Krankenhäusern, Baustellen, Betrieben und Co-Working-Spaces unser Land am Laufen halten. Ohne uns Arbeitnehmer*innen und Migrant*innen steht die Müh-le. Und deshalb muss klar sein, wofür die SPÖ steht und wen wir vertreten. Standhaftigkeit erzeugt Vertrauen, macht uns gemeinsam stolz. IX.  KLARHEIT SCHAFFEN Es geht darum Klarheit zu schaffen und Teilhabe zu or- ganisieren. Wir haben verschiedene Herkünfte und vielleicht auch Heimaten, uns eint aber das Ziel einer gemeinsamen, besseren Zukunft. Für Österreich, für uns, unsere Kinder und Enkel. Österreich ist unser aller Land. Integrationspolitik ist für uns Sozialdemokrat*innen die Schaffung von Strukturen sozialer und politischer (Selbst-)Ermächtigung, nicht die Be-schämung und das Erniedrigen von Individuen aufgrund kon-statierter (Deutsch-)Defizite. Wir bringen Menschen zusam-men, trennen sie nicht nach Klassen. Unsere Kultur ist der Zusammenhalt, unsere Sprache das Miteinander und unse-re Tradition der Widerstand gegen jede Herrschaft und Aus-beutung. Seit über 130 Jahren. Schluss mit dem Integrations-Kulturalismus, dem herablassenden Schauen auf „die Neuen/die Anderen“. Sprechen wir über Teilhabe, Gleichheit, De-mokratie, Arbeit, Machtverhältnisse und politische Rechte. Sprechen wir über Gesellschaft und uns alle. Wir Roten sind immer schon dort aktiv, wo Facebook-Politiker*innen und Konservative nur abfällig und selbstgefällig hinschauen. Und hintreten. Für uns gilt: Nicht wegducken, sondern stabil blei-ben. Ob im Betrieb, auf der Straße oder in der Schule. Wir treten hart und konsequent all jenen entgegen, die uns Men-schen und Arbeitnehmer*innen entlang unserer Herkünfte, Erstsprachen, Geburtsorte, Pässe, Bekenntnisse und Hautfar-ben spalten wollen. Und sie wollen spalten, weil sie unsere ge-meinsame Stärke fürchten. Und sie fürchten zu Recht. NURTEN YILMAZ  ist gelernte Starkstromtechnikerin, Nationalratsabgeordnete aus   Ottakring und Integrationssprecherin der SPÖ.


 16 | ZUKUNFT  FÜR EINEN FEMINISMUS FÜR ALLE  VON TATJANA GABRIELLI Für einen Feminismus  für ALLE TATJANA GABRIELLI  diskutiert den Stand der Deutungshoheit über feministische Forderungen und betont, dass der  feministische Kampf der Befreiung aller Frauen gewidmet ist, auch wenn sie nicht alle die gleichen Lebensrealitäten und Erfahrungen teilen … I. EINLEITUNG Wer sind die bekanntesten Feministinnen, die Du kennst?  Was sind die bekanntesten feministischen Forderungen, die Du kennst? Welches Bild hast Du im Kopf, wenn Du an die Frauenbewegung denkst? Viel zu oft, sind diese Fragen von weißen, bürgerlichen Frauen geprägt. Viel zu oft wird auch in feministischen Kontexten auf Unterdrückungsmechanismen vergessen, von denen Frauen betroffen sind, die nicht immer die Mehrheit ausmachen, oder nicht immer die lauteste Stim-me haben. Das muss sich ändern. Im Juni 1981 hielt Audre Lorde die Keynote auf der Kon- ferenz der National Women’s Studies Association. Die schwarze, lesbische, feministische Autorin, Poetin und Aktivistin ver-wies auf das fehlende Verständnis rassistischer Strukturen. Viel zitiert aus dieser Rede sind folgende Zeilen: „I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own. And I am not free as long as one per-son of Color remains chained. Nor is anyone of you.“  Die Forderungen, dass sich die Frauenbewegung mit mehr  Lebensrealitäten als jener der weißen, bürgerlichen Frau aus-einandersetzen muss, besteht bereits seit Beginn der Frauen-bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts. Nur langsam hat sie sich jedoch jenen Lebensrealitäten von lesbischen Frauen, schwarzen Frauen und Frauen of Color, sowie Trans-Frau-en geöffnet. Doch auch heute noch sind rassistische, klassisti-sche, homophobe und transphobe Strukturen im Kampf um Gleichberechtigung präsent und müssen sichtbar und aufge-brochen werden. Die Frage, wer hat die Deutungshoheit über die feminis- tischen Forderungen, war lange davon geprägt, dass es privile- gierte, weiße Frauen waren, die ihre eigene Lebensrealität als den Mittelpunkt der feministischen Kämpfe ansahen. Schwarze Frauen bzw. Women of Color kämpfen seit jeher für einen in-tersektionellen Feminismus, der anerkennt, dass die Lebensre-alitäten, die Erfahrungen von Diskriminierung und Ungleich-behandlung nicht für alle gleich sind. Der Begriff intersectionality wurde erstmals Ende der 1980er-Jahre durch die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw öffentlich diskutiert. Sie erklärte anhand einer Straßenkreuzung wie sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden, um dadurch die Vielschichtig-keit und Verwobenheit von sozialer Ungleichheit aufzuzeigen. Für die Geschlechterforschung bot dies eine neue Perspektive, um multiple Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse zu analysieren, die über die Kategorie biologisches Geschlecht allein nicht erklärt werden können. Mittlerweile ist das Bild der Straßen(kreuzungen) jedoch veraltet, denn Kritiker*innen zeigen auf, dass die Unterdrückungsmechanismen nicht im-mer getrennt voneinander betrachtet und mehr oder weniger anschließend zusammengezählt werden können. Der Begriff Interdependenz wurde eingeführt, um auch die wechselseitigen Abhängigkeiten zu analysieren: „Im wissenschaftlichen Kontext kann das theoretische Konzept In-tersektionalität auch als Sensibilisierungsstrategie betrachtet werden: Es macht auf Schnittmengen von Diskriminierungen aufmerk-sam, sensibilisiert für die Prozesshaftigkeit binärer Differenzlinien und verdeutlicht zudem die jeweiligen Machtstrukturen und Herr-schaftsverhältnisse, in die kategoriale Zuschreibungen eingebettet sind.“ (Küppers 2014) Auch in diesem Artikel soll uns Intersektionalität dabei  helfen, den Kampf um Gleichberechtigung in all seiner Viel-falt zu betrachten.


 ZUKUNFT | 17  Intersektionale Analysen im politischen Handeln bedeuten  für uns, Mehrfachdiskriminierungen sichtbar zu machen und zu verstehen. Besonders aktuelle Beispiele haben sich aus der Black Lives Matter-Bewegung herauskristallisiert. Sexismus und Rassismus gehören zur schmerzhaften Lebenserfahrung vieler Schwarzer Frauen bzw. Women of Color. Nicht nur, dass die Diskriminierungsformen getrennt auf die Betroffenen einwir-ken, sie wirken auch zusammen. Die Ermordung von Breonna Taylor durch Polizeigewalt sorgte weltweit für Aufsehen. 2014 gründete Crenshaw die #SayHerName-Bewegung. Ziel war und ist es, die Erfahrungen von Schwarzen Frauen mit Polizei-gewalt sichtbar zu machen. Weiters wurde aber auch themati-siert, dass Schwarze Frauen nicht nur durch staatliche Struk-turen rassistisch diskriminiert werden, sondern auch innerhalb der Communitys, der Protestbewegung, den Medien sowie am Arbeitsplatz mit patriarchalen Strukturen zu kämpfen haben. „Die Person, die in Amerika am wenigsten respektiert  wird, ist die Schwarze Frau. Die Person, die in Amerika am wenigsten geschützt wird, ist die Schwarze Frau. Die Per-son, die in Amerika am meisten vernachlässigt wird, ist die Schwarze Frau.“ Das sagte Widerstandskämpfer Malcom X im Jahr 1962, anlässlich einer Rede über die gesellschaftliche Stellung und den Status Schwarzer Frauen in den USA. In ei-nem Beitrag auf ze.tt schreibt Celia Parbey, Autorin und an-gehende Afrikawissenschaftlerin ebenfalls über das Verhältnis von Rassismus und Sexismus: „Im Englischen gibt es dafür einen Begriff: Misogynoir, den die queere Schwarze Feministin Moya Bailey prägte. Ein Zusam-menspiel aus dem Begriff Misogynie, also einer extremen Form von Frauenfeindlichkeit, und dem französischen Wort Noir, das Schwarz bedeutet. Er beschreibt, welcher Mischung aus sexuali-siertem Rassismus, Sexismus und anti-schwarzem Rassismus Schwarze Frauen weltweit ausgesetzt sind. Welche Konsequen-zen Misogynoir haben kann, hat der tragische Fall der ermorde-ten Black-Lives-Matter-Aktivistin Oluwatoyin „Toyin“ Salau ge-zeigt. Über Twitter hatte sie am sechsten Juni berichtet, dass sie sexuell genötigt worden sei. Am selben Tag wurde sie als vermisst gemeldet. Toyin hatte ihren Angreifer bei der Polizei angezeigt. Diese nahm die Anzeige zwar auf, bot ihr aber keinen weiteren Schutz. Wenige Tage später wurde sie tot aufgefunden.“ (Parbey 2020) Dieses Beispiel zeigt auf, dass die Lebensrealität von  Schwarzen Frauen nicht nur durch eine Perspektive betrach-tet werden kann. II.  QUEERER FEMINISMUS –  KAMPF DER HETERONORMATIVITÄT Nicht nur Schwarze Frauen und Women of Color wurden  von den ersten Frauenbewegungen ausgegrenzt. Die lesbische Frauenbewegung war bereits in der ersten Frauenbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts aktiv. Doch es bestand eine ge-wisse Zurückhaltung, sich mit der (weiblichen) Homosexu-alität zu beschäftigen. Ein Grund dafür war die Angst, dass dies dem Ansehen der Bewegung schaden könnte. Denn auch die Frauenbewegung war vor den heteronormativen Struktu-ren der Gesellschaft nicht gefeit. Heteronormativität bedeu-tet einfach ausgedrückt, dass die Heterosexualität als soziale Norm angesehen wird. Dem zugrunde liegt eine binäre Ge-schlechterordnung, in welcher das anatomische/biologische Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und se-xueller Orientierung gleichgesetzt wird. Einfach gesagt, be-deutet Heteronormativität die Ansicht, dass es nur zwei Ge-schlechter gibt, die sich jeweils sexuell begehren, Männer zu Frauen und Frauen zu Männern. Männer und Frauen werden mit den jeweiligen biologischen Merkmalen geboren und da-raus entwickelt sich vermeintlich automatisch die dazugehö-rende Identität. Das Geschlecht einer Person lässt sich nach dieser Formel also am Aussehen, an der Präsentation, am Kör-per und am Verhalten ablesen. Dabei wird davon ausgegan-gen, dass eine Person nur ein Geschlecht haben kann, und zwar jenes mit dem sie geboren wurde. Diese Heteronormativität führt dazu, dass Menschen, die  diese Gleichung nicht erfüllen, strukturell benachteiligt, dis-kriminiert und unsichtbar gemacht werden. Diese Menschen finden sich unter dem Dach der LGBTIQ-Community wieder. Menschen, deren sexuelle Orientierung nicht hetero ist und Menschen, die sich nicht in der binären Geschlechterordnung wiederfinden.  Ab den 1990er-Jahren begann im deutschsprachigen Raum  das Konzept der Mehrfachidentität zu greifen. Beispielsweise ist „Lesbisch-Sein“ nur ein Teil einer Identität und die Bedeu-tung dessen ist je nach Zusammenhang unterschiedlich ge-wichtig. Dies bedeutet bis heute auch ein neues Verständnis davon, für wen die feministischen Kämpfe stattfinden. Denn es gibt nicht nur die eine  Lebensrealität, die eine  Frau aus-macht. Neben rassistischen, homophoben und klassistischen Strukturen, gibt es aber jene Argumente, welche auf die bio-logische Gemeinsamkeit von Cis-Frauen, wie Menstruation, Schwangerschaft oder Chromosomen, abzielen. Auch hier gilt jedoch: Nicht alle Frauen menstruieren, nicht alle können 


 18 | ZUKUNFT  FÜR EINEN FEMINISMUS FÜR ALLE  VON TATJANA GABRIELLI schwanger werden. Macht sie das dann weniger zu einer Frau? Die Diskussion, wer nun eine Frau ist, betrifft jedoch  nicht nur die Ausrichtung der feministischen Kämpfe. Es geht dabei auch darum, geschlossene Frauenräume betreten zu können – seien es Sportarten, WCs, feministische Diskus-sionen, geschlechterspezifische Unterbringungsorte, wie etwa Asylheime, Gefängnisse oder Schutzräume, wie beispielswei-se Frauenhäuser. Nun gibt es Feminist*innen, die transidente Frauen von  diesen geschlossenen Räumen ausgrenzen (wollen). Sogenann-te TERFs sprechen Trans-Frauen das Frau-Sein ab. Sie beharren darauf, dass das biologische Geschlecht festgelegt und unverän-derlich ist. TERF steht für „Trans-Exclusionary Radical Femi-nism“. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das so viel wie „trans-ausschließenden radikalen Feminismus“. Dabei handelt es sich um verschiedene Ebenen einer transfeindlichen Haltung – von Identität anzweifeln bis hin zur Negierung der Existenz. Neben offensichtlich transfeindlichen Argumenten, wie  etwa es handle sich dabei um verkleidete Männer, wird aber auch über die Definition des Frau-Seins diskutiert. Dabei liegt der Fokus auf den scheinbar gemeinsamen Erfahrun-gen von Cis-Frauen, die Menschen, die als Männer soziali-siert wurden, nicht teilen können. Doch welche Erfahrun-gen sollen das denn sein? Übergriffe, Ausbeutung, schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt, Reproduktion oder frauenfeindli-che Aussagen. All das erleben auch transidente Frauen. Wenn Feminist*innen davon sprechen, dass Trans-Frauen nun ein-mal nicht jene Erfahrungen gemacht haben, die sie zu echten Frauen machen, dann machen sie vor allem eines: Sie definie-ren ein Frau-Sein, das auf ihrer eigenen Lebensrealität beruht. Heute müssen wir an das Zitat von Audre Lorde zu Be- ginn dieses Artikels anschließen. Wer eine Frau ist, kann we-der allein mit Biologischem, noch mit dem Argument der So-zialisierung festgelegt werden. Der feministische Kampf dient der Befreiung aller Frauen – auch wenn sie nicht alle die glei-chen Lebensrealitäten und Erfahrungen teilen. TATJANA GABRIELLI  (geboren 1993) ist Bundesfrauensprecherin der  SoHo Österreich und  Vorsitzende der  SoHo Wien. Sie war Bundesvorsitzende der Aktion   kritischer Schüler_innen und Öffentlichkeitsreferentin der ÖH Uni Wien.  Derzeit arbeitet sie als Pressesprecherin bei den  Psychosozialen   Diensten in Wien sowie der Sucht- und Drogenkoordination. LiteraturKüppers, Carolin (2014): Intersektionalität, in: Gender Glossar/Gender  Glossary (5 Absätze), online unter: http://gender-glossar.de (letzter Zugriff: 22.04.2021). Parbey, Celia (2020): Warum Schwarze Frauen in der Black-Lives-Matter- Bewegung kaum sichtbar sind, online unter: https://ze.tt/schwarze-frauen-sind-in-der-black-lives-matter-bewegung-kaum-sichtbar/ (letzter Zugriff: 22.04.2021).


