07/20215,– Euro, Österreichische Post AG,  P.b.b. Abs.: Gesellschaft zur Herausgabe der Zeitschrift ZUKUNFT,  Kaiserebersdorferstrasse 305/3, 1110 Wien, MZ 14Z040222 M, Nr. 07/202175 JAHRE ZUKUNFTFestschrift für die ZUKUNFTCaspar EinemWir müssen die Klassen immer wieder in Frage stellen …Interview mit Gerhard SchmidGemeinsinn und gesellschaftlicher ZusammenhaltThomas NowotnyIntegrationspolitik der ZukunftSieglinde RosenbergerSEIT 1946


 EDITORIALAls Mitte März 1946 die erste Ausgabe von DIE ZUKUNFT – So-zialistische Monatsschrift für Politik und Kultur erschien, begann die österreichische Sozialdemokratie nach dem „Dunkel des Faschismus“ und parallel zum Aufbau der Zweiten Republik an die große Tradition des Austromarxismus anzuschließen. Mit Adelheid Popp, Max Adler, Käthe Leichter, Otto Bauer oder Rudolf Hilferding hatte sich diese spezifisch österreichische Form des Marxismus u. a. zwischen 1907 und 1934 in der so-zialdemokratischen Monatsschrift Der Kampf ein unvergleich-liches theoretisches und praktisches Niveau gegeben, dem sich die  ZUKUNFT von Anfang an verpflichtet fühlte. Ab dem ers-ten Heft ging es dabei auch um die Reaktivierung der vom Nationalsozialismus zerstörten Arbeiter*innenbildung, durch welche die Menschen erneut zu geschultem Denken und wirk-samem Handeln hingeführt werden sollten. Mit eben diesem Ansinnen steht die Redaktion der ZUKUNFT nach dem Neustart in dieser Traditionslinie und sieht diesen Bildungsauftrag als Grundbedingung und Motor ihrer Arbeit. Deshalb freut es uns ganz besonders, mit dieser Ausgabe und gemeinsam mit unse-ren Leser*innen das 75-jährige Bestehen der ZUKUNFT – Die Diskussionszeitschrift für Politik, Gesellschaft und Kultur feiern zu dürfen.In ihrer Geschichte ist die ZUKUNFT nicht nur das wichtigs-te theoretische Organ der österreichischen Sozialdemokratie, sondern spiegelt auch im Sinne historischer Quellenlagen die Entwicklung der Arbeiter*innenbewegung und der Sozialisti-schen bzw. Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Die in der  ZUKUNFT geführten Diskussionen sind so aus heutiger Sicht nach wie vor von großer zeitgeschichtlicher Brisanz, da sich ihre Aktualität immer wieder unter Beweis stellt.Den Reigen unserer Beiträge eröffnet ganz in diesem Sinne eine Festschrift, die Caspar Einem, langjähriger Chefredak-teur der ZUKUNFT, anlässlich des Jubiläums für dieses Heft ver-fasst hat. Dabei diskutiert er die Zukunft der ZUKUNFT und den möglichen Beitrag, den unsere Diskussionszeitschrift u. a. an-gesichts der Krise und Schräglage der Demokratie leisten kann. So steht ihm vor allem die Politikverdrossenheit der Wahlbe-rechtigten vor Augen, die sich von ihren Repräsentant*innen en gros nicht mehr vertreten fühlen. Einem plädiert daher für neue Formen des politischen Engagements, das von unten her an den Bedürfnissen der Menschen orientiert sein muss. In die-sem Zusammenhang hebt er auch die zukünftige Rolle und Funktion der ZUKUNFT hervor und betont mit allem Nach-druck, dass es – auch im Blick auf ihre Geschichte – im Rah-men sozialdemokratischer Diskussionen vor allem darum ge-hen wird, Argumente und Programme in die Basisorganisation von Demokratie einzubringen, um den Vertrauensverlust der Wähler*innen nachhaltig abzubauen.Den pressegeschichtlichen Kontext der ZUKUNFT fasst dann Helmut Konrad zusammen, der die Entwicklung des sozi-aldemokratischen Pressewesens von Die Gleichheit und  Der Kampf über Das Kleine Blatt und die Arbeiter-Zeitung bis hin zur  ZUKUNFT nachzeichnet und so einen eminent wichtigen Teil der österreichischen Zeitgeschichte in Erinnerung ruft. Im Blick auf die ZUKUNFT hält Konrad fest, dass der größere Teil der Personen, die vor 1934 den sozialdemokratischen Diskurs geführt hatten, entweder dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen waren oder nicht aus der Emigration zurückkamen. Denn die Rückkehr der „Vertriebenen Vernunft“, so Konrad, wurde keineswegs offensiv verfolgt. So konnte die ZUKUNFT 75 Jahre ZUKUNFTALESSANDRO BARBERI UND HEMMA PRAINSACK


 ZUKUNFT | 3  zwar eine angesehene, politische Monatsschrift werden, die je-doch nicht an die herausragende Stellung der Zeitschrift Der Kampf heranreichte.In der Folge erinnert sich Christian Albert an seine Zeit als Praktikant in der ZUKUNFT und die Zusammen-, Um- und Aufbrüche in den späten 1980er-Jahren. Diese waren vor allem durch innen- und außenpolitische „tektonische Beben“ gekenn-zeichnet, welche die Weltpolitik, die innenpolitische Landschaft in Österreich und natürlich auch die SPÖ für immer veränder-ten. Die Weltpolitik wurde von Ronald Reagan, Michail Gor-batschow und – vor allem wirtschaftspolitisch – von Margaret Thatcher geprägt. Albert erinnert in diesem Zusammenhang an Beiträge von Peter Glotz oder Josef Cap und rekapituliert die Rolle der ZUKUNFT als theoretisches Organ der Sozialdemokratie. Insgesamt stellt der Autor fest, dass die Linke in dieser Zeit, als der Begriff „Neoliberaler“ die Keule „Faschist“ als argumentati-ver Totschläger ablöste, aus intellektueller Trägheit eine Zukunft verspielte, die heute in und mit der ZUKUNFT wiedergewonnen werden muss.Im Zusammenhang mit unserer Jubiläumsausgabe freut es die Redaktion der ZUKUNFT ein Interview mit Gerhard Schmid, dem Bundesbildungsvorsitzenden der SPÖ, publizieren zu dürfen, das Hemma Prainsack und Alessandro Barberi am 9. Juni 2021 in der Wiener Bildungsakademie geführt haben. Sie unterhal-ten sich mit ihm u. a. über die Zukunft der ZUKUNFT, soziale Un-gleichheit im Bildungsbereich, die Probleme der Digitalisierung und die Rolle der Intellektuellen in der Geschichte der Sozial-demokratie. Was heute links ist wird dabei ebenso in den Fokus gerückt, wie die Rolle und Funktion der Erwachsenenbildung im Rahmen des österreichischen Bildungssystems. Die ZUKUNFT war in diesem Kontext, so Schmid, immer ein unverzichtbares Diskussionsorgan, das wieder näher an die sozialdemokratischen Bildungsorganisationen und die Partei herangeführt werden soll-te. Dabei steht ganz im Sinne des Austromarxismus die Aktualität von Bruno Kreiskys Klassenbegriff vor Augen, der das Interview auf allgemeiner ideologischer Ebene rahmt.Welche programmatische Ausrichtung die ZUKUNFT sichern könnte, diskutiert dann Thomas Koppensteiner. Denn in einer Zeit, in welcher der herrschende Diskurs durch neolibe-rale Dogmen geprägt ist, kann die Sozialdemokratie nur dann wieder bestimmende Kraft werden, wenn es ihr gelingt, eben diesen Diskurs zu verändern und die Hegemonie seiner antiso-zialen Strategie zu brechen. Koppensteiner fordert daher eine inhaltliche Positionierung der Sozialdemokratie und eine inten-sive Diskussion möglicher Allianzen und Bündnisse auf breiter gesellschaftlicher Ebene und mit politischen Gruppierungen, die bereits jetzt im österreichischen Nationalrat vertreten sind. Der Beitrag Koppensteiners ist getragen von der Überzeugung, dass eine Renaissance der Sozialdemokratie in Österreich möglich ist, und dass es die SPÖ zu einem guten Teil selbst in der Hand hat, diese Renaissance herbeizuführen.Friedrich Klocker geht es dann ebenfalls um eine Neuorien-tierung der Sozialdemokratie, wenn er betont, dass die Redukti-on der Vielfalt und Breite politischer Themen auf Randthemen die Sozialdemokratie nach und nach in die politische Bedeu-tungslosigkeit führt. Seine Überlegungen beinhalten auch eine Erklärung für den Verlust der Gestaltungsmöglichkeit in allen re-levanten Bereichen der Politik. Klocker diskutiert dabei Themen wie Arbeit, Chancengerechtigkeit oder die digitale Revolution und liest in diesem Zusammenhang die letzte Publikation von Sahra Wagenknecht aus kritischer Perspektive. Anlässlich unseres Jubiläums wünscht sich der Autor insgesamt, dass die ZUKUNFT ein geeignetes Medium ist, um derartige Fragen in der gesamten Palette der Themen breit und offen zu diskutieren; so wie dies in der Vergangenheit auch der Fall war und im doppelten Sinn des Wortes in der ZUKUNFT sein sollte.Eingehend diskutiert auch Thomas Nowotny mit seinem Bei-trag Gemeinsinn und gesellschaftlicher Zusammenhalt die jüngste Pu-blikation von Sahra Wagenknecht und fasst zusammen, wie die Politikerin der LINKEN Positionen vertritt, die dem „Völkischen“ und der AfD entsprechen, was ihr schon einen Antrag auf Par-teiausschluss eingebracht hat. Dabei distanziert er die vorurteils-beladenen Attacken gegen „die Lifestyle-Linke“ und „die Links-