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 20 | ZUKUNFT  I. EINLEITUNG Zum 50. Mal jährt sich 2021 die Entkriminalisierung  von Homosexualität in Österreich. Seit 50 Jahren ist gleich-geschlechtliche Liebe legal – doch der Weg dahin war alles andere als einfach. Was können wir heute von den frühen Kämpfer*innen für gleiche Rechte lernen? Es sind die einschneidendsten Ereignisse, die historischen  Daten und Jahrestage wichtiger Beschlüsse, die wir im Ge-schichtsunterricht lernen. Sie sollen kennzeichnen, wann, wie und vor allem von wem unsere Gesellschaft nach vorne ge-bracht wurde. Sie stehen symbolhaft für mutige Entscheidun-gen. Aber sie sind in Wirklichkeit nicht mehr als ein Symbol. Denn in Wahrheit vollzieht sich gesellschaftlicher Fortschritt anders – durch jahrelange Auseinandersetzungen und Diskus-sionen, durch das schrittweise Erkämpfen von Räumen und durch Debatten, die das verändern, was wir als „denkbar“ an-sehen. Und genau so war es auch bei einer der entscheidends-ten gesellschaftspolitischen Entscheidungen in der Zweiten Republik: Der Entkriminalisierung von Homosexualität im Juli 1971. Als vor genau 50 Jahren mit der so genannten Kleinen Straf- rechtsreform einvernehmliche, homosexuelle Handlungen zwi-schen Erwachsenen legalisiert wurden, war das ein Meilen-stein. Ein Tag, an den man sich erinnert und dessen rundes Jubiläum in diesem Jahr in Österreich von Vereinen, Zivilge-sellschaft und Zeitzeug*innen gefeiert wird. Aber die wahre Geschichte dieses Meilensteins geht tiefer, sie ist vielschichtig und lässt sich nicht nur an einzelnen Personen oder Ereignis-sen festmachen. Diese Geschichte zeigt uns die ganze Vielfalt eines Kampfes um gesellschaftliche Anerkennung und Akzep- tanz, sie ist geschmückt mit tragischen Beispielen und furcht-baren Entwicklungen. II.  NACH 1945 BLIEB VIELES, WIE ES WAR … Die letzten Jahre haben zu einer deutlichen Neubewer- tung der Gruppe von Homosexuellen als Opfer des Natio-nalsozialismus geführt. Dass Schwule, Lesben und Bisexuel-le heute als Opfergruppe des NS-Regimes anerkannt werden, war über lange Zeit keine Selbstverständlichkeit. Zur Aufar-beitung dieses Kapitels der österreichischen Geschichte bleibt trotz wichtiger Forschung in den vergangenen Jahrzehnten und zentralen Pionierarbeiten noch viel zu tun. Klar ist, dass insbesondere direkt nach 1945 keine Rede davon sein konn-te, dass das offizielle Österreich Verantwortung für die Ver-folgung von Homosexuellen durch das nationalsozialistische System übernahm. Das erste offizielle Zeichen des Geden-kens an diese Gruppe wurde 1984 mit der Installation eines Gedenksteins im ehemaligen Konzentrationslager Mauthau-sen gesetzt, das vorerst Letzte mit der Präsentation eines ge-planten Denkmals für diese Opfergruppe im Jahr 2020, das am Wiener Karlsplatz entstehen soll. Erst seit 2005 sind homose-xuelle Opfer auch im Sinne des Opferfürsorgegesetzes als NS-Op-fer für Entschädigungszahlungen der Republik anspruchsbe-rechtigt – zu einem Zeitpunkt, an dem „wenn überhaupt […] nur mehr einige wenige Betroffene leb[t]en“ (HOSI 2005). Oft wird vergessen, dass homosexuellen Personen in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur die Internierung in Lagern und die Verfolgung durch die Gestapo drohten, sondern auch die Verurteilung durch „normale“ Gerichte. Weder begann die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität mit dem NS-System, noch hörte sie damit auf – sie war Teil der Ersten und  DER LANGE WEG ZUM LEGALEN L(I)EBEN  VON SEBASTIAN PAY Der lange Weg zum   legalen L(i)eben SEBASTIAN PAY , Bundessekretär der sozialdemokratischen LGBTIQ-Organisation  SoHo, diskutiert in seinem Beitrag  den langen Weg der Entkriminalisierung der Homosexualität und erinnert so u. a. an die  Kleine Strafrechtsreform und den  damit verbundenen Beginn eines neuen (Geschlechter-)Kampfes …


 ZUKUNFT | 21  Zweiten Republik, genauso wie der austrofaschistischen und der nationalsozialistischen Herrschaft. Diese Verfolgung vor Gericht endete durch die Befreiung  1945 nicht – in Wahrheit liefen viele Gerichtsverfahren trotz der Ausrufung der Zweiten Republik nahtlos weiter. Ihre Ba-sis bildete der, von 1852 bis 1971 unverändert geltende, §129 I. des Strafgesetzbuches. Im Gegensatz zu Deutschland schloss Österreich ganz bewusst auch homosexuelle Frauen in die Verfolgung mit ein. Dieser Paragraf erlangte mit der 1945 er-folgten Wiederverlautbarung des Strafgesetzbuches von 1852 auch in der Zweiten Republik erneute Geltung. Während der Rosa Winkel der Vergangenheit angehörte, blieb das Rechts-system, das auch in der NS-Zeit für die gerichtliche Verfol-gung Homosexueller gesorgt hatte, also bestehen. Eine Betrachtung einzelner Gerichtsverfahren aus jener  Zeit zeigt erschreckend deutlich, dass für viele Betroffene die Gliederung nach einzelnen Herrschaftssystemen wie Repu-blik, Ständestaat und Drittes Reich keinen Einfluss auf ihre persönliche Stigmatisierung hatte. Aufarbeitungen der ge-richtlichen Verfolgung von Einzelpersonen zeigen deutlich, dass während der NS-Zeit erfolgte Verurteilungen und Zei-ten in Konzentrationslagern auch im österreichischen Rechts-system nach 1945 als Vorstrafen angesehen wurden und oft zu härteren Bestrafungen führten. Zwar zeigt die aktuelle For-schung auch Gegenbeispiele dazu, es muss aber eine zumin-dest größtenteils vorhandene Rechts- und Alltagskontinuität zwischen dem NS-System und der Zweiten Republik festge-stellt werden. III.  DER LANGE WEG ZUR STRAFRECHTSREFORM Insgesamt wurden in 1.076 Strafverfahren, nach §129, zwi- schen 1945 und 1971 in 736 Fällen Haftstrafen verhängt, in nur rund 110 kam es zu Freisprüchen. Damit liegt die Ver-folgung Homosexueller in der Zweiten Republik in Zahlen deutlich über jener von vor 1938. Betroffen waren vor allem junge Männer. Während andere Länder West- und Mitteleu-ropas Homosexualität bereits bald nach dem Zweiten Welt-krieg entkriminalisierten (oder das schon davor getan hatten), kann im internationalen Vergleich festgestellt werden, dass Österreich die gerichtliche Verfolgung am konsequentesten durchführte. Die Basis dieser Stigmatisierung kann wohl im besten  Fall als richterliches „Alltagswissen“ bezeichnet werden, das  den Blick jener Zeit auf Homosexualität auf traurige Weise widerspiegelte: „So unterschiedlich sie [die Urteilsbegründungen, Anm.] im Einzelfall aussehen mochten, ihr gemeinsames Merkmal war jeden-falls ihr Synkretismus: Fast nach Belieben mischten sie Vererbungs-lehre mit Annahmen über Sozialisationseffekte, Physiognomiken mit Zerrüttungstheorien etc.“ (Müller/Fleck 1998: 406) Die hohe richterliche Freiheit in der Urteilsfindung wird  durch eine auffallende Vielfalt von ins Treffen geführten Mil-derungs- und Erschwernisgründen unterstrichen: Einzelfälle zeigen, dass Aussagen über die Entsagung von Geschlechts-verkehr in der Ehe als Milderungsgrund genauso angesehen wurde, wie im Fall eines männlichen Angeklagten „daß durch seine lange KZ-Haft die widernatürliche Veranlagung be-günstigt wurde“. In den meisten Fällen kann aber von einem richterlichen „Alltagswissen“ und Vorannahmen gesprochen werden, das weit über die eigentliche rechtliche Frage hin-ausging. Die Kontinuität dieser Beurteilungen zeigt sich auch darin, dass eine nach dem Anschluss 1938 polizeilich einge-führte Kartei, in der alle Fälle nach §129 gesammelt wurden, nahtlos in der Zweiten Republik weitergeführt wurde. Auch wenn die Lebensrealität von Homosexuellen jener Zeit in Ös-terreich vor dem Hintergrund der Rechtslage sozialhistorisch wenig erforscht ist, so muss doch davon ausgegangen werden, dass sie sich unter dem Aspekt der Sexualität wenig von der Kriegszeit unterschied. Eines der wenigen Zeugnisse aus dieser Zeit stammt vom  Schriftsteller Johann Neumann, der unter dem Pseudonym Heinz Heger, im Jahr 1972 mit seinem Werk Die Männer mit dem Rosa Winkel erstmals einen Bericht über die Erlebnisse von homosexuellen Inhaftierten im KZ-System veröffentlich-te. Er beschrieb die dauerhafte Stigmatisierung, die Heim-kehrer nach 1945 erlebten, und den unveränderten sozialen Druck im Österreich der Zweiten Republik: „In der ersten Zeit nach meiner Heimkehr tuschelte und raun-te zwar die Nachbarschaft über mich ‚warmen‘ KZler, aber da ich sehr zurückgezogen lebte und nie in eine homosexuelle Affäre ver-wickelt wurde, ließ man mich in Ruhe meiner Arbeit nachgehen, kam mir aber auch menschlich nie näher. […]. So aber müssen wir Homosexuelle noch immer im Schatten der Gesellschaft leben und ein recht menschenunwürdiges Dasein fristen.“ (Heger 2011: 168 f.)


 22 | ZUKUNFT  Die ersten Veränderungen in der Beurteilung von Homo- sexualität lassen sich ab 1953 erkennen, als eine Kommission zur Überarbeitung des Strafrechts von 1852 eingesetzt wur-de. Deren Arbeit wurde anfangs grundlegend von allen poli-tischen Lagern mitgetragen, erlebte aber rasch eine Polarisie-rung, die sie zu einem dauerhaften innenpolitischen Thema machte. Nach ersten Vorschlägen entwickelte sich insbeson-dere von 1960 bis 1966 eine „Politisierung der Reform“, die zunehmend kontrovers diskutiert wurde. Insbesondere die ÖVP blockierte eine Veränderung des Strafrechts, als sie ab 1966 mit einer Alleinregierung im Amt war. Sie legte in jener Zeit eine eigene Strafrechtsnovelle vor, die gerade in der Fra-ge des Strafrechts – genauso wie in Fragen der Selbstbestim-mung von Frauen – das christlich-konservative Weltbild auf weitere Jahrzehnte im Strafrecht einzementiert hätte. Durch-setzen konnte sie sich nicht. IV.  DIE WENIGEN ZEUG*INNEN DES KAMPFES UM AKZEPTANZ Zeugnisse vom Einsatz für die Entkriminalisierung von  Homosexualität am Beginn der Zweiten Republik gibt es we-nige. Denn während politische Befürworter*innen sich insbe-sondere erst ab den 1960er-Jahren wirklich zu Wort melde-ten, fanden direkt von der Verfolgung Betroffene nur in den seltensten Fällen den Weg in die Öffentlichkeit. Peter Schie-der, der als SPÖ-Abgeordneter 1970/71 zu einem der lautesten Verfechter der Entkriminalisierung wurde, stellte dazu richti-gerweise fest:  „Hier gab es keine Interessensvertretung der Betroffenen, sie selbst standen ‚mit einem Fuß im Gefängnis‘ wenn sie öffentlich auftra-ten, um ihre Erfahrungen oder Wünsche zu artikulieren, sie konn-ten eines der wichtigsten Gesetze ihres Lebens eigentlich nur ano-nym und abwartend mitverfolgen.“ (Gössl 2011: 10) Die wenigen Personen, die sich selbst zu Wort melden  konnten, waren entweder in anerkannten Verbänden wie der Liga für Menschenrechte organisiert oder taten dies aus einer Po-sition der persönlichen Absicherung heraus. Zu letzterer Gruppe zählt Wolfgang Benndorf. Er war als  pensionierter Direktor der Universitätsbibliothek Graz nicht nur persönlich abgesichert, sondern erzeugte mit seinem En-gagement auch einen der ersten Höhepunkte der Emanzipa-tionsbewegung von Schwulen und Lesben nach dem Zwei-ten Weltkrieg. Seinen ersten breitenwirksamen Artikel zur  Homosexualitätsfrage verfasste er unter dem Eindruck zeitge-nössischer Strafprozesse unter dem Titel Tausendundeine Sitt-lichkeitsaffäre  in der sozialdemokratischen Neuen Zeit im Jahr 1953. Seinen wohl größten Einfluss hatte Benndorf 1956, als er sich im Rahmen der Liga für Menschenrechte in ein Strafverfah-ren einmischte, in dem in Vorarlberg 128 Personen wegen ho-mosexueller Aktivitäten angeklagt wurden. Auch in internati-onalen Medien erlangte Benndorf dabei Aufmerksamkeit, da er eine 42-seitigen Broschüre unter dem Titel Unvernunft und Unheil im Sexualstrafrecht als Argumentation verfasste und sie jedem Prozessbeteiligten übermittelte. Sein Engagement hat-te Wirkung. Es wurden „nur“ 96 bedingte Strafen verhängt, insgesamt fielen die Urteile deutlich milder aus als erwartet. In der Schweizer Homosexuellen-Zeitung Der Kreis war zu lesen:  „Gerechterweise muss gesagt werden, dass das Gericht ausseror-dentlich milde, bisher in dieser verständnisvollen Grosszügigkeit in Österreich kaum bekannte Urteile gefällt hat. […]. Vor allem aber ist das erfreuliche Ergebnis ohne Zweifel ein Verdienst des Herrn Hofrates Dr. Benndorf, dessen ebenso kluge wie mutige und mann-hafte Interventionen offensichtlich Eindruck gemacht haben.“ (N. N. 1956: 15) Benndorfs Kernaussagen dort waren juristischer Natur,  nahmen aber auch zahlreiche geschichtliche und philoso-phisch-ethische Argumente auf, medizinische Analysen fehl-ten weitgehend: „Inzwischen würde aller Menschenjammer, den der § 129 erzeugt, unvermindert weitergehen. Wenn das Parlament genug Verantwor-tungsbewußtsein hätte, um sich auch nur durch die nicht abreißende Kette von Selbstmorden in seiner Lethargie stören zu lassen, dann müßte dieser mörderischste aller Strafparagraphen sofort und einzeln angepackt werden.“ (Benndorf 1956: 35) V.  DIE KLEINE STRAFRECHTSREFORM UND DER BEGINN EINES NEUEN KAMPFES Zu einer echten Wende im Kampf um die Entkrimina- lisierung von Homosexualität kam es erst Mitte der 1960er-Jahre. Während die Bewegung für gesellschaftliche Öffnung und Modernisierung Fahrt aufnahm, legte die ÖVP-Allein-regierung eine Strafrechtsreform vor, die reaktionäre Welt-bilder weiter verankern wollte. Und obwohl Kanzler Klaus diese nicht durchsetzen konnte, brachte der Widerstand ge-gen diese Reform einen neuen Aufwind für linke und libe-rale Zugänge. So wurde im universitären Umfeld zum Bei- DER LANGE WEG ZUM LEGALEN L(I)EBEN  VON SEBASTIAN PAY


 ZUKUNFT | 23  spiel der Verband Sozialistischer Studenten zu einer der zentralen Vorkämpfer*innen für ein modernes Sexualstrafrecht. Der Höhepunkt dahingehender Aktivitäten ist aber sicherlich die Tagung  Sexualität ist nicht pervers, die von der Wiener Sekti-on des VSStÖ vom 16. bis 20. Oktober 1967 an der Uni-versität Wien durchgeführt wurde. Die besondere Breiten-wirkung, die der VSStÖ mit dieser Veranstaltung erreichen konnte, lässt sich auch an der Teilnahme von Theodor Wie-sengrund Adorno ablesen, der einen Vortrag zur Frage Se-xualtabus und Recht heute hielt. Im Rahmen der Veranstaltung waren unter anderem Gäste aus Deutschland und Schweden anwesend, diskutiert wurden zahlreiche Fragen des Sexual-strafrechts, wie beispielsweise jene der Abtreibung. Als promi-nenteste, weil provokanteste Forderung, trat dabei aber sicher-lich jene der Entkriminalisierung von Homosexualität hervor. Mit diesen und vielen anderen Aktivitäten wurde der  Grundstein für eine Stimmung gelegt, die nach dem Wahl-sieg Kreiskys 1970 und der Formung der SPÖ-Minderheitsre-gierung zu einem Zustand führte, in dem die Entkriminalisie-rung von Homosexualität zu einer dringlichen Notwendigkeit geworden war. Kanzler Kreisky selbst meinte in seiner Regie-rungserklärung am 21. April 1970: „Die Bundesregierung hält gerade in Hinblick auf die Notwendig-keit einer sorgfältigen parlamentarischen Beratung der großen Straf-rechtsreform legislative Sofortmaßnahmen für erforderlich, die nach allgemeiner Auffassung nicht mehr länger aufgeschoben werden dür-fen, will man tausendfaches Leid auf Grund unhaltbar gewordener Vorschriften nicht täglich wiederkehren lassen.“ Damit attestiert Kreisky, genauso wie später beispielsweise  auch Proponent*innen der ÖVP, dass die Frage von Homose-xualität unter Erwachsenen trotz aller moralischen Einwände im Jahr 1970 weitgehend im Konsens betrachtet wurde – auch bei der finalen Abstimmung des Nationalrats stimmten in of-fener Abstimmung nur wenige Abgeordnete der ÖVP gegen die  Kleine Strafrechtsreform. Und während ein Unterausschuss des Justizausschusses sich noch einige Monate mit dieser Fra-ge beschäftigte, entwickelten einige SPÖ-Abgeordnete eigenes Engagement für eine rasche Entkriminalisierung. So erzählt Peter Schieder in seinen Erinnerungen: „Ich weiß nicht, von wem eigentlich die Idee kam, sie war jedenfalls großartig: Ein – natürlich geheimes – Treffen einiger Abgeordneter mit Homosexuellen, um alle offenen Punkte und deren zusätzli-che Wünsche an das Gesetz zu besprechen. […]. Mut, Offenheit  und Eindringlichkeit der Diskussionsbeiträge waren für mich beein-druckend und bewegend. Und wahrscheinlich wurde mir erst dort die volle Grausamkeit und Dummheit einer Gesetzesbestimmung bewusst, die für viele Männer das persönliche Lebensglück verboten und strafbar gemacht hat.“ (Gössl 2011: 10) Als die Kleine Strafrechtsreform nach jahrelangen Bemühun- gen und vielen Widerständen am 8. Juli 1971 beschlossen wurde, hatte der Fortschritt trotz allem einen schalen Beige-schmack. Der Beschluss fußte für viele (aber nicht alle) Betei-ligten nicht auf dem Sinnen nach Gerechtigkeit und Gleich-heit, sondern auf dem simplen Gedanken, dass „Verirrungen“ wie Homosexualität zwar abzulehnen seien, aber eben kein Teil des Strafrechts sein müssten. Im Kampf um Mehrheiten führte der Nationalrat außerdem vier Sonderstrafparagrafen – wie das Verbot der Werbung oder der Gründung von Verei-nen – ein. Der letzte dieser Paragrafen, das unterschiedliche Schutzalter für schwule Jugendliche, wurde erst 2002 gekippt. Der Kampf für Gleichstellung ging 1971, genauso wie heute, unvermindert weiter. SEBASTIAN PAY  ist Bundessekretär der sozialdemokratischen LGBTIQ-Organisation  SoHo, studiert Geschichte und Soziologie und ist u. a. als   parlamentarischer Mitarbeiter für die Themenbereiche   Gleichbehandlung und Diversität tätig. LiteraturBenndorf, Wolfgang (1956): Unvernunft und Unheil im Sexualstrafrecht  §129 lb öStG (§175 dStGB) im Lichte der Tatsachen, Wien: Sensen. Gössl, Martin (2011): Von der Unzucht zum Menschenrecht: eine Quel- lensammlung zu lesbisch-schwulen Themen in den Debatten des ös-terreichischen Nationalrats von 1945 bis 2002, Graz: Rosalila Panthe-rInnen. Heger, Heinz (2011): Die Männer mit dem Rosa Winkel. Der Bericht eines  Homosexuellen über seine KZ-Haft 1939–1945, Gif ken: Merlin. HOSI Wien: Homosexuelle NS-Opfer erhalten endlich Rechtsanspruch  auf Entschädigung, online unter: https://www.hosiwien.at/homo-sexuelle-ns-opfer-erhalten-endlich-rechtsanspruch-auf-entschadi-gung/ (letzter Zugriff: 23.04.2021). Müller, Albert/Fleck, Christian (1998): „Unzucht wider die Natur“. Ge- richtliche Verfolgung der „Unzucht mit Personen gleichen Geschlechts in Österreich von den 1930er bis zu den 1950er Jahren, in: Österreichi-sche Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 9 (3), 400–422. N.N. (1956): Dankesbrief aus Oesterreich, in: Der Kreis. Eine Monats- schrift 7, 15.


 24 | ZUKUNFT  GESCHLECHTERVIELFALT IN ÖSTERREICH  VON DOMINIQUE MRAS  I. EINLEITUNG Die Geschichte von transidenten Menschen reicht lange  zurück und ist keineswegs, wie heutzutage oftmals gerne be-hauptet, ein neues Phänomen. Transidente Personen lehnen das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht ab. Denn abseits der binären Geschlechterstruktur von Mann und Frau gibt es in unserer Gesellschaft eine breite geschlechtliche Viel-falt. Genau diese Vielfalt existiert aber oftmals versteckt bzw. wird oft bewusst versucht, sie unsichtbar zu machen. Sei es von staatlicher Seite durch diskriminierende Gesetze oder von konservativen Kräften, die transidenten Personen mehr oder minder unverhohlen ihre Existenzberechtigung abspre-chen. Deswegen muss es auch in Zukunft zentraler Bestand-teil von jedem politischem Aktivismus sein, Dinge sichtbar zu machen. Nur so erhalten Betroffene und Unterstützer*innen die Möglichkeit, über Missstände und Unterdrückung zu sprechen und gegen diese anzukämpfen. Und das ist notwen-dig – denn die Marginalisierung von transidenten, interge-schlechtlichen und nicht-binären Menschen ist vielfältig und hat „Tradition“ in Österreich. Doch mit Blick auf die vielen gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit ist Besserung in Sicht: Ein langer harter Kampf in Vergangenheit Gegenwart und Zukunft! Transidentität ist so alt wie die Menschheitsgeschichte  selbst. Die Geschlechterbiologie, die gerne als unumstößlich und eindeutig dargestellt wird, ist nämlich alles andere als bi-när. Zahlreiche Zeugnisse von Menschen, die sich nicht in dieses starre Konstrukt eingliedern wollen oder können, ver-anschaulichen uns im Laufe der Geschichte, dass die ausschlie-ßende Unterscheidung zwischen Mann und Frau nicht die Wirklichkeit abbildet. Vielmehr ist es genau dieses exklusi-ve und starre Konzept von Geschlecht, das viele Menschen in  unserer geschlechtlichen Vielfalt unterdrückt und sozial ein-schränkt. Diese Unterdrückung hat System. Und sie ist von neoliberalen Machtverhältnissen so gewollt! II.  ZUR KATEGORIE „GESCHLECHT“ Klar ist: Die Kategorie Geschlecht, innerhalb eines binä- ren Systems, gibt uns vermeintliche Orientierung und Sicher-heit. Die Rollen von Männern und Frauen sind immer noch klar verteilt. Darüber hinaus kennen viele gar kein anderes Konzept abseits des binären Geschlechtermodells. Wir lernen es in der Schule und sehen seine Auswirkungen im Beruf. Die erste Frage bevor ein Kind überhaupt auf die Welt kommt ist nicht umsonst: „Wird es ein Mädchen oder ein Junge?“! An-hand dieser Frage werden schon vor der Geburt Erwartungs-haltungen und Rollenbilder auf das binäre Geschlecht des Kindes projiziert. Diese strikte Kategorisierung ist gewollt, denn in einem kapitalistischen und neoliberalen System ist die Rollenverteilung essenziell und darf nicht wirklich hinterfragt werden. Doch genau das tun transidente, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen. Sie sind schlichtweg gezwun-gen ein striktes binäres System zu hinterfragen, welches ihnen nur aufgrund der vermeintlich eindeutigen Biologie zuge-wiesen wurde. Genau deshalb wird Transidentität auch heu-te noch von Gegner*innen eines selbstbestimmten Lebens als Fehler im System begriffen und angegriffen. Stattdessen kann das Ausbrechen aus dem binären System aber genau das Ge-genteil sein: Eine Bereicherung und eine kritische Ausein-andersetzung mit Geschlechterrollen, Feminismus, dem neo-liberalen System des Kapitalismus und seinen ideologischen Fortsetzungen in der Biologie. Denn Studien, Erhebungen und die Erfahrungen unzähliger Menschen in der Mitte unse-rer Gesellschaft zeigen eines klar: Geschlechtliche Vielfalt und  Geschlechtervielfalt in  Österreich Transpersonen sind in Österreich genauso wie intergeschlechtliche und non-binäre Menschen mit massiven Diskriminierun-gen konfrontiert – nur aufgrund ihrer Geschlechtsidentität.  DOMINIQUE MRAS  fragt danach, wie der Kampf um Anerken- nung und Sichtbarkeit „den Rest von uns“ betrifft …