liberalen“, um die in diesem Buch diagnostizierte Zerstörung von Solidarität auch in den Ressentiments von Wagenknecht auszumachen. Der Autor thematisiert in diesem Zusammen-hang rechtspopulistische Extreme und verteidigt die Europäische Union  gegen nationalistische Kleinkrämerei. Wagenknecht und die populistische, nationalistische Rechte sind sich dabei auch durch den Gebrauch einer die Gegner*innen herabwürdigen-den, denunziatorischen Sprache ähnlich, durch welche diesen Gegner*innen der Anspruch auf Seriosität entzogen wird. Wa-genknecht hat damit eben jene Spaltung vertieft, die sie doch eigentlich überwinden wollte, so Nowotny.Im Sinne einer so vor Augen stehenden ideologischen Diskussi-on ist es uns anlässlich von 75 Jahren ZUKUNFT ein Anliegen, die integrationspolitischen Überlegungen von Sieglinde Rosen-berger  zu präsentieren. Denn: Integration gelingt, Integration scheitert, Integration ist heftig politisiert, Maßnahmen betreffen eher Kultur und Religion, denn Struktur. Wie könnte eine zu-künftige Integrationspolitik angelegt sein, um Teilhabe, Zuge-hörigkeit und Chancengleichheit, aber auch soziale Kohäsion als Gesellschaft zu erreichen? Welche Politik braucht es, um Ver-hältnisse zu gestalten, die teilhabendes Verhalten und Handeln ermöglichen? Die Autorin versucht sich in einer pointierten und konzisen Beantwortung dieser Fragen und legt so ebenfalls einen Grundstein für neuartige sozialdemokratische Programmatiken, die wir nur zu gerne in der Zukunft der ZUKUNFT diskutieren wollen.Dass Kultur und Bildung immer schon Themen waren, die in der ZUKUNFT viel Platz hatten, belegt am Ende dieses Hefts unser Fund aus den Archiven der ZUKUNFT. Denn anlässlich der vor-liegenden Jubiläumsausgabe haben die Redaktionsmitglieder Hemma Prainsack und Thomas Ballhausen mit Vom Wel-lengang unserer Literatur einen passenden, exemplarischen Artikel aus den Anfängen der Zeitschrift als Wiederabdruck ausgewählt und mit einer kritischen Einleitung versehen: Im Zentrum des historischen Essays vom Mai 1946 und aus der Feder von Otto Koenig stehen wiederkehrende Fragen um den Stellenwert der Literatur, den Bezügen und Traditionen zur Literaturgeschich-te und den Perspektiven der Künste, die das Publikum in ei-ner Form gesamtgesellschaftlicher Mitverantwortung ansprechen wollen – oder auch sollen.Auch unsere Bildstrecke besteht aus einer Serie, die wir in un-seren Archiven gefunden haben. Vom Deckblatt der ersten Aus-gabe der ZUKUNFT aus dem Jahr 1946, das am Cover zu sehen ist, führt der visuelle Weg u. a. zu den Deckblättern von Der Kampf oder der Arbeiter-Zeitung. Dass die Frauenfrage im Pressewesen der Sozialdemokratie eine eminente Rolle spielte, belegen des Weiteren die ersten Seiten von Die Unzufriedene und Die Frau. So rahmt auch der Bogen unserer Bildstrecke unser 75-jähriges Bestehen und lädt dazu ein, die Geschichte der ZUKUNFT in die Zukunft zu tragen.Denn 75 Jahre ZUKUNFT sind auch 75 Jahre Diskussion über Po-litik, Gesellschaft und Kultur im Rahmen der Sozialdemokratie. Wir hoffen deshalb, dass unsere Jubiläumsausgabe Sie anregt, über die letzten und die nächsten 75 Jahre Sozialdemokratie nachzu-denken und verweisen deshalb abschließend auf unser jüngst er-stelltes Online-Archiv https://diezukunft.at/archiv/ …Wir senden Ihnenherzliche und freundschaftliche GrüßeAlessandro Barberi und Hemma PrainsackALESSANDRO BARBERI ist Chefredakteur der ZUKUNFT; Bildungswissenschaftler, Medien­pädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er in der SPÖ Landstraße aktiv. Weitere Infos und Texteonline unter: https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/HEMMA PRAINSACK ist Redakteurin der ZUKUNFT; die Theater­ und Filmwissenschaftlerin forscht derzeit zur Filmgeschichte im Umbruch zwischen  Weimarer Repubik und Nationalsozialismus.  Davor war sie am Burgtheater Wien und beim ORF tätig.


Inhalt6    Festschrift für die ZUKUNFT   VON CASPAR EINEM8     Das sozialdemokratische Pressewesen   VON HELMUT KONRAD14    Die Zukunft der ZUKUNFT   VON CHRISTIAN ALBERT18    Wir müssen die Klassen immer wieder    in Frage stellen …   INTERVIEW MIT GERHARD SCHMID26    Zur Renaissance der Sozialdemokratie in     Österreich   VON ALEXANDER KOPPENSTEINER34    „Lifestyle-Linke“ versus „Breitband    Sozialdemokratie“    VON FRIEDRICH KLOCKER38    Gemeinsinn und gesellschaftlicher Zusammenhalt   VON THOMAS NOWOTNY42    Integrationspolitik in der Zukunft   VON SIEGLINDE ROSENBERGER46    Vom Wellengang unserer Literatur  VON OTTO KOENIG   AUSGEWÄHLT UND MIT EINER EINLEITUNG VERSEHEN VON   THOMAS BALLHAUSEN UND HEMMA PRAINSACKDECKBLATT DIE ZUKUNFT SOZIALISTISCHE MONATSSCHRIFT FÜR POLITIK UND KULTUR –HEFT 1 / MITTE MÄRZ 1946IMPRESSUM Herausgeber: Gesellschaft zur Herausgabe der Zeitschrift »Zukunft«, 1110 Wien, Kaiserebersdorferstraße 305/3 Verlag und Anzeigenannahme: VA Verlag GmbH,  1110 Wien, Kaiserebersdorferstraße 305/3, Mail: office@vaverlag.at Chefredaktion: Alessandro Barberi Stellvertretende Chefredaktion: Thomas Ballhausen Redaktionsassistenz: Bianca Burger Redaktion: Julia Brandstätter, Hemma Prainsack, Katharina Ranz, Constantin Weinstabl Online-Redaktion: Bernd Herger Mail an die Redaktion: redaktion@diezukunft.at Cover: Deckblatt DIE ZUKUNFT – Sozialistische Monatsschrift für Politik und Kultur - Heft 1 / Mitte März 1946 – Namentlich gekennzeichnete Beiträge sind urheberrechtlich geschützt und stellen nicht immer die Meinung von Redaktion, Herausgeber*innen und Verlag dar.