 ZUKUNFT | 25  Selbstbestimmung sind ein Vorteil – nicht nur für direkt Be-troffene, sondern für alle von uns! Leider sieht auch Österreich das Phänomen von Transi- dentität noch immer als „Fehler“ an, der korrigiert oder ver-schwiegen werden kann. Die Geschichte des Kampfes um die Anerkennung von transidenten Menschen in Österreich ist eine lange und mühselige. Während die Homosexuellen-Be-wegung rechtliche Erfolge in den 1970er-Jahren erzielte, dau-erte es für transidente Menschen weitaus länger, bis die ersten wirklichen Schritte zu Selbstbestimmung und Akzeptanz ge-setzt wurden. Änderungen des Personenstands waren in Ös-terreich lange Zeit gar nicht möglich und die Existenz von transidenten Personen wurde von Gesetz und Staat schlicht-weg ignoriert. Erst durch neue medizinische Erkenntnisse und vor allem den unermüdlichen Einsatz vieler Aktivist*innen gegen Widerstände und Angriffe erlangte das Thema der ge-schlechtlichen Vielfalt über die Jahrzehnte mehr Sichtbarkeit. Bis in die Nullerjahre musste mühsam vor Gerichten die  Anerkennung von Trans-Rechten erkämpft werden. Ein zen-trales Beispiel dafür ist das Ende des Operationszwangs für transidente Menschen – dadurch wurde über lange Zeit hin-weg eine geschlechtsanpassende Operation als Basis dafür vo-rausgesetzt, um überhaupt den Personenstand ändern zu kön-nen. Doch auch danach hatten Transpersonen stets nur die Möglichkeit ihren Geschlechtseintrag innerhalb des binären Systems von Mann und Frau zu ändern. Dass es heute eine dritte Option und damit alternative Geschlechtseinträge gibt – also die endgültige rechtliche Legitimation eines nicht-bi-nären Geschlechtersystems – war 2018 aber nicht der Poli-tik, sondern wie in vielen Fällen davor, dem Verfassungsge-richtshof und dem hartnäckigen Einsatz der Zivilgesellschaft zu verdanken. Der stete Kampf um die Sichtbarmachung der Margi- nalisierung und rechtlichen Diskriminierung von transiden-ten Personen hat schlussendlich zu einigen Teilerfolgen ge-führt. Das Verfassungsgericht hat dazu mit der Anerkennung eines dritten Geschlechts einen Meilenstein gesetzt. Diese Er-kenntnis ist auf ähnliche Weise auch in zahlreichen anderen Ländern erfolgt. Allerdings hat das österreichische Urteil die genaue Ausgestaltung des bürokratischen Weges zu einer Per-sonenstandänderung nicht genau definiert. Hier war abermals die Politik dafür verantwortlich, nicht neue Steine in den Weg zu legen und alte Diskriminierungen in neuem Gewand bei- zubehalten. Schon in der Vergangenheit hatte vor allem die ÖVP über Jahre die Aufhebung des Operationszwangs blo-ckiert. Personenstandsänderungen blieben wegen derselben Blockade auch innerhalb des binären Systems weiterhin pa-thologisiert und mit bürokratischen Hürden, wie teuren Gut-achten, erschwert. III.  VON ERLÄSSEN … Dieser Trend setzte sich auch nach dem Urteil zum drit- ten Geschlechtseintrag 2018 auf traurige Art und Weise fort. Innenminister Kickl legte mit dem s.g. „Kickl-Erlass“ eine massiv diskriminierende und praktisch untaugliche Rege-lung vor, die es intergeschlechtlichen Personen durch aufwän-dige Ärzt*innen-Boards massiv erschwerte, überhaupt einen alternativen Geschlechtseintrag zu erhalten. Doch auch nach dem es mit dem Ende des Kickl-Erlasses mit dem Neham-mer-Erlass 2020 zu minimalen Verbesserungen für interge-schlechtliche Menschen kam, änderte sich aber an der Situ-ation von Transpersonen nichts. Denn transidente Menschen ordnen sich eben nicht nur dem binären System zu und le-ben als Männer oder Frauen – viele Transpersonen definieren sich außerhalb dieses Systems und leben non-binär, also we-der als Mann noch als Frau. Ihnen bleibt der Zugang zu al-ternativen Geschlechtseinträgen aber mangels einer Diagnose von Intergeschlechtlichkeit verwehrt – diese Pathologisierung hindert viel zu viele Menschen in Österreich noch heute da-ran, in dem Geschlecht anerkannt zu werden, in dem sie le-ben. Dieser fehlende Eintrag in Reisepass und Geburtsurkun-de stellt nicht nur Einschränkungen für den Selbstwert dieser Menschen dar, sondern sorgt auch im Alltag für massive Be-lastungen. Anstatt einen respektvollen und inklusiven Entwurf für ein modernes, unbürokratisches Personenstandsrecht im Sinne des Verfassungsgerichtshofes zu erarbeiten, bevorzugen es gerade konservative Kräfte weiterhin transidente Personen staatlich zu diskriminieren. Der Nehammer-Erlass, den der aktuelle Innenminis- ter nach einer Amtshandlungsklage durchsetzte, pathologi-siert also weiter anhand medizinischer Kriterien und ignoriert die Lebensrealität von Betroffenen. Heute gibt es in Öster-reich sechs Geschlechtsoptionen – Mann und Frau, sowie „in-ter“, „divers“, „offen“ und das Fehlen eines Eintrags. All diese Optionen und die Wechsel zwischen ihnen sind auf Basis ei-nes Ausschlusses konstruiert, eines Ausschlusses der möglichst jedes Aufbrechen des binären Geschlechterkonstrukts durch 


 26 | ZUKUNFT  GESCHLECHTERVIELFALT IN ÖSTERREICH  VON DOMINIQUE MRAS  unüberwindbare bürokratische Hürden verhindern soll. Der lange Wunsch nach einem offenen, freien Personenstandwe-sen, wurde von der schwarz-grünen Regierung nicht erfüllt. Stattdessen wurde das System abermals verbürokratisiert, um es Betroffenen so schwer wie möglich zu machen, zu ihrem Recht zu kommen. Die Grünen haben es nicht geschafft, die Konservativen vom Grundsatz zu überzeugen, dass kein Gut-achten dieser Welt jemandem bescheinigen kann, wer oder was diese Person ist. IV. SCHLUSS Wo kämen wir denn hin, wenn Menschen ihre Ge- schlechterrollen oder ihren Platz in der Gesellschaft kritisch hinterfragen? Bei diesem Gedanken schaudert es Konservati-ven und dabei vergessen sie, dass sie die Realität längst einge-holt hat. Nicht nur rechtlich gibt es mittlerweile die Vielfalt der Geschlechter, sondern auch in unserer Gesellschaft. Wir sehen diese Umstände heutzutage nur besser – dank des ste-ten Kampfes um Sichtbarkeit, in Vergangenheit, Gegenwart und ZUKUNFT! DOMINIQUE MRAS  ist Bezirksrätin in Wien-Alsergrund und eine der wenigen   transidenten Politiker*innen in Österreich.   Sie ist Trans-Sprecherin der  SoHo Österreich.


 ZUKUNFT | 27  *  Sexuelle Orientierung: Durch gesellschaftliche Fortschritte hören wir immer öfter von Kategorien  wie „schwul“ oder „lesbisch“. Diese bezeichnen die  sexuelle Orientierung, also zu welchem Geschlecht sich eine Person hingezogen fühlt. Die sexuelle Orien- tierung sagt aber nichts über die Geschlechtsidentität  von Menschen selbst aus, sondern nur darüber, wen  sie begehren. Lesbisch, schwul, bisexuell, pansexuell  oder asexuell sind ausschließlich Bezeichnungen für das sexuelle Begehren, das Menschen empfinden. Ob die Personen nun Cis oder Trans sind, ist nicht rele- vant. Wen ein Mensch begehrt, wird nicht durch seine Geschlechtsidentität bestimmt. *  Geschlechtsidentität: Die Geschlechtsidentität sagt uns, in welchem Geschlecht ein Mensch lebt bzw. le-ben möchte – das ist unabhängig vom Körper, den Geschlechtsmerkmalen oder auch dem Aussehen. Be- schreibungen wie „Transgender“ – oder besser: „tran-sident“, „intergeschlechtlich“ oder „non-binär“ fallen  unter diese Kategorie. Die Geschlechtsidentität kann  von jenem Geschlecht abweichen, das bei der Geburt  zugeschrieben worden ist. Ein Mensch, der mit weib-lichen Körpermerkmalen geboren wurde, sich aber als Mann identifiziert, ist transident. Trans*Personen bewegen sich auf einem breiten Spektrum. Nicht immer muss der Körper an das gelebte und gefühlte  Geschlecht angeglichen werden. Ob beispielsweise ge- schlechtsangleichende Eingriffe für eine Person wichtig sind, ist eine individuelle Entscheidung. Auch das bio- logische Geschlecht selbst muss nicht immer eindeu-tig „weiblich“ oder „männlich“ sein. Intergeschlecht-liche Menschen, also Personen, deren Körper sich in einem medizinischen Spektrum zwischen männlich und weiblich bewegt, sind von Geburt an nicht ein-deutig einem Geschlecht zuzuordnen. Als nicht-binäre  Personen bezeichnen sich Menschen, die sich weder  als Mann noch als Frau identifizieren, sondern als bei-des gleichzeitig. Menschen, die mit dem ihnen durch ihre biologischen Merkmale zugewiesenen Geschlecht konform sind, werden „Cis“ genannt – sie werden als  Cis-Männer bzw. Cis-Frauen bezeichnet.  Factbox Geschlechtsidentität vs. sexuelle Orientierung –  was ist der Unterschied: Die Begriffe Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung kommen oft gemeinsam vor, wenn wir über die LGBTIQ-Community sprechen. Zusammengefasst wird damit der Kampf für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, transidenten, intergeschlechtlichen und queeren Personen. Doch bei Geschlechtsidentität und sexueller Orientie-rung geht’s um zwei gänzlich unabhängige Kategorien – vereint werden sie nur dadurch, dass sie im Gegensatz zur heteronormativen Gesellschaft stehen.


 28 | ZUKUNFT  TransMasc (Serie 1–8)  #3 (2019) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm


 ZUKUNFT | 29  TransMasc (Serie 1–8)   #4 (2019) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm OFFERUS ABLINGER


 30 | ZUKUNFT  DER KAMPF FÜR GLEICHBERECHTIGUNG IST INTERNATIONAL  VON CAMILA GARFIAS I. EINLEITUNG Mitten in der Covid-19 Pandemie haben Regierungen in  Polen und Ungarn einen aktiven Angriff auf die Rechte der LGBTIQ-Community gestartet. Einmal mehr zeigt sich vor un-ser aller Augen, dass Menschenrechte keine Selbstverständ-lichkeit sind. Gleichzeitig haben die Europäische Kommission und das Europäische Parlament klare Botschaften gesendet und bewiesen, wie wichtig internationale Solidarität und interna-tionale Arbeit sind. II.  UNGARN UND POLEN – RÜCKSCHRITTE   WÄHREND DER COVID-19 PANDEMIE Schon lange bevor die Gesundheitskrise 2020 ausgebro- chen ist und die Pandemie uns in Lockdown und Isolation ge-schickt hat, haben die polnischen und ungarischen Regierun-gen aktiv gegen die Menschenrechte von LGBTIQ-Menschen gearbeitet. In Polen wurden sogenannte „LGBTIQ-freie“-Zo-nen deklariert, in Ungarn LGBTIQ-Menschen als Ideologie ver-unglimpft und zu Sündenböcken für politisches und soziales Versagen der Regierung Orbans herangezogen. Diese Angrif-fe und Verunglimpfungen wären für sich allein schon schlimm genug gewesen und waren die klare Konsequenz einer bestän-dig betriebenen Politik des Hasses und der Diskriminierung. Doch die Covid-19 Pandemie hat diese Situation ver- schärft: Victor Orban hat in Ungarn die Chance genutzt und unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die Gesundheits- krise verfassungsmäßig verankern lassen, dass das Geschlecht, das bei der Geburt zugeschrieben wird, nicht geändert wer-den darf. De facto wurde damit Transphobie in der ungari-schen Verfassung verankert – und transidente Personen ver-loren ihre Anerkennung, ihren Schutz und einen zentralen Teil ihrer Grundrechte. In Polen hat sich die Stimmung noch weiter verschärft und LGBTIQ-Aktivist*innen werden inzwi-schen von rechtsextremen und klerikalen Faschisten auf offe-ner Straße angegriffen. All das passiert unter dem Deckmantel der Pandemie und von Ausnahmezuständen. Als Sündenbö-cke werden Schwule, Lesben, Bisexuelle, transidente, inter-geschlechtliche und queere Menschen vorgeschoben, um De-mokratie- und Sozialabbau, Angriffe auf Gewerkschaften und der Rechtsstaatlichkeit zu verschleiern.  III.  EIN ANGRIFF AUF UNS ALLE Wenn rechtsautoritäre Regierungen einen Angriff auf die  Menschenrechte in einem Land in Gang setzen, dann müs-sen wir alle aktiv werden. Menschen das Recht auf ein freies und offenes Sein zu verwehren, ist ein aktives Instrument von Menschenfeinden, die die Freiheit von Frauen, LGBTIQs und Migrant*innen einschränken wollen. So wird dieselbe Strate-gie des Hasses in Polen auch gegen die Grundrechte von Frau-en eingesetzt, in Ungarn werden Roma und Sinti attackiert. Wenn sie einen oder eine von uns angreifen, dann müssen  wir das als einen Angriff auf uns alle verstehen. Wenn in ei-nem Land die Rechte von Communities abgeschafft werden,  Der Kampf für   Gleichberechtigung ist  international Kaum eine Ebene ist für den Kampf für Gleichstellung, Akzeptanz und Vielfalt so wichtig, wie die Europäische Union. Viele Fortschritte für LGBTIQ-Personen sind auch in Österreich nur durch europäischen Druck zustande gekommen, wobei ein massiver Backlash auf EU-Ebene zu verzeichnen ist, wie  CAMILA GARFIAS  betont …


 ZUKUNFT | 31  wird solch menschenfeindliche Politik zum akzeptablen Status Quo. Dagegen hilft nur gemeinsames, solidarisches Arbeiten und bedingungslose Solidarität mit marginalisierten Gruppen – in sozialen, genauso wie in gesellschaftspolitischen Kämpfen in allen Ländern Europas. IV.  FREIHEITSZONE EUROPA Auf Druck der Zivilgesellschaft und von Gleichstellungs- organisationen in ganz Europa, aber auch auf Initiative jener politischen Parteien, die für bedingungslose Menschenrechte stehen, wurde im Europäischen Parlament eine Resolution zur „LGBTIQ-Freiheitszone“ eingebracht. Mit einer Mehrheit von 492 zu 141 Stimmen und 46 Enthaltungen haben die Abge-ordneten des Europäischen Parlaments im März diesen Jahres Europa zur Freiheitszone für LGBTIQs erklärt. Diese Resoluti-on als Antwort auf die diskriminierenden Tendenzen in Po-len und Ungarn stellen ein klares Signal an Lesben, Schwule, Transgender und Intergeschlechtliche Personen dar – Euro-pa fordert damit auch alle Nationalstaaten dazu auf, selbst für diese Menschenrechte aktiv zu werden. Die spanische Sozialdemokratin und Fraktionsvorsitzende  der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Europäischen Par-lament, Iratxe García Pérez, betonte, dass in einigen europäi-schen Ländern Gewalt und Diskriminierung immer noch Re-alität für LGBTIQ-Personen seien. Und gerade deshalb müsse Europa und die Europäische Union eine klare Position in Sachen Menschenrechte beziehen. Schon davor, Ende 2020, legte die Europäische Kommissi- on mit der Union der Freiheit die erste umfassende Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ-Personen auf allen Ebenen vor. In Bereichen wie Sicherheit und Antidiskriminierung stellt sich Europa damit an die Spitze der Bewegung für Gleichheit und Freiheit für ALLE. Damit stehen zwei der drei zentralen EU-In-stitutionen hinter den Menschenrechten der LGBTIQ-Commu-nity – der von den Mitgliedsstaaten besetzte Europäische Rat fehlt (noch). V.  SPANNUNGSFELD FREIHEITSZONE UND   FESTUNG EUROPA Während sowohl Europäische Kommission als auch Euro- päisches Parlament auf der einen Seite Menschenrechte von LGBTIQ-Menschen unterstützen und mit Resolutionen, Be-schlüssen und Sanktionen – völlig zu Recht – rechtsextreme  Regierungen zurechtweisen, hinkt die Europäische Union ins-gesamt mehr als nur nach, wenn es um die Menschenrechte von Asylsuchenden geht. Und hier kommen wir zum Knackpunkt der sozialen Fra- ge und dem zentralen Unterschied zwischen sozialistischen/sozialdemokratischen Organisationen und liberalen/bürgerli-chen Organisationen. Denn nur mit einem Blick auf die glo-balen und ökonomischen Machtverhältnisse, die zu Ungleich-heit und Ausgrenzung führen, können wir unsere Solidarität und unseren gemeinsamen Kampf verstehen.  Asylsuchende sind Frauen, Lesben, Schwule und transi- dente Menschen, sie sind Teil marginalisierter Gruppen und verdienen vor allem eines: Schutz, Würde und Anerkennung. Schutzsuchende sind also Teil jener Gruppe, die laut Beschluss der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments in Europa sicher sein sollen. Aber sicher sind genau diese Men-schen der LGBTIQ-Community momentan nur dann, wenn sie am richtigen Ort geboren wurden. Konsequente solidarische Praxis muss daher auch immer  offen und ehrlich dieses Spannungsfeld ansprechen und kon-frontieren. In den Worten einer Vorkämpferin der LGBTIQ-Be-wegung, Marsha P. Johnson: „No pride for some of us wit-hout liberation for all of us.“ VI. UNSERE ANTWORT IST INTERNATIONALE  SOLIDARITÄT Eine befreite Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn  wir anerkennen, dass Diskriminierung stets eine sozialöko-nomische Komponente mit sich bringt. Jeder antirassistische Kampf, so wie jeder Kampf für die Befreiung der LGBTIQ-Community muss genau deshalb stets mit dem Kampf um so-ziale Emanzipation einhergehen. CAMILA GARFIAS  ist seit 2019 Vorsitzende des europäischen LGBTI-Dachverbandes der  sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien,  Rainbow Rose. 


 32 | ZUKUNFT  I. EINLEITUNG Schätzungen zufolge sind mehr als 200.000 Beschäftig- te in Österreich lesbisch, schwul, bi-, trans- oder intersexuell (LSBTI). Wie es diesen Menschen im Job geht, steht im Zent-rum einer im Auftrag der Arbeiterkammer Wien durchgeführten Studie. Dass dieser Fokus längst überfällig war, haben schon die ersten Antworten gezeigt: Von verheimlichten Partner-schaften, Ausgrenzung im Betrieb und der Belastung „sich bei neuen Kolleg*innen immer wieder aufs Neue outen zu müs-sen“ war etwa die Rede. Aber auch über zahlreiche positive Reaktionen und Erfahrungen wurde berichtet. II.  LSBTI-ALLTAG IN ZEITEN VON  #MEQUEER Ende August tauchte ein neuer Hashtag in den Twitter- Trends auf: Unter #MeQueer meldeten sich Personen aus der LSBTI-Community zu Wort und schilderten diskriminieren-de Erfahrungen aus ihrem Leben. Innerhalb weniger Wochen wurden mehr als 150.000 Tweets abgesetzt, die vor allem eines zeigen: Die scheinbare Akzeptanz gegenüber Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidenti-tät erreicht schnell ihre Grenzen – die geschilderten Fälle rei-chen von obszönen Witzen und Beleidigungen bis hin zu har-ten Diskriminierungen, die sogar in offenen Hass und Gewalt münden können. III.  HETEROSEXUALITÄT ALS NORM Gerade in ihrem Beruf stoßen LSBTI-Personen immer  noch häufig auf Vorurteile und Ablehnung. Auch wenn vie- le behaupten, dass Sexualität in ihrer Arbeit keine Rolle spielt („Arbeit ist Arbeit, privat ist privat“), sind Arbeitsplätze kei-neswegs nur Orte steriler Leistungserbringung. Vielmehr wird Heterosexualität oftmals in den Vordergrund gerückt und als Norm gesetzt – symbolisch etwa im klassischen Familien-foto am Schreibtisch des Chefs oder der Chefin. Alles, was von dieser Norm abweicht, wird folglich erklärungsbedürftig. Mitarbeiter*innen, die über ihr Heteroprivatleben plaudern, führen ein „ganz normales“ Gespräch in der Arbeit. Derselbe Inhalt unter den Vorzeichen einer gleichgeschlechtlichen Be-ziehung wird stattdessen schnell als ein zu viel an Information und als Grenzüberschreitung eingestuft. IV. ERSTMALS GROSSE BEFRAGUNG VON LSBTIS  ZU IHRER ARBEITSSITUATION Vor diesem Hintergrund hat das Sozialforschungsinsti- tut SORA 2017 im Auftrag der AK eine Studie zur Arbeitssi-tuation von Lesben, Schwulen, bisexuellen, Trans*- und In-tersex-Personen (LSBTI) in ganz Österreich durchgeführt. Auf einer eigens eingerichteten Homepage konnten Menschen, die sich der LSBTI-Gemeinschaft zuordnen, an einer Befra-gung teilnehmen, in der es u. a. um ihre Arbeitsbedingun-gen, ihre Outingsituation im Betrieb und ihre Beziehungen zu Kolleg*innen und Vorgesetzten ging. Die Studie ist statis-tisch gesehen zwar nicht repräsentativ, liefert aber mit ihren mehr als 1.200 Interviews erstmals umfassende Einblicke in die Arbeitssituation von LSBTIs in Österreich. LSBTI UND ARBEITSWELT  VON DANIEL SCHÖNHERR UND MARTINA ZANDONELLA LSBTI und Arbeitswelt Mit der ersten Studie zur Situation von LSBTI-Personen in der Arbeitswelt schrieb die Arbeiterkammer vor wenigen Jahren Geschichte. In diesem Beitrag des A&W-Blogs zeigen  DANIEL SCHÖNHERR  und  MARTINA ZANDONELLA , wo die  Herausforderungen durch sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz auch heute noch liegen.


 ZUKUNFT | 33  V.  FAST JEDE*R FÜNFTE IN DER ARBEIT NICHT  GEOUTET Nur rund ein Viertel (23  %) spricht in der Arbeit ganz of- fen über die eigene sexuelle Orientierung bzw. Geschlecht-sidentität. Die meisten Befragten (59 %) sprechen ihre sexu-elle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz zwar nicht bewusst an, reden aber auf Nachfrage darüber. 9 % lassen ihre Kolleg*innen und Vorgesetzten in einem falschen Glauben, ebenfalls 9 % halten sexuelle Orientierung und Ge-schlechtsidentität komplett geheim. Die Angst vor sozialer Benachteiligung – etwa in Form  von Witzeleien, Tratsch bis hin zu physischen Angriffen – ist für die meisten der Hauptgrund, sich nicht zu outen. Für vie-le LSBTIs heißt das aber, sich z. B. nicht am Büro-Smalltalk der Kolleg*innen beteiligen zu können, seien es die anstehende Urlaubsplanung, Hobbies oder das Fortgehen am Wochen-ende. Während rund 80 % sagen, dass z. B. Freizeitgestaltung und Beziehungen durchaus übliche Gesprächsthemen in ih-rer Arbeit sind, erzählen nur rund 60 % der LSBTIs selbst von ihren Hobbies oder ihren Partner*innen, vier von zehn blei-ben außen vor. VI. POSITIVE ERFAHRUNGEN MIT DEM EIGENEN  COMING-OUT „Coming-out“ ist kein singuläres Ereignis, sondern muss  von den Betroffenen immer wieder abgewogen und vollzogen werden. Mit jedem neuen Kollegen oder jeder neuen Kol-legin stellt sich auch die Frage aufs Neue: outen oder ver-heimlichen? Positiv ist: Den meisten ist das eigene Coming-out durchaus leichtgefallen und viele haben im Anschluss Zuspruch und Akzeptanz erfahren bzw. konnten engere Be-ziehungen zu ihren Kolleg*innen aufbauen. Weitere positive Schilderungen betrafen die Möglichkeit, im Anschluss auch LSBTI-Themen in die Arbeit einzubringen, Kolleg*innen bei ihrem Coming-out zu unterstützen oder die Erfahrung, selbst auch Unterstützung von Kolleg*innen oder Vorgesetzten zu erhalten. VII. DISKRIMINIERUNG OFT IM  ZWISCHENMENSCHLICHEN Nichtsdestotrotz zeigt die Studie ein hohes Maß an ne- gativen Erfahrungen in der Arbeit. Die häufigste Form der Diskriminierung stellt Tuscheln bzw. das bewusste In-die-Welt-Setzen von Gerüchten und üble Nachrede dar – rund  vier von zehn haben dies schon einmal erlebt. Auch obszöne Witze mussten rund 40 % der LSBTI-Beschäftigten schon ein-mal über sich ergehen lassen. Die erlebten Diskriminierun-gen reichen aber auch in die konkrete Arbeitstätigkeit hinein, etwa in Form von Kommunikationsausschluss, Ausgrenzung oder unsachgemäßer Kritik an der Arbeit. Fast jede*r Siebte musste Beschimpfungen und Beleidigungen bis hin zu Mob-bing, Psychoterror, Drohungen und Erpressungen über sich ergehen lassen, immerhin 8 % berichten von sexueller Beläs-tigung oder wurden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. Identität gekündigt. VIII. TRANS*-PERSONEN BESONDERS HÄUFIG  BETROFFEN Besonders schwer haben es Trans*-Personen: Rund die  Hälfte hat Diskriminierungserfahrungen bzgl. ihrer Arbeitstä-tigkeit gemacht, rund drei Viertel wurden von Kolleg*innen und/oder Vorgesetzten mit Witzen, Imitieren, unangeneh-men sexuellen Anspielungen und dergleichen konfrontiert und ein Viertel hat schon mindestens einmal eine harte Mob-bingerfahrung machen müssen. Darüber hinaus ist es für Trans*-Personen oft schwer, richtig Fuß am Arbeitsmarkt zu fassen: Mehr als jede*r Dritte hat aufgrund der Geschlecht-sidentität schon einmal einen Job nicht bekommen, 26 % sind gekündigt worden und 41 % haben selbst schon einmal einen Job gekündigt, weil die Situation für sie zu belastend war. IX.  IGNORIEREN ALS HÄUFIGSTE REAKTION Auffällig ist, dass die Mehrheit versucht, allein mit den ne- gativen Erfahrungen umzugehen. Mehr als die Hälfte aller be-troffenen Personen gibt an, Beleidigungen und Diskriminie-rungen so gut wie möglich zu ignorieren. Fast jede*r Dritte gibt darüber hinaus an, dass sie/ihn diese Dinge „kalt lassen“ und sie/er „über diesen Dingen“ stehe. Dies führt aber in den meisten Fällen zu keiner Veränderung der Situation. Beson-ders bedenklich ist, dass rund jede*r Vierte angibt, nicht zu wissen, was er oder sie hätte machen können. X.  FORDERUNGEN NACH RICHTLINIEN UND  DIVERSITY-TRAININGS Die befragten LSBTI-Beschäftigten erwarten sich in ers- ter Linie klare Richtlinien für den Umgang mit LSBTI-Perso-nen und LSBTI-Themen im Betrieb, ein klares Auftreten gegen Diskriminierungen seitens ihrer Unternehmensführung und 


 34 | ZUKUNFT  LSBTI UND ARBEITSWELT  VON DANIEL SCHÖNHERR UND MARTINA ZANDONELLA themenspezifische Weiterbildungen oder Diversity-Trainings für die Mitarbeiter*innen und Arbeitnehmervertreter*innen. Die beiden am wenigsten hilfreich erachteten Vorschläge be-treffen sprachliche und symbolische Maßnahmen. Die übli-che Zurschaustellung der Regenbogenfahne reicht also nicht mehr, auch wenn es vielen nach wie vor um Sichtbarkeit geht. Will man aber wirklich „Flagge bekennen“ und die Gleich-stellung von lesbischen, schwulen, bi-, trans- oder intersexu-ellen Menschen in Österreich vorantreiben, braucht es auch auf betrieblicher Ebene konkrete Maßnahmen. Dieser Beitrag erschien am 27. September 2018 auf dem  A&W-Blog. A&W macht diesen Beitrag unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 zugänglich. DANIEL SCHÖNHERR  ist Sozialwissenschafter bei SORA.  Weitere  Forschungs schwer- punkte sind u. a. Qualität von Arbeit, Bildungs- und Berufsverläufen sowie  Arbeitslosigkeit. MARTINA ZANDONELLA  ist Sozialwissenschafterin bei SORA. Weitere Forschungsschwer- punkte sind u. a. Bildungsforschung, Demokratie- und  Partizipationsforschung.