 6 | ZUKUNFT Die Festschrift von CASPAR EINEM hebt die zukünftige Rolle und Funktion der ZUKUNFT hervor und betont, dass es im Rahmen sozialdemokratischer Diskussionen vor allem darum gehen wird, Argumente und Programme in die Basis­organisation von Demokratie einzubringen, um den Vertrauensverlust der Wähler*innen abzubauen …Festschrift für die  ZUKUNFTFESTSCHRIFT FÜR DIE ZUKUNFT VON CASPAR EINEMI.  DIE ZUKUNFT DER ZUKUNFTWas kann man von der ZUKUNFT verlangen und wer kann etwas verlangen? Man sollte von der ZUKUNFT verlangen, mit Beiträgen, die auf der Höhe der Zeit sind, zur Lösung von Fragen sozialdemokratischer Politik beizutragen. Das heißt ei-nerseits, Befassung mit den zentralen und realen Problemen der Gesellschaft, insbesondere der Gruppen in der Gesell-schaft, die auf sich allein gestellt unter die Räder des dynami-schen Kapitalismus kämen. Andererseits kann es dabei nicht nur um die thematischen Probleme gehen, sondern, soll die Befassung mit den inhaltlichen Problemen relevant sein, dann muss es auch um die Institutionen, um die institutionelle Fra-ge gehen. Was heißt das?II.  WO DER BEITRAG DER ZUKUNFT LIEGEN KANNWir sehen seit Jahren, dass Interessensvertretungen aller Art bei Wahlen nur wenige Mitglieder dazu bringen, auch wirklich zur Wahl zu gehen. Das gilt beispielsweise sehr deut-lich für die Wahlbeteiligung bei den ÖH-Wahlen oder bei den Wahlen zu den Arbeiterkammern. Bei der sogenann-ten „Selbstverwaltung“ in den Sozialversicherungsinstitutio-nen sind schon gleich gar keine Wahlen der Versicherten vor-gesehen, jedenfalls keine direkten Wahlen. Und mittlerweile kränkeln auch schon die Wahlen zu den sogenannten „allge-meinen Vertretungskörpern“, zu Gemeinderat, Landtag, Na-tionalrat und Wahlen zum Europäischen Parlament. Da wird dann von der Krise der Demokratie gesprochen.III.  ZUKUNFT DER GEMISCHTEN SERVICE- UND POLITISCHEN INSTITUTIONENGibt es ein gemeinsames Problem der genannten Institu-tionen? Ja. Die Wahlberechtigten fühlen sich in vielen Fäl-len nicht vertreten. Dennoch sind diese Probleme bei den all-gemeinen Vertretungskörperschaften und bei ÖH, AK, ÖAMTC bzw.  ARBÖ unterschiedlich gelagert und brauchen unter-schiedliche Lösungsansätze. Die vier genannten Institutio-nen sind alle sowohl Interessenvertretungen, als auch politi-sche Akteur*innen und Service-Organisationen. Den guten (oder schlechten) Ruf, den sie haben, gewinnen sie primär über ihr Serviceangebot und dessen reale Qualität. Fällt die Wahlbeteiligung von Wahl zu Wahl, neigen diese Institutio-nen dazu, sich sympathischer zu machen, indem sie das Ser-viceangebot vergrößern und verbessern. Das Problem dabei ist, dass aber nicht leicht zu erkennen ist, warum die Mitglie-der bei diesen Institutionen zur Wahl gehen sollen. Die jewei-lige Leistung wird von hauptamtlichen Mitarbeiter*innen er-bracht. Die sind angestellt und werden nicht gewählt. Die zu Wählenden aber sind nicht die Berater*innen im Alltag. Es ist für die meisten Mitglieder nicht mehr erkennbar, dass es sich um politische Organisationen handelt, die konkrete Interessen vertreten. Aber nur die lohnten die Teilnahme bei der Wahl und das auch nur bei voller Transparenz, so dass sichtbar wird, wofür die einzelnen Kandidat*innen eintreten. Ich habe schon wiederholt den Vorschlag gemacht, in die-sen Institutionen auf Wahlen zu verzichten und stattdessen die Funktionär*innen nach dem Zufallsprinzip aus der Grundge-samtheit der Mitglieder zu generieren. Dann wäre wenigsten die Repräsentativität nicht mehr so leicht infrage zu stellen. 


Parteien bzw. Interessengruppen würde es dann immer noch brauchen, um inhaltliche Programme zu erstellen und in der Gesellschaft zu vertreten, Konzepte bekannt zu machen und zu verankern. Dann hätten die nach Zufallsprinzip ge-fundenen Vertreter*innen außer ihrer persönlichen Überzeu-gungen auch die Chance, sich an Konzepten zu orientieren, die ihnen geeignet erscheinen. Dies alles zusammen könnte man als gesellschaftliches Bildungsprogramm sehen, ein Pro-gramm zur Belebung von Demokratie. In diesem Feld wird die Funktion und Aufgabe einer Zeit-schrift, wie die der ZUKUNFT, auch gleich sichtbar: Argumen-te und Programme in die Basisorganisation von Demokratie einbringen. Einen Beitrag zur politischen Aufklärung leisten. Helfen, sichtbar zu machen, was der Unterschied zwischen Sozialdemokratie und anderen politischen Strömungen ist – theoretisch, will heißen Theorie-gestützt.IV.  ZUKUNFT DES ENGAGEMENTS IN DER POLITIKNun zu den politischen Vertretungskörpern und zur Funktion der ZUKUNFT: das zentrale Problem im Verhältnis zwischen den Bürger*innen und den demokratisch gewählten Vertretungskörperschaften ist, dass vielfach die Parteien, die letztlich die Volksvertreter*innen stellen, Vertrauen verloren haben. Am schlimmsten trifft Vertrauensverlust die sog. „Mo-ralparteien“, jene Parteien, die immer schon für bestimm-te Programmatiken, für bestimmtes Engagement stehen und bekannt sind für ihre politisch-moralische Orientierung. Das sind im Wesentlichen die GRÜNEN und die Sozialdemokratie. Verstöße der Spitzen solcher Parteien gegen die eingeschrie-bene Moral führen über kurz oder lang zum Vertrauensver-lust. Vertrauen aber ist nicht nur eine notwendige Ressource, um erfolgreich Politik machen zu können. Vertrauen ist nur ganz schwer und ganz langsam wiederzugewinnen. Und vor allem nicht durch bloßes Reden, sondern nur über eine ent-sprechende Aktivität am Boden, von unten her mit konkre-tem Agieren. Ein Beispiel: Während der Corona-Zeit startete meine Bezirksorganisation eine Aktion zur Unterstützung der Par-teimitglieder im Bezirk, die Hilfe brauchten. Schon für die-se Aktivität konnten sowohl Parteimitglieder, als auch andere Engagierte gewonnen werden und eine Gruppe auf Face-book. Ich habe dann vorgeschlagen, die Aktion auszuweiten und alle bedürftigen Bezirksbewohner*innen einzubeziehen, aber dafür zu sorgen, dass erkennbar bleibt, dass dies eine Ak-tion der SPÖ ist. So kann man Vertrauen gewinnen – auch zu-rückgewinnen. Und wenn im gesamten Bundesgebiet Akti-onen solcher Art beobachtbar sind, dann wird wieder klar, anhand der Praxis klar, wofür die SPÖ steht. V. SCHLUSSUnd was wäre die Funktion der ZUKUNFT hier, im Vorfeld der Politik der Partei, der SPÖ? Die Zeitschrift könnte über vergleichbare Aktionen berichten und dazu beitragen, dass gegenseitiges Lernen, gegenseitige Unterstützung stattfindet. Auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle – vor allem aber für die, die sichs nicht so leicht selber richten können. Die ZUKUNFT ist im Jänner 2021 mit ihrem neuen Redak-tionsteam aufgebrochen, um einen Unterschied zu machen, um einen Beitrag zu leisten. Er soll und kann sowohl im An-gebot besserer theoretischer Grundlagen, als auch im Beitrag zur Vernetzung und Befruchtung mit guten Projekten liegen. Dann wäre er relevant.Und das wünsche ich der ZUKUNFT zum Jubiläum!CASPAR EINEM hat ein vielfältiges, überwiegend politisches Leben geführt und war einige Jahre auch Chefredakteur der ZUKUNFT. ZUKUNFT | 7 