 ZUKUNFT | 35  TransMasc (Serie 1–8)   #6 (2017) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm OFFERUS ABLINGER


 36 | ZUKUNFT  I. EINLEITUNG Immer öfter geistern diese Ansagen durch die Medien und  durch unseren Alltag: „Was darf denn überhaupt noch gesagt werden?“ Wir befinden uns sofort im Feld der Ambivalenz: Ist es immer so klug, zu sagen was man denkt? Oder ist es im-mer richtig den Mund zu halten? Vielleicht wäre es besser ein paar Bücher zum Thema zu lesen oder ein paar gute Podcasts zu hören? Offensichtlich geht es nicht um Beantwortung der Frage, wie wir über was reden sollen, sondern um den Kampf um Raum, um die Verteidigung von Normalität, die sehr eng definiert ist. „Was ist denn heute schon noch normal?“ raunt es sicher gleich aus einem nächsten Eck. Verschiebungen, Er-weiterungen des Horizontes sind schwierig, wenn wir es uns doch so gemütlich eingerichtet haben. Überschaubar. Ein-fach. Unrealistisch. Ja, unrealistisch, weil die Vorstellungen von einer einfachen Welt nichts mit unserem Alltag zu tun ha-ben. Eigentlich. Und das mit dem im richtigen Moment schweigen und  im richtigen Moment den Mund aufmachen, ist an sich keine einfache Entscheidung. Oft geht es um Zeichen setzen, subtil oder nicht, laut und leise, mal distanziert oder involviert. Am Ende des Tages geht es darum, was für ein Menschenbild habe ich von mir selbst und wie will ich gesehen werden. Fast nie geht es darum, was denn noch gesagt werden kann, es ist we-sentlich mehr Platz im öffentlichen Diskurs, z. B. in den so-zialen Medien als noch vor 10 Jahren. Es kann viel mehr ge-sagt werden und das 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. II.  SPRACHE(N) DER MINDERHEIT(EN) Warum also machen sich manche Sorgen, um was über- haupt noch gesagt werden darf? Es ist sicherlich für manche ungewöhnlich, dass – wenn sie z. B. etwas in den sozialen Medien verbreiten – Menschen reagieren, ihnen entgegen-treten, sie kritisieren. Das ist besonders für jene schwer er-träglich, die es gewohnt waren zu monologisieren, in ihren Klubräumen und Stammtischen unter sich zu sein. Da sitzt jeder Witz, kein Widerspruch, nichts. Gut, verständlich es schmerzt, denn wer sich dieser Tage von seinem Stammtisch wegbewegt, trifft immer öfter auf Personen aus einer ganz an-deren Normalität, die einem sonst so uneigen ist. Da kann es dann schon mal kritisch werden, wenn sogenannte Minder-heiten auftauchen und mal sagen, was nicht (mehr) geht, wel-che Sprache verletzend oder einfach veraltet ist. Sprache än-dert sich laufend, Bezeichnungen verlieren ihre Bedeutung, bald wird niemand mehr wissen, was ein Raider war und das, obwohl es einfach als Twix weiterlebt. Es stellt sich die Frage schon mal umgekehrt. Nämlich wa- rum es sein kann, dass wir durch Ausschlüsse eine viel größere Inklusivität erreichen? Wenn wir also verstehen wollen, war-um wir in einer Demokratie nicht immer tolerant sein kön-nen, dann hilft es, einen Blick in Richtung marginalisierter Gruppen zu werfen. Weil sie es sind, die als erstes verschwin-den, klein gemacht und angegangen werden in Räumen, die nicht intolerant gegen verletzende Sprache sind. Dabei glau-ben viele es würde ja reichen, tolerant gegenüber Minderhei-ten zu sein, tolerant, d. h. geduldet werden muss also reichen. Nicht laut sein, nicht auffallen, nichts verlangen. Minderhei- WENN DAS WORT FEUER WIRD …  VON MARTY HUBER Wenn das Wort Feuer  wird … Eine Demokratie verhandelt ihre eigene Entwicklung entlang von Sprache und Symbolen. Was sagbar ist und was nicht, for-miert wie sie sich ausrichtet, ob sie Ausschlüsse stärkt oder Inklusivität anstrebt. In Österreich ist diese Auseinandersetzung eine Geschichte des „Sounds of Silence“, wie  MARTY HUBER  zeigt …


 ZUKUNFT | 37  ten entwickeln ein Sensorium für diese (sprachlichen) Räu-me, sie schätzen ein, was können sie riskieren, wie sichtbar sind sie, wer kann sie lesen und wie können sie verschwinden, wenn es zu stressig wird. Sie tun dies aus vielen guten Grün-den, egal ob sie Menschen mit Behinderungen, LGBTIQ, Kopf-tuch tragende Muslima, Schwarze Personen, jüdische Mit-menschen oder aus der Roma und Sinti Community sind. Dieses Abwägen ist immer eine zusätzliche Arbeit, die auch manchmal sehr schmerzlich anzusehen ist. Überschreitungen, wie jene von Conchita, die als bärtige Drag Queen zum Eu-rovisions-Songcontest antrat, werden gleichzeitig geliebt und gehasst. In den sozialen Medien wurde Conchita beschimpft und mit Hasssprache übersät, als sie den Contest gewann wur-de sie am Ballhausplatz gefeiert. III.  GEFÜHLE DES ANDERS-SEINS Im Moment ergeht es so manchem Starmania-Fan aus der  LGBTIQ-Community ähnlich, wenn Queerness, die Abwei-chung von der Norm, von Vorstellungen der Heterosexuali-tät dermaßen in den Performances herausplatzt und es trotz-dem keine Sprache dafür gibt. Woran es liegt, dass zwar viel über Gefühle des Anders-Seins gesprochen wird, über Brüche in den einzelnen Biografien, über junge Frauen, die lieber im Herren-Anzug zum Feuerwehrball gehen als im Ballkleid und es dennoch vonseiten der Moderation von Arabella Kiesbauer kein Wort zu geben scheint, das diese Erfahrung umfasst. Les-bisch, schwul, nicht-binär, trans, queer, bisexuell, es ist als ob nur die, die schon alphabetisiert sind, wissen sollen, was Sa-che ist. Ein Auftritt mit einem auf die Handinnenseite gemal-ten Regenbogenherz, das schüchtern in die Kamera gehalten wird, im selben ORF für den Conchita wie ein Phönix aus der Asche den Songcontest gewann. Ist davon gar nichts übrig? Ist es The Sound of Silence, der am Ende als Einziges widerhallt? Vanessa, im Herren-Anzug, stellte dieses Lied in die pande-miebedingte Leere des ORF Studios und aktualisierte diese Fra-ge des Schweigens auf ihre Art. IV. ZWISCHEN TOLERANZ, AKZEPTANZ UND  FEIERN Vielleicht müssen wir uns überlegen, welche Stufen von  Anerkennung queerer Realität es gibt. Eine, die erste Stufe haben wir schon besprochen, es ist jene der Toleranz. Es wird geduldet, dass Du existierst. Zu dieser Duldung gehört meist viel Schweigen. Gut, dass kann für viele schon eine immen-se Verbesserung bringen. „Was jemand in seinen eigenen vier  Wänden macht, ist Privatsache!“ Dort soll es auch bleiben, wenn es um die Toleranten geht, im Alltag sollte niemand et-was merken, nicht in der Schule, nicht am Arbeitsplatz, nicht im Senior*innenwohnheim. Die zweite Stufe ist die der Akzeptanz, deren Erlangung  funktioniert nur unter der Voraussetzung, sich mit den eige-nen Vorurteilen auseinandergesetzt zu haben, mit der eige-nen Heteronormativität ins Gericht gegangen zu sein, nicht zu trauern, weil die Tochter sich als lesbisch outet und der vermeintliche Sohn lieber eine Tochter ist. Akzeptanz heißt im vollen Umfang verstanden haben, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, dass Menschen auf unterschiedliche Weise glücklich und Familie sein können. Akzeptieren heißt weni-ger annehmen, sondern behutsames Fragen im Wissen, dass es viele Möglichkeiten gibt, ein Leben zu gestalten. Die dritte Stufe ist die des gemeinsamen Feierns, das muss  nicht immer Regenbogenparade heißen, sondern bedeu-tet die Anerkennung in gemeinsamen Ritualen, bei freudi-gen oder traurigen Anlässen. Gemeinsam feiern heißt, keinen Aspekt des eigenen Lebens verstecken zu müssen, egal ob in der Familie, in der Community oder in der Glaubensgemein-schaft. Als ganzer Mensch willkommen sein, selbst wenn mei-ne Formen der Resilienz für manche zu laut, zu schrill, oder unpassend erscheinen. Für viele LGBTIQs haben diese Momen-te große Bedeutung, auch weil ein Coming-out immer noch das Risiko bedeutet geliebte, gebrauchte Zusammenhänge zu verlieren. The Sound of Silence übernimmt dann zu oft den Raum. Umso wichtiger sind dann all die kleinen und großen Zeichen des sich Erkennens, sich zu Erkennen-Gebens und deswegen ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn im öffentli-chen Raum Symbole, Straßennamen, Denkmäler angebracht und aufgestellt werden, die an Diversität und Kämpfe um An-erkennung erinnern. Diese symbolischen Setzungen, seien es queere Ampeln, Regenbogen-Zebrastreifen oder Infobro-schüren zu LGBTIQ-Themen auf Ämtern signalisieren „Du bist hier sicher!“  V.  EINE GESTOHLENE FAHNE Diese symbolischen Akte – wie das Hängen von Regen- bogenfahnen – lösen immer noch Kontroversen aus. Regen-bogenfahnen werden auf Querdenker-Demonstrationen auf der Bühne zerrissen oder sie werden angezündet, weil sie von römisch-katholischen Kirchen angebracht wurden. Während in Österreich christliche Gemeinschaften, wie die evangeli-


 38 | ZUKUNFT  schen und alt-katholischen Kirchen Menschen mit einer nicht heteronormativen Sexualität oder Geschlechtsidentität will-kommen heißen, hadert die römisch-katholische Kirche mit ihrer langen Geschichte des Ausschlusses und der Macht, die sie über Sexualität an sich ausüben möchte. Mir macht es Sor-ge, dass mit symbolischen Setzungen versucht wird, sich über eine wirkliche Auseinandersetzung mit der homo- und trans-feindlichen Geschichte der Gewalt hinweg zu schummeln. In der Phase der Toleranz, in der wir uns gerade befinden („Lie-be den Sünder, hasse die Sünde“) ohne Umschweife zum Fei-ern, dem Segnen von queeren Paarbeziehungen zu springen. Mit dieser Ambivalenz, diesem Unbehagen sah ich mich bei der „Entschuldigung“ des Täters konfrontiert, der die Regen-bogenfahne in Hohenems gestohlen hatte. Die Fahne wurde mit einem „Entschuldigungsbrief“ versehen zurückgegeben, der Bürgermeister Dieter Egger meinte, es sei eine „Geste, die Respekt verdiene“. Doch was steht im beigelegten Brief, etwa dass „man auf eine aktionistische Politik nicht mit dem-selben primitiven Aktionismus antworten darf.“ Wir antifa-schistisch Alphabetisierten kennen diesen Move, er sagt beide Seiten sind primitiv, das Hängen von Regenbogenfahnen ist genauso aktivistisch, wie das Runterreißen oder das Verbren-nen, demokratische Inklusivität und die Kämpfe darum, sind genau gleich mit ihrem Gegenteil. „Good people on both si-des“ würde Trump es nennen. Damit aber nicht genug. Die „Nopology“ führt weiter aus, dass das Herunterschneiden der Fahne nichts mit einer homophoben Grundhaltung zu tun habe. Jedoch wolle er eine Auseinandersetzung mit dem über „Jahrzehnte hinweg dauernden homosexuellen Missbrauch“ und die daraus resultierenden Traumata in der Kirche anregen. Diese Form der Zuspitzung ist besonders perfide und dass  diese sowohl vom Bürgermeister, als auch im ORF-Artikel un-widersprochen bleibt, klingt sehr nach The Sound of Silence. Die sexuelle Gewalt, die über Jahrhunderte von der katholi-schen Kirche begangen und gedeckt wurde, ist nicht speziell homo- oder heterosexuell. Bei der Ausübung von sexueller Gewalt geht es um Macht und die katholische Kirche hat über Jahrzehnte folgende Doppelmühle gespielt. Sie nutzte die Ho-mophobie der Zeit, um junge Schwule vor einem Coming-out zu bewahren, sie als Seminaristen und Priester vor der ge-sellschaftlichen Ächtung zu bewahren. Ob dann der Pfad der Keuschheit eingenommen wurde oder nicht, war nicht mehr so wichtig. Wichtiger war The Sound of Silence, die Erpressbar-keit und in deren Windschatten ergab sich die Möglichkeit von Pädophilen Kinder und Jugendliche in Abhängigkeitsver-hältnissen sexuell auszubeuten. Diese vermeintliche Verknüp- fung von Homosexualität und sexueller Gewalt gegen Kinder sitzt so tief, dass sie immer noch als Argument gegen Adop-tionsrechte angeführt wird, oder Pädagogen (manchmal auch Pädagoginnen) Angst um ihren Job haben, wenn sie geou-tet leben. VI. SCHLUSS Ich hatte ja den Brief zuerst falsch gelesen. Ich dachte, die  römisch-katholische Kirche sollte, – bevor sie die Regenbo-genfahne hisst – die Gewalt ansprechen, die sie im Bereich der Sexualität verbreitet hat und ihren Anteil an einer homo- und transfeindlichen Gesellschaft reflektieren. Sie sollten nicht, wie so oft in Österreich, die Stufe des Feierns erklimmen, be-vor in der Phase der Akzeptanz wirkliche Entschuldigungen hörbar geworden sind. MARTY HUBER  ist Autor*in und LGBTIQ-Aktivist*in sowie Mitbegründer*in von  Queer  Base – Welcome and Support for LGBTIQ Refugees. WENN DAS WORT FEUER WIRD …  VON MARTY HUBER


 ZUKUNFT | 39  TransMasc (Serie 1–8)   #8 (2018) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm OFFERUS ABLINGER