 8 | ZUKUNFT I. EINLEITUNGIn den Anfangsjahren der österreichischen Sozialdemokra-tie kam dem Pressewesen die zentrale Rolle in der politischen Arbeit der Partei zu. Das Abonnement der Arbeiter-Zeitung galt als Mitgliedsbeitrag, der an die Partei entrichtet wurde. Die über das Medium Zeitung verbreiteten Botschaften gaben die Inhalte vor und strukturierten die Diskussionen. Pressepro-dukte waren, neben Versammlungen und Kundgebungen, die einzigen Möglichkeiten, politische Anliegen mit der werktä-tigen Bevölkerung zu einer wirkungsvollen Massenbewegung zu formen.Um die Einigung der damals in Fraktionen aufgespalte-nen, jungen Arbeiterbewegung herbeizuführen, hatte Victor Adler 1886 Die Gleichheit gegründet. Nach deren Verbot und im ersten Jahr der vereinten Sozialdemokratie, erschien die erste Ausgabe der Arbeiter-Zeitung zuerst zweimal im Monat, bald darauf wöchentlich und ab 1895 als Tageszeitung. Rasch wurden täglich 15.000 Exemplare verkauft. Da sich Victor Adler nicht wirklich verantwortlich um eine Tageszeitung kümmern konnte, übernahm der junge Friedrich Austerlitz 1895 die Position eines Chefredakteurs, die er bis 1931 erfolg-reich und über die Parteigrenzen hinaus anerkannt, innehaben sollte. Mehr als einmal, so etwa im August 1914 oder aber im Juli 1927, griffen die Leitartikel von Friedrich Austerlitz mas-siv in den Ablauf der Geschichte ein.Die Arbeiter-Zeitung genoss Ansehen, auch in bürgerlichen oder konservativen Kreisen. Karl Kraus war Friedrich Aus-terlitz in wechselseitiger Achtung verbunden, der Kulturteil der  Arbeiter-Zeitung  wurde breit rezipiert. Die internationa-len Kontakte, die Oscar Pollak einbrachte und die sich auf das Netzwerk der Arbeiter-Internationale von Friedrich Adler stützen konnten, machten die Zeitung auch für ein politisch interessiertes Publikum jenseits der Partei interessant.In den Bundesländern entstanden, in engem Kontakt zur Arbeiter-Zeitung, eigene Parteizeitungen. Diese gab allerdings eindeutig den Ton an. Mit dem zwischen 1907 und 1909 er-richteten Vorwärts-Gebäude an der Rechten Wienzeile, hat-ten Wien und Österreich auch einen repräsentativen Ort, an dem sich die Parteiführung und der Verlag sichtbar ins Stadt-bild einschrieben.Richtete sich die Arbeiter-Zeitung als Tageszeitung an einen breiten Kreis von Leser*innen, weit über die Parteimitglied-schaft hinaus, so entstand 1907 um Otto Bauer, Karl Ren-ner und Adolf Braun mit der Monatsschrift Der Kampf ein theoretisches Blatt, das bis 1934 erscheinen und zum Organ des Austromarxismus werden sollte. Hier publizieren zu dür-fen, galt als intellektueller Ritterschlag, und bis heute kann man sehen, wie sehr die dort geführten Diskussionen welt-weit in das Feld der Wissenschaft hineinwirkten. In Der Kampf kamen auch praktisch alle Größen der internationalen Arbeiter*innenbewegung zu Wort. Bis heute dienen viele der Beiträge in Der Kampf noch als Grundlage für wissenschaftli-che Diskurse.Mit dem Kleinen Blatt versuchte die Sozialdemokratie auch Menschen zu erreichen, deren primäres Interesse nicht der Politik galt. Julius Braunthal war ab der Gründung im Jahr 1927 der Chefredakteur und sehr bald wurden 200.000 Ex-emplare verkauft, nicht immer zur Freude der Redakti-on der Arbeiter-Zeitung, die sich dadurch in ihrer Verbreitung DAS SOZIALDEMOKRATISCHE PRESSEWESEN VON HELMUT KONRADDer Beitrag von HELMUT KONRAD fasst die Entwicklung des sozialdemokratischen Pressewesens von Die Gleichheit und Der Kampf über die Arbeiter­Zeitung bis hin zur ZUKUNFT zusammen und führt so einen eminent wichtigen Teil der österreichischen Zeitgeschichte vor Augen.Das sozialdemokratische Pressewesen


 ZUKUNFT | 9 auf die Funktionär*innenschicht der Bewegung eingeengt sah. Allerdings schrieben im Kleinen Blatt auch die führenden Sozialdemokrat*innen mit.Die sozialdemokratische Presse konnte in der Ersten Re-publik zweifelsfrei als politischer Machtfaktor gelten. Die Par-teiführung arbeitete in den Redaktionen mit und das Ver-lagshaus war der Mittelpunkt eines regen Organisations- und Publikationsleben. Die Weltwirtschaftskrise, die Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzung, die Ausschaltung des österreichischen Parlaments und schließlich die Februar-kämpfe beendeten aber letztlich gewaltsam durch die Beset-zung des Verlagshauses diese Phase einer intellektuellen und publizistischen Hochblüte. In der Illegalität wurden Der Kampf und die Arbeiter-Zeitung zwar größtenteils aus der Emigration weitergeführt, aber die Massenbasis war bei den Leser*innen weggebrochen. Auch eine sorgsame Gestaltung war nicht län-ger möglich.II.  DAS AUFERSTEHENOscar Pollak war die erste Person, die nach Kriegsende 1945 mit einer Sondergenehmigung aus der britischen Emig-ration nach Österreich zurückkehren durfte. Er kam in dop-pelter Mission: einerseits wollte die neugewählte Labour-Re-gierung in London einen verlässlichen Verbindungsmann in Wien, der sich in den Jahren des Exils exzellent mit den füh-renden Kräften der britischen Partei vernetzt hatte. Und an-derseits sollte Pollak die Arbeiter-Zeitung wieder in Schwung bringen, die er seit 1931 als Chefredakteur bereits geleitet hat-te. Die britische Regierung erhoffte sich zudem, und das mit Recht, verlässliche Informationen über die Vertrauenswürdig-keit der Regierung Renner, und diese Nachrichten aus Wien machten es letztlich auch möglich, dass London gesamtöster-reichischen Wahlen zustimmte. Bald kam Marianne Pollak, Oscars Frau, zu deren Gunsten Oscar Pollak auf die Kandi-datur für den österreichischen Nationalrat verzichtet hatte, ebenfalls nach Wien. Vorerst an der Seite von Gabriele Proft, später als Chefredakteurin, leitete sie die Redaktion der Zeit-schrift Die Frau und machte diese, die an Die Unzufriedene der Ersten Republik anknüpfte, zu einem breit akzeptierten und viel gelesenen Blatt.Unter der Leitung von Oscar Pollak wurde die Arbeiter-Zeitung zur „Zeitung, die sich was traut“. Sie war rasch die kritische Stimme gegenüber der sowjetischen Besatzungs-macht, berichtete tapfer von Übergriffen und Pollak selbst wurde zum erklärten Feindbild der Sowjets in Österreich. Aber es gab auch Gegenwind aus der eigenen Partei. Manche misstrauten den heimgekehrten (jüdischen) Emigrant*innen, also jener Gruppe um Pollak. Dahinter verbarg sich oft nur sehr oberflächlich eine gute Portion Antisemitismus. Otto Leichter, der Ehemann der im Konzentrationslager ums Le-ben gekommenen, charismatischen Käthe Leichter, resignier-te bald und zog wieder aus Österreich fort.Man sah sich daher in der Redaktion der Arbeiter-Zeitung mehreren Frontlinien gegenüber: dem nicht zimperlichen, konservativen politischen Mitbewerber im Land, der ebenfalls antisemitische Ressentiments zu bedienen wusste, der sowje-tischen Besatzungsmacht und einer zumindest ambivalenten Haltung der eigenen Parteiführung gegenüber der Redaktion. Das Verhältnis der „Löwelstraße“ mit der „Rechten Wienzei-le“ war sichtlich nicht spannungsfrei. Das machte die Arbeit nicht leichter. Dennoch, die Arbeiter-Zeitung errang rasch wie-der große Anerkennung. Ihre Internationalität mit den stän-digen Berichten, die das Weltgeschehen kommentierten, ihre gediegene Berichterstattung über Kultur- und Sportereignis-se, vor allem aber ihre ideologische Weiterführung der aus-tromarxistischen Grundpositionen aus der Zwischenkriegszeit und die journalistische Qualität der Autor*innen stellten sie sehr rasch wieder in die erste Reihe der österreichischen Pres-seprodukte. Damit war sie auch das historische Gewissen der Sozialdemokratie.III.  DIE ZUKUNFTWenige Monate nachdem die Arbeiter-Zeitung wieder er-folgreich gestartet war, wagte man sich unter der Federfüh-rung von Oscar Pollak an die Aufgabe, die Tradition des an-gesehenen theoretischen Organs, der Zeitschrift Der Kampf, wieder aufzugreifen. Im März 1946, also vor 75 Jahren, er-schien die erste Nummer einer neuen Zeitschrift mit dem Titel:  DIE  ZUKUNFT– Sozialistische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. Man trat in große Fußstapfen. Wohl hat-ten Oscar und auch Marianne Pollak schon Beiträge für Der Kampf verfasst und Oscar war am Beginn der ersten Repub-lik sogar Mitglied des Leitungsgremiums, aber nun, in einer Zeit der ökonomischen Not, des Wiederaufbaus, in der wenig Platz für theoretische Diskurse vorhanden war, sich der Auf-gabe zu stellen, „ … sich über die Welt zu informieren; sich in der heutigen Zeit in sozialistischem Sinn zu orientieren und die Entwicklung der Gesellschaft, insbesondere auch auf geistigen und kulturellen Gebiet zu überschauen“, wie es der 