 40 | ZUKUNFT  KARL MARX UNTER’M REGENBOGEN  VON HANS-PETER WEINGAND I. EINLEITUNG Als „ersten Schwulen der Weltgeschichte“ hat die For- schung den deutschen Juristen Karl Heinrich Ulrichs bezeich-net. Denn dieser wurde sich nicht nur seines gleichgeschlecht-lichen Begehrens bewusst, er begann bei Juristentagungen Anträge zu stellen und verbreitete ein Dutzend Broschüren für mannmännlich Liebende, für die er den Begriff „Urnin-ge“ erfand. Er kämpfte für Straffreiheit und prophezeite, dass solche Menschen auch vor dem Standesamt heiraten würden. Karl Marx hatte Friedrich Engels auf Ulrichs aufmerksam ge-macht und dieser schrieb am 22. Juni 1869:  „Das ist ja ein ganz kurioser ;Urning‘, den Du mir da geschickt hast. Das sind ja äußerst widernatürliche Enthüllungen. Die Päde-rasten fangen an sich zu zählen und finden, daß sie eine Macht im Staate bilden. Nur die Organisation fehlte, aber hiernach scheint sie bereits im geheimen zu bestehen. […] ;Guerre aux cons, paix aux trous-de-cul‘ (Krieg den Votzen, Friede den Arschlöchern) wird es jetzt heißen. Es ist nur ein Glück, daß wir persönlich zu alt sind, als daß wir noch beim Sieg dieser Partei fürchten müßten, den Siegern körperlich Tribut zahlen zu müssen. Aber die junge Generation!“ (MEW 32: 324 f.) Die Reaktion von Engels ist wohl klassisch für einen  Mann, der, wie fast alle Menschen, mit den vielfältigen Er-fahrungen aufgewachsen ist, dass es Männer und Frauen gibt und dass es hier Sexualität gibt, die, selbst wenn sie nicht dem Begehren entsprechen würde, allein schon zur Fortpflan-zung eine selbstverständliche Tatsache sei, ja Grundlage jedes (menschlichen) Seins. Auch wisse man, dass es Ausnahmen gebe, schon in der Antike schrieben Gelehrte über selte-ne Fälle von Menschen mit männlichen und weiblichen Ge-schlechtsmerkmalen. Auch Engels war die Existenz von „Pä- derasten“ klar: bedenklich war für ihn nur, wenn diese sich organisieren und dazu die tief verankerte Angst, diese abarti-gen Männer würden ihr Begehren ausgerechnet auf die Män-ner in ihrer Umgebung lenken. II.  ROTE SOLIDARITÄT Unter diesen Rahmenbedingungen war die Sozialde- mokratie doch schon recht früh bereit, sich der Forde-rung nach Entkriminalisierung anzuschließen. In Deutsch-land gehörte SPD-Vorsitzender August Bebel 1897 zu den Erstunterzeichner*innen der Petition des Wissenschaftlich- humanitären Komitees rund um den Vorkämpfer Magnus Hirschfeld. Diese entspannte Sichtweise von Homosexualität ging Hand in Hand mit anderen linken Positionen rund um Sexualität: offene und altersadäquate Sexualaufklärung, Ver-breitung von Wissen über Sexualität und vor allem über Ver-hütung, Abschaffung der Kriminalisierung der Abtreibung, sowie Betonung des Selbstbestimmungsrechtes der Frauen. Das war auch in Österreich so. Während der Ersten Repu-blik wollte man ein gemeinsames deutsch-österreichisches Strafrecht schaffen und im März 1930 bedauerte die Arbeiter-zeitung, dass es bei der gemeinsamen parlamentarischen Straf-rechtskonferenz mit 23 zu 21 Stimmen den „Reaktionären“ gelungen war, die im deutschen Reichstag gestrichene Straf-barkeit der Homosexualität wiederherzustellen. Sprich: we-gen Österreich waren hier die Mehrheitsverhältnisse in Rich-tung weiterer Bestrafung gekippt. Im Mai darauf gab es einen Aufruf von „Gelehrten, Künstlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, aus „Gründen der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Vernunft“ sich hier der reichsdeutschen Auffassung anzuschließen. Dies wurde 1933 durch die Macht-übernahme von Hitler und der NSDAP natürlich obsolet. Im  Karl Marx unter’m   Regenbogen Der Beitrag von  HANS-PETER WEINGAND  rekapituliert den Umgang mit Homosexuellenrechten und fordert eine star- ke, solidarische Linke, die sich von den Lebens- und Arbeitsverhältnissen konkreter Menschen leiten lässt und nicht von Wortgeschwurbel …


 ZUKUNFT | 41  Gegenteil, die Nazis verschärften 1935 die Gesetze. Für ein paar tausend Männer brachte das NS-Regime neben Haftstra-fen sogar den Aufenthalt in Konzentrationslagern. Der Groß-teil überlebte die Lagerhaft nicht bzw. kam die Befreiung durch alliierte Truppen zu spät. Einen politisch ähnlichen Schwenk hatte es auch in Russ- land gegeben. Nach der Oktoberrevolution 1917 war Homo-sexualität oder Abtreibung in der Sowjetunion straffrei – aber bald wurden unter Stalin Homosexuelle wieder gejagt und in Lager gesteckt. Denn dies seien bourgeoise Abweichun-gen und echte Proletarier seien natürlich „normal“ und hetero. Im Westen waren es diverse kommunistische K-Gruppen, die sich dieser Auffassung anschlossen. Als eine heute bekannte Profil-Redakteurin in den 1980er-Jahren Vorsitzende des KSV in Graz war, wurde auch dort genau diese Position der So-wjetunion vertreten. Dagegen konnten die kommunistischen Parteien in den europäischen Ostblockstaaten ebenfalls an alte sexualreformerische Traditionen anschließen: in all die-sen Ländern wurde die Bestrafung homosexueller Handlun-gen noch vor Österreich abgeschafft. In der Sozialdemokratie begann man sich in den 1980er- Jahren mit den Anliegen der in Österreich noch recht neu-en homosexuellen NGOs zu befassen. Es gab erste Solidaritäts-aktionen, vor allem von den Jugendorganisationen, und der VSStÖ brachte deren Anliegen durch Anträge beim steiri-schen Landes- und dann beim Bundesparteitag in die Diskus-sion (und auch zur Beschlussfassung) durch die Partei. Umgekehrt begannen sich auch, heute würde man sagen  „queere“ Menschen, in der SPÖ zu vernetzen: nach Vorläufern im VSStÖ Wien beantragten Aktivist*innen (aus Wien und der Steiermark) im Dezember 1998 die Gründung der SoHo als Initiativgruppe durch den SPÖ-Bundesparteivorstand. Dem folgte 2000 die Umwandlung in eine eigenständige SPÖ-Orga-nisation. Spätestens seit dieser Zeit gehört auch Bewusstseins-arbeit zum Thema sexuelle Orientierung und Identität zum Bildungskanon der Jugendorganisationen. Vor einem Outing muss heute wohl kein*e Aktivist*in mehr Angst haben. Und damit ist schon viel gewonnen. III.  BILDUNGSARBEIT ÜBERALL Dass dies nicht selbstverständlich ist, sei an einem persön- lichen Beispiel erklärt. Jahrzehntelang war es in Österreich so, dass ein SS-KZ-Wächter seine Tätigkeit in Mauthausen für die  Pension angerechnet bekam, denn das war Wehrdienst. Ein Häftling mit dem „rosa Winkel“, der wegen seiner Homose-xualität im KZ war, jedoch nicht. Denn dieser war ja ein Kri-mineller. Jahrelang scheiterten alle Versuche, die Verfolgung wegen sexueller Orientierung explizit in das Opferfürsorgegesetz aufzunehmen. Und es scheiterte wegen der Ablehnung der Opferverbände und der verzahnten Sozialministeriumsbüro-kratie. Denn die politisch und „rassisch“ Verfolgten, oft genug von Wehrmachtssoldaten und SS-Angehörigen angefeindet, wollten ihre Reihen immer „rein“ halten – und da passten kriminelle Warme nicht ins Bild. 2001 war es die ÖVP, welche eine Entscheidung wieder in  die Länge zog, sodass es bald kaum noch lebende Betroffe-ne geben könnte, die vielleicht noch Anspruch auf eine klei-ne Opferrente gehabt hätten. Ich selbst war nicht nur SoHo-Gründungsmitglied, sondern auch stellv. Landesvorsitzender der  Grazer Freiheitskämpfer und es gelang mir, auch die stei-rische KP-Organisation der Widerstandskämpfer ins Boot zu holen: gemeinsam wurde in einer Petition u. a. „sexuelle Ori-entierung“ als Opferkategorie gefordert und dies von der SP-Abgeordneten Heidrun Silhavy und dem Grünen Wer-ner Kogler in den Nationalrat eingebracht. Zum ersten Mal hatten dies Opferverbände gefordert und Silhavy hielt in der Folge mit einer parlamentarischen Anfrage an Sozialminister Haupt (FPÖ) das Thema sozusagen warm. Der Bundesverband war empört. Zwar hatte ich z. B. gan- ze Generationen von jungen Sozialist*innen jedes Jahr zur Befreiungsfeier nach Mauthausen gebracht, doch vom Bun-desverband wurde ich behandelt wie ein Krimineller: ohne je mit mir ein Wort zu reden, wurde ich mit blauem Brief als Mitglied der Opferkommission der Landesregierung ent-hoben und bald gab es eine Generalversammlung, von der ich nichts wusste, und ich war nicht einmal mehr Mitglied des Vorstandes. Ob mich diese Vorgangsweise verletzt hat? Si-cher – wenn ich verloren hätte. Aber die Strategie ging auf: kurioserweise war es 2005 dann die ÖVP, die sich auf die Pe-tition bezog und das Anliegen sogar als Initiativantrag in den Nationalrat brachte. Die SPÖ stimmte diesem zu. Seit 2005 ist Verfolgung wegen sexueller Orientierung im Opferfürsorgesetz verankert. IV.  STRATEGISCHE DIFFERENZEN Was unter Linken, die auf marxistischer Grundlage denken  und argumentieren, vor allem in den letzten Jahren für beson-


 42 | ZUKUNFT  ders intensive Diskussionen gesorgt hat, waren die Beiträge, welche die sogenannte Queer Theory zur politischen Arbeit für Gleichstellung geleistet hat. So steht doch genau der Zugang, wonach Kultur und geistige Konstrukte unsere Wirklichkeit schaffen, formen und auch einschränken, im Widerspruch zur Sicht, die der Marxismus über lange Zeit auf die Welt hatte: Nämlich jenem, wonach biologische Geschlechter real sind, was durch die sexuelle Reproduktion täglich bezeugt wird, und dass darüber hinaus auch die physikalische Welt unabhän-gig von unserer Sprache ihre eigenen Wege geht. Die strategi-schen Folgen dieses Konflikts sind für viele fatal. Denn, wenn sogar das biologische Geschlecht nur ein kulturelles Konstrukt ist, dann gilt das – so der Vorwurf – erst Recht für Phäno-mene wie geringe Frauenanteile bei Hochschullehrer*innen oder den Gender-Pay-Gap. Gerade die Vielfalt von Geschlech-tern, abseits von Mann und Frau, stellt auch viele linke For-derungen vor eine theoretische Sackgasse. So ist es kein Zu-fall, dass es das Queerreferat der ÖH war, das zur Lösung solcher Fragen bereits gefordert hat, statistische Erhebungen mit den pauschalen Kategorien Mann/Frau einfach einzustellen. Ob diese Strategie der prekär beschäftigten Studienassistentin oder der schlecht verdienenden Mutter mit Teilzeitjob hilft, darf bezweifelt werden. V.  DIE RICHTIGE BUCHSTABENSUPPE Die (linken) Bürger*innenrechtsbewegungen in den USA  in den 1960er-Jahren kämpften gegen die Diskriminierung von People of Color, Homosexuellen, Frauen und setzten sich für jene ein, die nicht zur Gruppe der alle gesellschaftlichen Bereiche dominierenden weißen Hetero-Männer gehörten. Dabei waren große Teile der Bewegung zum Schluss gekom-men, dass insbesondere bei Black Power der richtige Weg in der Politisierung einer schwarzen Identität läge. Auch ande-re marginalisierte Gruppen und Minderheiten wählten ähn-liche Vorgehensweisen, um neue Rechte zu gewinnen. 1979 sprach man (in Anlehnung an die indigene Bevölkerung) z. B. von der „Queer Nation“. Um die Rechte und Freiheiten zu erlangen, die ihnen bislang verwehrt blieben, konzentrierten sich Bewegungen, die für die Freiheit von Frauen und Ho-mosexuellen eintraten, deshalb auf ein spezifisches Allein-stellungsmerkmal von Frauen und Homosexuellen, auf ihre Identität. Diese Politik war durchaus erfolgreich, doch der notwen- dige Kampf ist angesichts noch immer bestehender Diskri-minierungen noch nicht zu Ende. Zwar wurden für die Lin- ke diese Themenfelder interessant, doch wanderte der Fokus allmählich von der Klasse zur Identität. Dies ging Hand in Hand mit der Entwicklung von Ansätzen in den USA in den 1990er-Jahren. Teile der Queer Theory setzten darauf, Sexuali-tät ihrer vermeintlichen Natürlichkeit zu berauben und sie als ganz und gar von Machtverhältnissen durchsetztes, kulturelles Produkt sichtbar zu machen. Der Begriff „queer“ setzte auf den US-Sprachgebrauch des „Abweichenden“, auf „lesbisch“ und „schwul“ als Identitätskategorien und in weiterer Folge auch auf das Durchbrechen der herkömmlichen Geschlech-terkategorien von Mann und Frau. Die Ideale von Differenz und Vielfalt ersetzten – und genau hier nähern wir uns dem theoretischen Problem – die menschliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Solidarität. Und „queer“ als die Summe po-tenziell „abweichender“ Begehren und geschlechtlicher Iden-titäten, führt gezwungenermaßen zu sich stets erweiternden neuen LGBTTTQQIAA+-Kollektiven, die, da nicht normiert, nie vollständig und deshalb auch nie „richtig“ sein können. Kein anderes Politikfeld hat derartige Buchstabensuppen hervorge-bracht, bei der theoretische Texte an die Allergenkennzeich-nungen in Speisekarten erinnern. Durch die Betonung der individuellen Identität stellt sich  aber gerade für die post-marxistische Linke ein ideologisches Problem: Der Kampf gegen Unterdrückung wird individu-alisiert und reproduziert dadurch genau die neoliberale Lo-gik der Vereinzelung und Individualisierung, die wir eigent-lich kollektiv überwinden wollen. Eine, die eigene homogene Ingroup übersteigende oder gar universelle Solidarität, er-scheint in diesem neoliberalen Zugang zu queerer Politik so-wohl strukturell als auch systematisch undenkbar. VI.  WAS TUN? Ganz einfach. Sich mit den Problemen von Lesben und  Schwulen, transidenten und intergeschlechtlichen Menschen (um Beispiele aus der ganzen Bandbreite zu nennen) ernst-haft auseinandersetzen und solidarisch gemeinsam mit ih-nen für Rechte und gegen Diskriminierung kämpfen. Es wird manche überraschen, aber angesichts der höchst frag-würdigen inhaltlichen Herangehensweise neoliberaler Ansät-ze ist festzustellen: alle Errungenschaften in den letzten zwan-zig Jahren wurden nicht WEGEN diesem individualisierenden Zugang, sondern GEGEN den Kult der Individualisierung er-kämpft. Partner*innenschaftsgesetze und Ehe für alle? Von Vertreter*innen des neoliberalen Blicks auf Queerpolitik im-mer bekämpft und abgelehnt, denn man würde damit Ho- KARL MARX UNTER’M REGENBOGEN  VON HANS-PETER WEINGAND


 ZUKUNFT | 43  mosexuelle in ein Hetero-Korsett zwängen. So haben in Ös-terreich ja auch die Grünen im Nationalrat 2009 GEGEN das Partnerschaftsgesetz gestimmt. Dass die Sache vielmehr um-gekehrt läuft, wurde nicht verstanden: die „Normalität“ sol-cher Rechtsinstitute mit ihren Feiern und Berichten änderten und ändern natürlich auch die Gesellschaft. Die Rechten ha-ben das immer klar erkannt und deshalb einen Kampf bis aufs Blut dagegen geführt, dass die „Homoehe“ „normal“ wird. Antidiskriminierungsschutz am Arbeitsplatz? Von indivi- dualisierender Seite wurde und wird meist nur verächtlich be-merkt, dieser schränke die Freiheit und das Individuum ein. Unter grün-türkis wurde deshalb bisher nichts erreicht und das, was erreicht wurde, ist Gerichtsurteilen zu verdanken und nicht der Politik. Am besten dient man queeren Themen, wenn man kom- petent vermitteln kann, um was es geht: Solidarität! Man kann sich für alle betroffenen Menschen und Gruppen ein-setzen, ohne den Rattenschwanz der Untergruppe der Unter-gruppe mitziehen zu müssen. Das versteht dann auch jede*r. Hier ist noch enorm viel zu tun. Und dazu bedarf es einer starken, solidarischen Linken, die sich von den Lebens- und Arbeitsverhältnissen konkreter Menschen leiten lässt. Weil das Sein das Bewusstsein bestimmt. HANS-PETER WEINGAND ist Gründungsmitglied der  Rosalila PantherInnen 1991 und   der  SoHo 1998; er ist Historiker und Kulturwissenschaftler.


 44 | ZUKUNFT  TransMasc (Serie 1–8)  #9 (2020) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm


 ZUKUNFT | 45  TransMasc (Serie 1–8)   #11 (2020) Öl auf Leinwand 200 x 101 cm OFFERUS ABLINGER


 46 | ZUKUNFT  MALEREI, INSTALLATION, PERFORMANCE UND BEWEGTES BILD  VON OFFERUS ABLINGER I. EINLEITUNG In meiner künstlerischen Analyse greife ich sozialpoliti- sche Themen auf, die für mich relevant für ein Zusammen-leben in unserer Gesellschaft sind und strukturelle Mechanis-men aufzeigen. In dieser prozessorientierten Vorgehensweise kreiere ich neue Entwürfe, wie z. B. zum Thema Gender (Männlichkeit) und Klassendenken. Gleichzeitig versuche ich die Frage von queerer Identität zu untersuchen sowie Aus-grenzung durch Klassismus bewusst zu machen. Meine „Cy-borgs“ sind Blaupausen einer Möglichkeit der ZUKUNFT und sollen Denkanstöße liefern. Wir brauchen neue Geschichten, wir brauchen die Kraft Neues zu imaginieren, wir brauchen die Fiktion und vor allem brauchen wir auch Themenfel-der, auf denen Neues ausverhandelt, im respektvollen Um-gang ausgelotet und diskutiert werden kann. Mein künst-lerisches Schaffen umfasst die Medien Malerei, Installation, bewegtes Bild und  Performance. Ich verfolge dabei immer das Ziel, formell Altes aufzubrechen und neu zusammenzustel-len. So beeinflussen sich alle Medien, die ich bediene, gegen-seitig und es kommt zu neuen und in die Breite angelegten Ausdrucksstärken. II.  ÜBER DIE AKTUELLE ARBEIT „TRANS/MASC“ Der Inhalt meiner aktuellen Arbeit Trans/Masc  handelt  von Männlichkeitsbildern der queeren Subkultur und deren  Streuwirkung auf den Mainstream. Meine langjährige, ver-tiefte Praxis in diesem weiten Themenfeld hat eine eigenstän-dige Form gefunden, die in meinen installativen Projekten zum Ausdruck kommt. Die Beobachtung von Gegensätzen und auch Missständen bzw. die Kehrseite von schwul/quee-rer Subkultur, welche auch das Clubleben beinhaltet, war im-mer wieder das, worum sich meine Gedanken drehten, eine Faszination auf mich ausübte und Gegenstand meiner Unter-suchung wurde.  Die Einzelschicksale in dieser Subkultur machen diesen  Platz zu einem Schmelztiegel. Als junger schwuler Mann musst Du dich, vor allem im urbanen Umfeld, schon früh mit Exzessen, Drogen, Absturz, Suizid, körperlicher und psy-chischer Gewalt, Prostitution und Kriminalität auseinander-setzen. Es sind jene intersektionalen Menschen dieser Sub-kultur, die ausschlaggebend für meine Arbeit sind. Hier wird sich in Szene gesetzt, oft übertrieben geacted, inszeniert, per-formt, wie bei Drag und Camp. Für meine künstlerische Analyse verwende ich eine Art  transhumanistische Science-Fiction-Schablone. Das Medi-um „Malerei“ wurde von mir bewusst gewählt, da es in mei-ner Arbeit als eine Art Zeitkapsel fungieren soll. Männlich-keitsbilder wurden in der Vergangenheit immer schon über Gemälde bzw. Ölgemälde transportiert. Mir geht es nun da- Malerei, Installation,  Performance und   bewegtes Bild OFFERUS ABLINGERS  interdisziplinäres und prozessorientiertes Schaffen dreht sich um das Themenfeld Maskulinität,  Subkultur und deren Streuwirkung auf den Mainstream. Mit Hilfe von Körpererweiterungen, Körperoptimierungen, Modifika-tionen, Cyborgs und Technologie werden in seinen Gemälden gesellschaftliche Kodierungen aufgebrochen, kritisch hinter-fragt, neu interpretiert und Körpergrenzen neu ausgelotet. Der Künstler präsentiert mit dieser Ausgabe der ZUKUNFT sein bemerkenswertes Projekt  Trans/Masc …


Open Studio / Creative Cluster Castelligasse 9, 1050 Wien 24.06.2021-27.06.2021  ZUKUNFT | 47  rum, das klassische Ölgemälde zu brechen und im Zuge des-sen neue Kodierungen von Männlichkeit zu entwerfen. Ein Gemälde sollte auch ein Spielfeld von Interpretationen zulas-sen und somit auch eine Art Identifikation bzw. das Reflek-tieren des/der Betrachter*in beinhalten. III. WIR SIND OFT ZU UNSERER EIGENEN   SCIENCE-FICTION GEWORDEN Ganz in diesem Sinne ist Transhumanismus ein äußerst  aktuelles Thema und wir befinden uns mitten in einer dies-bezüglichen Entwicklung. Wo fängt in Zeiten von Digita-lisierung eine Körpererweiterung bzw. -optimierung an? Smartphone? Augen-OPs? Brillen … Wir brauchen neue Ge-schichten, stellte Donna Haraway in ihrem Essay A Cyborg Manifesto  von 1985 fest. Die Männlichkeitsbilder in meinen Darstellungen sollen Zeichen im Wandel einer neuen Zeit sein. Offerus Ablinger  ©  Offerus Ablinger https://www.offerusablinger.com/  Die nächste Ausstellung: 


 48 | ZUKUNFT  Ausstellungsansicht TRANSMASC, xHibit, Wien, 2020 Offerus Ablinger  ©  Offerus Ablinger


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AUCH IM V A VERLA G ERSCHIENEN  50 | ZUKUNFT  VERANSTALTUNGSANKÜNDIGUNG Die Sendungen zu den monatlichen Schwerpunkten der  ZUKUNFT finden am letzten Dienstag des Monats in Koopera-tion mit der Wiener Bildungsakademie statt und werden auf der Facebook-Seite, dem Youtube-Kanal und dem Twitch-Kanal der WBA übertragen. 25.05.2021: LGBTIQ – VIELFALT ALS SOZIALE FRAGE Die Frage nach sexueller und geschlechtlicher Vielfalt  steht seit jeher auf der Agenda linker und progressiver Debat-ten – in den letzten Jahren hat diese Frage aber an besonderer Bedeutung gewonnen. Während neoliberale Logiken versu-chen, durch Pinkwashing den Kampf für ein freies, selbstbe-stimmtes Leben zu vereinnahmen, müssen wir umso mehr darüber diskutieren, wie Vielfalt und soziale Fragen hinter ge-meinsamen politischen Projekten verbunden werden können. Mit dieser Diskussion möchten wir gemeinsam mit der SoHo Wien, parallel zur diesbezüglichen Ausgabe der ZUKUNFT, ei-nen Fokus auf die aktuelle Situation der LGBTIQ-Communi-ty und queer-feministischer Kämpfe legen. Die Anfänge der modernen LGBTIQ-Bewegung liegen nicht umsonst in vielfäl-tigen sozialen Auseinandersetzungen seit den Stonewall-Pro-testen 1969 – wir stellen daher zur Debatte, wie PRIDE und Regenbogenfahne auch heute als wichtiger Bestandteil der sozialen Frage begriffen werden können! 22.06.2021: ERZÄHLUNGEN DES POLITISCHEN In den letzten Jahrzehnten war oft vom Zusammenbruch  der großen Erzählungen die Rede. Dabei war etwa an die Großerzählung des (Austro-)Marxismus gedacht, der indes gerade angesichts der Corona-Krise wieder an Aktualität ge-winnen könnte. Wie sehen im Bereich politischer Ideologien also die großen Erzählungen des (Demokratischen) Sozialis-mus, des Liberalismus, des Konservatismus oder des Neofa-schismus aus? Die thematische Ausgabe der ZUKUNFT eröffnet dabei eine breite Palette von Bezügen, die sich damit beschäf-tigen, welche (Meta-)Erzählungen hinsichtlich der Politik existieren und welche heute noch relevant sind. Nähere Informationen und die Links zur jeweiligen Veran-staltung unter: https://diezukunft.at/veranstaltungen/ Auf dem Weg in die ZUKUNFT! Die Online-Diskussionssendung für Politik, Gesellschaft und Kultur.  Ein moderierter Diskussionstalk mit den Redakteur*innen, Autor*innen und Künstler*innen der ZUKUNFT … Welche ZUKUNFTsthemen bewegen die Redaktion (der ZUKUNFT)? Welche ZUKUNFTsthemen haben Autor*innen (der ZUKUNFT)? Welche ZUKUNFTsthemen berühren Künstler*innen (der ZUKUNFT)?


 ZUKUNFT | 51  HEFTBESTELLUNG Kupon ausschneiden& einsenden an: VA Verlag GmbHKaiser­Ebersdorferstrasse 305/31110 Wien ICH BESTELLE "ROTE PHILATELIE" 7,90 € INKL. MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 € ICH BESTELLE "WIENER STRASSENBAHNER IM FEBRUAR 1934" PREIS 5,-- INKL MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 € NAME: _________________________________________________________________ STRASSE: _______________________________________________________________ ORT/PLZ: _______________________________________________________________ TEL.: ______________________________ E-MAIL: _____________________________UNTERSCHRIFT: _______________________ ODER BESTELLUNG PER E-MAIL AN DEN VERLAG: OFFICE@VAVERLAG.AT SOLANGE DER VORRAT REICHT AUCH IM V A VERLA G ERSCHIENEN Eine philatelistische Zeitreise zu 75 Jahren WGBDER WELTGEWERKSCHAFTSBUND (WGB) FEIERT HEUER SEINEN 75. GEBURTSTAG. MANCHE FORDERUNGEN DER ERSTEN JAHRE NACH SEINER GRüNDUNG SIND NACH WIE VOR AKTUELL. DIESEM JUBILäUM LIEGT DIE IDEE DER VORLIEGENDEN BROSCHü-RE ZU GRUNDE. DIE KURZE ABHANDLUNG DER SEHR UMFANGREICHEN GESCHICHTE DES WGB BASIERT VOR ALLEM AUF DER ERZäHLUNG DER 17 WELT-KONGRESSE DES WGB, SIE STELLEN HIER DIE MEILENSTEINE DER ENTWICKLUNG UND DER GEZEIGTEN BRIEFMARKEN DAR. DIE WIENER STRASSENBAHNER GALTEN IN DER ZWISCHENKRIEGS-ZEIT ALS EINE DER SPEERSPITZEN DER SOZIALDEMOKRATIE. ES VERWUNDERT DAHER NICHT, DASS SICH AUF PRAKTISCH ALLEN BAHNHÖFEN SCHUTZBUNDGRUPPEN, SOGENANNTE STRASSENBAHN-ORDNER, BEFANDEN. INSBESONDERE IN FLORIDSDORF WAREN DIE STRASSENBAHNER DIREKT IN KAMPFHANDLUNGEN DES FEBRUAR 1934 VERSTRICKT. HIER WURDEN AUCH ZWEI STRASSENBAH-NER VON EINEM EILIG EINBERUFENEN STANDGERICHT ZUM TODE VERURTEILT, IN LETZTER MINUTE ABER BEGNADIGT. IN DIESER BROSCHüRE WERDEN AUS DEM BLICKWINKEL DIESER BERUFSGRUP-PE DIE HEFTIGEN AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE WIEDERHER-STELLUNG DER VON DER REGIERUNG DOLLFUSS DEMONTIERTEN DEMOKRATIE BESCHRIEBEN.


BUCHBESTELLUNG Kupon ausschneiden& einsenden an: VA VerlAg gmbH KAiser-ebersdorferstrAsse  305/3 1110 Wien icH bestelle  "Acht Stunden Aber wollen wir MenSch Sein" Preis 19,90 € zzgl. 9 € Porto nAme: __________________________________________________________ strAsse: _______________________________________________________ ort/Plz: ________________________________________________________ tel.: ___________________________ e-mAil: _________________________ UnterscHrift: ___________________ oder bestellUng Per e-mAil An den VerlAg: office@VAVerlAg.At SOLANGE DER VORRAT REICHT