 10 | ZUKUNFT Chefredakteur in der ersten Nummer formulierte, war doch ein hoher Anspruch. Gesellschaftspolitisch aufgeklärt und li-beral, dazu konsequent antikommunistisch, in Wirtschaftsfra-gen aber eine Befürworterin des starken Staates, als Organ der „Partei der geplanten Wirtschaft und der menschlichen Frei-heit“, so positionierte sich die neue theoretische Zeitschrift. Und sie erwarb sich bald Ansehen sowie einen stabilen Platz im politischen Diskurs.Karl Czernetz und Alfred Magaziner, zwei von Pollaks Wegbegleitern, wagten den Versuch, mit DIE  ZUKUNFT, „Menschen zu bilden, sie zu geschultem Denken und dadurch zu wirksamem Handeln zu erziehen.“ Man sah sich „der Ver-gangenheit und der Zukunft gleich verpflichtet: es gilt zu be-wahren und es gilt das Neue zu erkennen.“ Dieser Anspruch, formuliert im ersten Heft der Zeitschrift, war durchaus ge-wagt. Aber man sah sich auf einem sicheren Fundament in der Tradition des Austromarxismus: Konsequent gegen den Bolschewismus, denn es galt, individuelle Freiheit zu sichern. Aber ebenso konsequent für eine Wirtschaft mit großem Ein-fluss des Staates, um kapitalistisches Gewinnstreben zügeln zu können. „Sozialismus bedeutet wirtschaftliche Ordnung, um zur Freiheit des Menschen zu gelangen. Er ist starker Staat und freier Geist“, so formulierte es Oscar Pollak in der zwei-ten Nummer der Zeitschrift.Die Bedeutung, die Der Kampf zwischen 1907 und 1934 hatte, konnte DIE ZUKUNFT nicht erreichen. Dazu fehlten die großen theoretischen Köpfe, vor allem in der Vielfalt, und es waren wohl auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingun-gen andere geworden. Die Sozialdemokratie befand sich in ei-ner großen Koalition, es ging um den Wiederaufbau und um das Erringen der vollständigen Unabhängigkeit des Landes durch den Abschluss eines Staatvertrages. Daher lief der po-litische Diskurs in Österreich im ersten Nachkriegsjahrzehnt nicht allzu kontrovers. Der größere Teil der Personen, die vor 1934 den Diskurs geführt hatten, waren entweder dem Na-tionalsozialismus zum Opfer gefallen oder kam nicht aus der Emigration zurück – ein Umstand, der manchem in der Par-teiführung gar nicht allzu ungelegen kam. Die Rückkehr der „Vertriebenen Vernunft“ wurde zumindest nicht offensiv ver-folgt. So konnte DIE ZUKUNFT zwar eine angesehene, po-litische Monatsschrift werden, die herausragende Stellung der Zeitschrift Der Kampf konnte nicht erreicht, ja nicht einmal realistisch ins Auge gefasst werden.Dennoch, DIE ZUKUNFT hielt sich wacker, sogar über DAS SOZIALDEMOKRATISCHE PRESSEWESEN VON HELMUT KONRADjene Zeit hinaus, in der praktisch alle Parteizeitungen Exis-tenzkrisen zu durchlaufen hatten, die sie letztlich nicht über-leben konnten.IV.  DIE MEDIENLANDSCHAFT STELLT SICH NEU AUFDas Jahrzehnt zwischen dem Kriegsende und dem Ab-schluss des österreichischen Staatsvertrags kann, trotz der Not-wendigkeit das Gemeinsame zu betonen, als Zeitraum der Hochblüte der Parteipresse aller politischen Lager angesehen werden. Ab 1955 wurde es deutlich anders. Die beginnende Wohlstandsgesellschaft mit stärker ausgeprägtem Individualis-mus führte dazu, dass die richtungsgebende Position der poli-tischen Printmedien zumindest abgeschwächt wurde.Innerhalb der Sozialdemokratie war es vor allem Franz Olah, gestützt von den „Niederösterreichern“ um Oscar Hel-mer und durchaus auch Bruno Kreisky, der in den angeb-lich starren Positionen der Parteipresse und ihrem Festhalten an ideologischen Positionen des Austromarxismus, einen der Gründe für die Wahlniederlage von 1956 erblickte. Mit der Gründung der Wochenzeitung Heute, die ohne starke Partei-bindung einen linksliberalen Kurs steuerte, wurde der Ver-such gefasst, eine Alternative in der Medienlandschaft zu po-sitionieren. Der erwartete Erfolg blieb aus, das Experiment wurde eingestellt.Franz Olah ging aber noch einen Schritt weiter. Um die Jahreswende 1958/59 traf er sich mit dem ehemaligen Chef-redakteur des Kurier, Hans Dichand, um diesem mitzutei-len, dass er das nötige Geld für die Wiedergründung und für die weitere Finanzierung der alten Kronen-Zeitung aufbrin-gen könnte. Die Geschichte rund um die Finanzierung der Kronen-Zeitung sollte die Gerichte jahrelang beschäftigen, ehe Hans Dichand siegreich aus den Auseinandersetzungen her-vorgehen und sein quantitativ eindrucksvolles Medienimperi-um aufbauen konnte.Das war zweifellos der Höhepunkt der Umgestaltung der österreichischen Medienlandschaft. Die Parteizeitungen aller politischen Richtungen waren dabei die Opfer. Man konn-te und wollte bei dieser neuen Form des Journalismus nicht mitmachen. Zudem begann das Medium Fernsehen, mit der Möglichkeit viel rascher Informationen zu verbreiten, einem Journalismus, bei dem es in erster Linie um die politische Ein-ordnung von Ereignissen, also um Erklärungen und um Auf-


 ZUKUNFT | 11 klärung ging und nicht so sehr um die Schlagzeile, zusätzlich Konkurrenz zu machen.Die Arbeiter-Zeitung verwehrte sich dem Druck, sich dem Boulevard anzunähern. Der Druck, der letztlich vor allem von Bruno Pittermann ausging, wurde aber schließlich so groß, dass mit dem Jahresende Oscar Pollak die Funktion des Chefredakteurs niederlegen musste. Auch Marianne Pollak schied zeitgleich aus der Leitung der Redaktion von Die Frau aus. Offiziell geschah dies aus Altersgründen (Marianne war 70 und Oscar 68 Jahre alt), der Hintergrund war jedoch, dass aus der Sicht der Parteiführung eine klassische Zeitung in der Tradition des Austromarxismus in den 1960er-Jahren ein Er-folgshindernis zu werden schien. Die Arbeiter-Zeitung  wur-de ab Jahresbeginn 1962 von Franz Kreuzer geleitet, der et-liche Briefe von Oscar Pollak erhielt, in denen dieser auf die journalistischen Fehler und Schwachstellen seines Nachfolgers verwies („…nicht immer nur die Buchstaben zählen, sondern auch ein bissel an den Inhalt denken…“).Der Niedergang der Arbeiter-Zeitung war aber nicht mehr aufzuhalten. Der Umstieg auf ein Kleinformat, der neue Name AZ und schließlich der Auszug aus dem Vorwärts-Ge-bäude waren Wegmarken des Abstiegs. Der Verkauf im Jahr 1989 und schließlich die Einstellung 1991 setzten den End-punkt. 1948 hatte man noch fast 250.000 Exemplare verkauft, zum Zeitpunkt der Einstellung war es deutlich weniger als die Hälfte. Der Kampf gegen die Boulevardpresse war aussichts-los geworden.Da auch der konservativen parteinahen Presse ein ver-gleichbares Schicksal bevorstand, fanden sich in den späten 1950er und frühen 1060er-Jahren alte Kontrahenten in wech-selseitiger Wertschätzung zusammen. Friedrich Funder, der 1959 verstorben war, vor allem aber Heinrich Drimmel zoll-ten dem langjährigen Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung hohe Anerkennung. Man konnte der neuen Entwicklung in der Medienlandschaft aber nichts mehr entgegensetzen. Oscar Pollak schrieb 1961 in DIE ZUKUNFT prophetisch: „Dann wird in Österreich ein weiterer Schritt getan sein zur Ent-christlichung des Konservativismus und zur Entseelung des Sozialismus.“Gleichsam als Trost erhielt Oscar Pollak die Aufgabe, sich weiterhin um DIE  ZUKUNFT  zu kümmern. Er hatte ein zweiwöchentliches Erscheinen ins Auge gefasst und wollte seine ganze Energie der Gestaltung eines attraktiven und qua-litativ hochstehenden Presseprodukts widmen. Es war ihm al-lerdings nicht mehr viel Zeit vergönnt. Im August 1963 starb er während eines Urlaubs in Hinterstoder an einem Herzan-fall. Seine Frau Marianne schied zwei Tage später freiwillig aus dem Leben.DIE  ZUKUNFT  aber existierte weiter, über alle Krisen des Zeitschriftenmarktes hinweg, und es gibt sie erfreulicher-weise bis heute. Sie versteht sich noch immer als sozialde-mokratische Diskussionszeitschrift, die sich 2021, nach lan-gen Jahren der Leitung durch Caspar Einem, anlässlich des  75. Jahres gerade redaktionell neu aufstellt. Es ist ihr anlässlich dieses Jubiläums zu wünschen, dass sie noch viele Jahre vor sich hat und dass ihre Stimme in der politischen Diskussion weiterhin Gewicht hat.HELMUT KONRAD ist emeritierter Universitätsprofessor für Allgemeine Zeitgeschichte an der Karl­Franzens­Universität Graz, ehemaliger Rektor dieser Universi­tät und Vizepräsident des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. Sein Buch Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak  erscheint am 13. September im Picus­Verlag. 


 12 | ZUKUNFT Deckblatt DER KAMPF  SOZIALDEMOKRATISCHE MONATSCHRIFT - 1. Heft / Jahrgang 1 / Oktober 1907


 ZUKUNFT | 13 75 JAHRE ZUKUNFTDeckblatt DIE UNZUFRIEDENE Eine unabhängige Wochenschrift für alle Frauen - Nummer 26 / 8. Jahrgang / Juni 1930


 14 | ZUKUNFT DIE ZUKUNFT DER ZUKUNFT VON CHRISTIAN ALBERTDie Zukunft der ZUKUNFTCHRISTIAN ALBERT erinnert sich an drei Monate als Praktikant in der ZUKUNFT und die Zusammen­, Um­ und Auf­brüche in den späten 1980er­Jahren. Er stellt fest, dass die Linke in dieser Zeit, als der Begriff „Neoliberaler“ die Keule „Faschist“ als argumentativer Totschläger abgelöst hat, aus intellektueller Trägheit eine Zukunft verspielte, die heute auch in der ZUKUNFT wiedergewonnen werden muss …I. MEINE ZUKUNFTIch muss zugeben, ich habe schon längere Zeit nicht mehr an sie gedacht, an die ZUKUNFT, die „Diskussionszeitschrift für Politik, Gesellschaft und Kultur“. Die ZUKUNFT wird nun also 75 Jahre alt. Ein bisschen älter als ich, der gerade seinen 60er feiern durfte. Unsere Wege haben sich in den späten 1980ern gekreuzt. Ich habe damals ein dreimonatiges Praktikum bei der  ZUKUNFT absolviert, das ich dem damaligen Redakteur Manfred Lang zu verdanken hatte. Wir hatten uns in einer Buchhandlung über Journalismus, politische Zukunftsthemen und die SPÖ unterhalten und am Ende des Gesprächs bot er mir ein Praktikum bei der ZUKUNFT an. Als mir nun Alessandro Barberi den Vorschlag machte, über diese Zeit einen Artikel zu schreiben, zögerte ich zu-nächst. Meinen Beitrag im Rahmen dieses Praktikums schät-ze ich als doch sehr überschaubar ein. Es waren zwei oder drei Buchrezensionen, die Übersetzung einiger Artikel aus dem Englischen und die Ordnung des Fotoarchivs der ZUKUNFT, an die ich mich neben kleineren administrativen Tätigkeiten noch erinnere. Ich kann auch gar nicht mehr genau sagen, wann ich drei Monate bei der ZUKUNFT gearbeitet habe – war das 1987, 1988 oder 1989? II.  DAS ENDE DES „SOZIALDEMOKRATISCHEN JAHRHUNDERTS“?Wie und wann auch immer, es waren aufregende Zei-ten. Die späten 1980er-Jahre waren (vor allem im Rückblick) eine Zeit innen- und außenpolitischer „tektonischer Beben“, welche die Weltpolitik, die innenpolitische Landschaft in Ös-terreich und natürlich auch die SPÖ für immer veränderten. Die Weltpolitik wurde von Ronald Reagan, Michail Gor-batschow und – vor allem wirtschaftspolitisch – von Marga-ret Thatcher geprägt. 1989 implodierte der sogenannte „Ost-block“ und kurz danach auch gleich die Sowjetunion selbst, Deutschland schaffte die Wiedervereinigung. In Österreich erlebten wir den Aufstieg Jörg Haiders, den Einzug der Grü-nen ins Parlament, die Wahl Kurt Waldheims, die Neuauflage der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP. Traditionelle Werte-haltungen und Orientierungen wurden in Frage gestellt, das gesellschaftlich blendende „Role model“ war der „Yuppie“, Gier und Geiz waren geil, und die gesamte Linke war planlos. Die SPÖ feierte 1989 ihren hundertsten Geburtstag und alle re-deten vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ (© Ralf Dahrendorf). In den Kreisen, in denen ich damals verkehrte, ich nenne sie jetzt mal die Rot-Grün-Bewegten, herrschte durchaus die Stimmung, in einer geschichtlichen Entscheidungssituation zu stehen, in der auch unbewegliche Strukturen zur Disposition stünden. Gleichzeitig hatten viele den Eindruck, das offiziel-le, politische System in Österreich verschließe die Augen vor den Problemstellungen und fahre ihren „alten“ Kurs weiter. Allerdings waren wir alle – mich selbst nicht ausgenommen – offensichtlich so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass das am Kaffeehaustisch oft leidenschaftlich Diskutierte nicht einmal die Höhe der Parteiöffentlichkeit – etwa in Form gelungener, pointierter Artikel in der ZUKUNFT – erreichte.Natürlich gab es Ausnahmen. Ich erinnere mich noch gut an einen analytischen Artikel von Peter Glotz, einem damali-gen sogenannten „Vordenker“ der Sozialdemokratie, der da-mals in der ZUKUNFT erschienen ist. Laut dem deutschen So-


 ZUKUNFT | 15 zialdemokraten wäre eine Gesellschaft, bei der zwei Drittel der Beschäftigten einem Drittel Beschäftigungsloser ein ga-rantiertes Grundeinkommen zukommen lassen würde, eine unvernünftige Utopie. Glotz warb in seinem Beitrag für eine Erneuerung der Produktionsstrukturen der europäischen In-dustriegesellschaft als „linkes Projekt“. Glotz’ Überzeugung war, dass sich die Linke von einer reinen Schutzpolitik in punktuellen Fragen hin zu eigenen Gesamtkonzepten bewe-gen müsse. Klingt auch heute noch modern, harrt aber noch immer der Umsetzung. Glotz diagnostizierte zudem – wie sehr viele andere auch – bei der Linken nach dem Zusam-menbruch des Ostblocks und der damit verbundenen Diskre-ditierung des „Marxismus“ eine philosophische und ideolo-gische Desorientierung, der zu einer Form des Pragmatismus ohne Prinzipien und wissenschaftliches oder aufklärerisches Denken geführt habe.Ich habe zu dieser Zeit auch immer wieder mal in der „Buchhandlung in der Löwelstraße“ (ja, damals leistete sich die SPÖ noch den Luxus einer eigenen Buchhandlung) gear-beitet, unter anderem bei der Inventur. Ich war damals – noch ganz Student – besonders beeindruckt von der Fülle der Bü-cher und Broschüren, die sich inhaltlich mit der Zukunft der Sozialdemokratie beschäftigten. Aber wenn man ehrlich ist, war das meiste – zumindest im heutigen Rückblick – hoh-les Geschwätz, eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen und Verweisen auf das heldenhafte „Früher“, ohne dass eine wirklich kluge Strategie erkennbar gewesen wäre.Wenigstens einen Ansatz für ein Weiterdenken lieferte ein Artikel in der ZUKUNFT von Josef Cap, der den Titel „Quo vadis  SPÖ?“ trug. Er thematisierte den unausweichlichen Wandel in der Arbeitswelt, das Schrumpfen des Industrie-sektors, die Entwicklung in Richtung Dienstleistungsgesell-schaft. Das zentrale Problem der Zeit bestand bei „kritischen Sozialist*innen“ wohl darin, dass viele das bloße Wahrneh-men der geänderten Wirklichkeiten schon für modern hiel-ten, ein Irrtum, dem man nur deshalb aufsitzen konnte, weil die Partei nach 1945 – vielleicht mit Ausnahme der frühen 1970er-Jahre – letztlich von oben geführt und im Inneren zu-tiefst strukturkonservativ war und blieb.III.  EINSAME DENKER IN DER ZUKUNFTAber es gab wirklich kluge Köpfe, die mit Wissen und Fantasie an die Probleme herangingen. Paul Blaha schrieb in den späten 1980er-Jahren in einem Artikel in der ZUKUNFT über eine notwendige „Totalreform der AZ“, der im Wesent-lichen das später im Standard  verwirklichte Konzept einer linksliberalen Tageszeitung für Österreich vorwegnahm. Die ruhmreiche „Arbeiterzeitung – AZ“ hingegen gibt es nicht mehr …Ein anderer „Vordenker“ der 1980er-Jahre, dem ich vie-le Denkanstöße und Impulse zu einer möglichen Moderni-sierung und Neuausrichtung der Sozialdemokratie verdanke, war der viel zu früh verstorbenen Herbert Tieber. Er glaubte zutiefst daran, dass eine „von unten“ demokratisch organisier-te Gesellschaft freier Menschen, die nicht den Markt, sondern die plumpe Gier überwindet, nicht nur möglich sein muss, sondern auch möglich ist, und sowohl seine Visionen als auch seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen hörten sich ver-nünftig und nachvollziehbar an.Der bereits erwähnte Josef Cap leitete auch viele Jah-re die Zukunftswerkstätte, die 1987 ins Leben gerufen worden war. Die Zukunftswerkstätte selbst wollte nicht nur ein „Think-Tank“ der Sozialdemokratie sein, sondern eine Gesprächs-plattform über Parteigrenzen hinweg. Weitgeistig und offen wollte sie sein und war es zumindest zu Anfang in meiner Er-innerung auch. Auch die Zukunftswerkstätte gibt es längst nicht mehr. Fast unbemerkt ist sie 2008 aufgelöst worden. In ei-nem der wenigen Zeitungsartikel, die ihr Ende überhaupt er-wähnten – ich glaube es war im Standard –, habe ich als Be-gründung gelesen, dass man stattdessen in der SPÖ eine neue, mobile Andockstation für junge, urbane Leute suche. Ob sie gefunden wurde, ist mir nicht bekannt.Ich wäre ehrlich gesagt nicht überrascht gewesen, irgend-wo auch eine Randmeldung über die Einstellung der ZU-KUNFT zu lesen. Aber das ist zum Glück noch nicht passiert. Denn die ZUKUNFT wird gebraucht.IV.  AUFBRUCH IN DIE ZUKUNFT MIT DER ZUKUNFTWenn „Linkssein“ mehr sein soll als ein Lifestyle und das stolze Bekenntnis, 2015 „am Westbahnhof dabei gewe-sen“ zu sein, dann sollte eigentlich klar sein, worum wir uns in der Zukunft und in der ZUKUNFT kümmern sollten. Schlecht verdienende, oft alleinerziehende Frauen, deklas-sierte Zuwander*innenkinder, ausgebeutete Saison- und Leiharbeiter*innen, eine klimaorientierte Industrie- und Steuerpolitik, Grund- und Freiheitsrechte im digitalen Zeital-


 16 | ZUKUNFT DIE ZUKUNFT DER ZUKUNFT VON CHRISTIAN ALBERTter – die Liste ist nach Jahrzehnten der intellektuellen Trägheit schon fast endlos. Wir müssen also geistig die Ärmel hoch-krempeln und wieder kämpfen lernen.Willy Brandt wird die Aussage zugeschrieben, dass der So-zialismus kein „Endziel“ sei, vielmehr sei „Sozialdemokratie eine nie endende Aufgabe“. Wie diese Aufgabe allerdings be-wältigt wird, ist angesichts eines Epochenbruchs von weltge-schichtlicher Dimension – des Übergangs vom Industrie- in das Digital- und Informationszeitalter – und direkt oder indi-rekt damit verbunden absurder, neuer sozialer Ungleichheiten sowie einer heraufziehenden Klimakatastrophe, alles andere als ausgemacht. Wo anders als in der ZUKUNFT sollte aber über unsere – die sozialdemokratische – Version und Vision einer menschlichen, sozialökologisch vertretbaren ZUKUNFT gestrit-ten und geschrieben werden? Wir brauchen die ZUKUNFT – und da die Aufgabe laut Willy Brandt ja nie endet, zumindest noch einmal 75 Jahre.CHRISTIAN ALBERT ist Jurist und Mediator und arbeitet an der Universität Wien  als Konfliktberater.


 ZUKUNFT | 17 75 JAHRE ZUKUNFTDeckblatt ARBEITER-ZEITUNG  Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie - Nr. 132 / 19. Jahrgang / Mai 1907 


 18 | ZUKUNFT WIR MÜSSEN DIE KLASSEN IMMER WIEDER IN FRAGE STELLEN … INTERVIEW MIT GERHARD SCHMIDAlessandro Barberi: Lieber Gerhard, wir möchten heu-te mit Dir anlässlich des 75-Jahre-Jubiläums der ZUKUNFT über die Zukunft der österreichischen Bildungspolitik, Trends wie Digitalisierung, aber auch allgemein über die Zukunft der SPÖ und der österreichischen Linken sprechen. Wo siehst Du heu-te die Zukunft der SPÖ und wo sind die Probleme, die wir in der österreichischen Linken haben?Gerhard Schmid: Ich würde von Beginn an in den in-ternationalen Rahmen gehen, da wir die SPÖ mit vielen euro-päischen sozialdemokratischen Parteien vergleichen können. Ich war in meiner Zeit als Bundesgeschäftsführer bei der Ge-neralsekretärin der schwedischen Arbeiterpartei in Stockholm zu Besuch und wir haben uns über sozialdemokratische Ziel-setzungen unterhalten. Sie kam zu dem Schluss, was für VOL-VO und SAAB gut ist, ist auch für die schwedische Sozialdemo-kratie gut. Dabei ist es sicher eine wichtige Frage, was heute links ist. Ich bin nie ein Freund großer Dogmen gewesen und habe Linkssein immer als etwas sehr Dynamisches gesehen, weil man sich zeitlich anpassen muss. Mein Links-Begriff ist eher einer, der bei Bruno Kreisky beheimatet ist, weil Kreis-ky ein extrem moderner und zeitgemäßer Mensch war. Aber es fehlt uns heute sicherlich der rote Faden: Was ist links? Ist es links, wenn man umweltbewegt und ökologieorientiert ist? Ist es links, wenn man, was gut und richtig ist, Maßnahmen setzt, um die Armut zu bekämpfen? Ist es links, wenn man für eine gerechte Einkommensverteilung eintritt? Natürlich sind das alles wichtige Facetten, aber das eine Generalkonzept, das in Madrid, Wien, Berlin, Kopenhagen usw. als links gelten könnte, gibt es im Moment nicht.A. B.: Wenn du deinen Links-Begriff als „bei Bruno Kreis-ky beheimatet“ siehst, ist eines der entscheidenden Kernthe-men das der sozialen Ungleichheit, die sich seit der Ära Kreis-ky wieder sehr zugespitzt hat. Als Pädagoge stellt sich mir in diesem Zusammenhang die Frage, warum junge Menschen wie vor 40 Jahren immer noch zwischen Hauptschule und Gymnasium getrennt werden. Wäre hier nicht der neuralgi-sche Punkt einer Bildungspolitik, die gute Chancen hätte, die Wähler*innen wieder zur SPÖ zurückzuholen?G. S.: Die Sozialdemokratie hat – solange ich zurückden-ken kann – für die Gesamtschule der 10- bis 14-Jährigen ge-kämpft, doch solche tiefgreifenden strukturellen Veränderun-gen benötigen eine Mehrheit in der Bevölkerung, die bisher nicht gegeben war. Im Verfassungsreformwerk von 1962 wur-de beschlossen, dass Fragen der Schulorganisation in Öster-reich Zweidrittel-Materie sind. Das ist erst vor wenigen Jahren durch eine Änderung der Bundesverfassung gelockert worden. Wir haben also von den 1960er-Jahren weg eine bildungspoliti-Wir müssen die Klassen immer wieder in Frage stellen …Die ZUKUNFT hat GERHARD SCHMID, den Bundesbildungsvorsitzenden der SPÖ, am 9. Juni 2021 zu einem Gespräch in der Wiener Bildungsakademie eingeladen. ALESSANDRO BARBERI und HEMMA PRAINSACK unterhalten sich mit ihm u. a. über die Zukunft der ZUKUNFT, soziale Ungleichheit im Bildungsbereich, die Probleme der Digitalisierung und die Aktualität von Bruno Kreiskys Klassenbegriff … 


 ZUKUNFT | 19 sche Lage, die strukturelle Veränderungen erschwert. Obwohl Du heute keine seriösen Erziehungswissenschaftler*innen oder Entwicklungspsycholog*innen mehr finden wirst, die sagen, dass die Trennung der Bildungswege mit dem zehn-ten Lebensjahr nicht viel zu früh ist. In Österreich ist das aber eine einzementierte Materie.Es ist uns 1968 gelungen, erste Schulversuche durchzu-bringen, die aber mit zehn Prozent des Regelschulwesens li-mitiert sind. Aber die SPÖ hat es in Wirklichkeit nie geschafft, dafür eine Mehrheit zu gewinnen und das Gymnasium durch etwas anderes zu ersetzen. Wir haben aber versucht, die Din-ge besser zu machen und da ist zum Beispiel unter Fred Si-nowatz auch viel passiert. In den 1970er-Jahren gab es einen Aufholprozess. Die große politische Ansage von Kreisky und Sinowatz war: in jedem politischen Bezirk eine berufsbil-dende höhere Schule. Anfang der 1970er-Jahre war das noch eine Utopie, die dann aber tatsächlich realisiert wurde. In der Amtszeit von Sinowatz wurden in Österreich mehr höhe-re Schulen errichtet als in der Zeit von 1900 bis Anfang der 1970er-Jahre.Außerdem hat man versucht auf der inhaltlichen Ebene, wo keine Zweidrittelmehrheit notwendig war, Veränderun-gen herbeizuführen. Ich denke an den Beginn der politischen Bildung in den 1970er-Jahren, als wir den Zeitgeschichte- und Sexualkunde-Koffer im Gepäck hatten. Im universitären Bereich war die Situation eine ähnliche: Dort hat man jenen Teil des Universitätssystems, der sich gerade in den 1960er-Jahren deutlich zu Wort gemeldet hat und der unterrepräsen-tiert war, nämlich den Mittelbau der Universitäten, gefördert und in die Strukturen hineinbefördert. Die Drittelparität wäre ein Beispiel dafür, die wurde aber leider wieder zurückgefah-ren – und es gab keine große Gegenbewegung.A. B.: Was ist in diesem Zusammenhang Deine Erinne-rung an die Rolle der ZUKUNFT in Bezug auf bildungspoliti-sche Entwicklungen seit ihrem Bestehen 1946?G. S.: An die ZUKUNFT gibt es viele gute Erinnerungen, weil sie ein unverzichtbarer und wesentlicher Teil des politi-schen Spektrums war. Die sozialdemokratische Partei war von ihrer ersten Stunde an eine Bildungsbewegung, und daher war der intellektuelle Diskurs ganz wichtig. Es gab drei wichti-ge Medien: die Arbeiter-Zeitung, die ZUKUNFT und Die Frau als Zentralorgan der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Natürlich war die Arbeiter-Zeitung eine Parteizeitung in einer Aufmachung, wie das heute schwer möglich wäre, aber sie war gleichzeitig auch ein Organ des intellektuellen Diskur-ses und das muss immer in Zusammenhang mit der ZUKUNFT gesehen werden. Für einen gebildeten Parteifunktionär war es in der Vergangenheit ein Muss, dass er die ZUKUNFT abon-niert und auch gelesen hat. Es bot sich auch die große Chan-ce für viele Funktionär*innen, dass, wenn sie einen entspre-chend qualitativen Beitrag leisten konnten und wollten, den auch in der ZUKUNFT leisten durften. Diese Möglichkeit hat es natürlich auch gegeben. So gesehen war die ZUKUNFT immer ein unverzichtbares Diskussionsorgan, das wir wieder näher an die sozialdemokratischen Bildungsorganisationen und die Par-tei heranführen sollten.Was mir an der ZUKUNFT immer imponiert hat, war, dass sie diesen umfassenden Bildungsbegriff vertreten hat. Das muss auch ins Bildungssystem transportiert werden, und wenn wir Verantwortung tragen, können wir das auch umsetzen: Ein humanistisches Bildungsideal realisieren, das heißt, Ver-netzung von Bildungsprozessen mit Kunst und Kultur, den Dialog zwischen Natur-, Geistes-, Kultur- und Sozialwissen-schaften pflegen, keine Widersprüche dort dulden, wo es sie nicht gibt, sondern vor allem zu den einzelnen Disziplinen die Brücken bauen und Verständnis für viele Dinge in der Ge-sellschaft schaffen. Genauso gehören Sport und andere gesell-schaftliche Bereiche dazu – so ein Bildungsorgan muss eine sehr breite Wirkung haben.Gerhard Schmid© Wikimedia Commons


 20 | ZUKUNFT WIR MÜSSEN DIE KLASSEN IMMER WIEDER IN FRAGE STELLEN … INTERVIEW MIT GERHARD SCHMIDA. B.: Die ZUKUNFT und die SPÖ waren immer einer welt-bürgerlichen Allgemeinbildung verbunden. Im 19. Jahrhun-dert spielten Arbeiter*innenbildungsvereine eine große Rolle, nur wurden inzwischen die Volkshochschulen ein wenig verges-sen. Grundlegend war ursprünglich der Gedanke, eine Ge-genkultur zu den Universitäten aufzubauen, aber mittlerweile ist auch in der SPÖ eine Top-Down-Mentalität eingekehrt, die uns eigentlich von dem, was man früher auch „proletarischen Instinkt“ genannt hat, weggebracht hat.G. S.: Die Volkshochschulen haben in der Vorkriegszeit, oder in der vorfaschistischen Zeit, ganz großartige Dinge ge-leistet. Das hat zwar beispielsweise rechtsstehende und natio-nale Professor*innen in Wien damals nicht erreicht, aber die, die in der Mitte, fortschrittlich liberal oder sozialdemokratisch orientiert waren, sind am Abend in die Volkshochschulen  am Stadtrand gegangen und haben dort populärwissenschaftlich verschiedenste Disziplinen vertreten. Allein wenn ich mir die Geschichte der Wiener Urania ansehe, wo Sigmund Freud ge-lehrt hat, wo es Vorträge mit Albert Einstein gegeben hat, das war damals eine Selbstverständlichkeit.A. B.: Solange die sozialistische Partei tatsächlich Arbeitnehmer*inneninteressen vertreten hat, gab es diese Di-alektik zwischen dem, was früher bürgerliches Wissen war, und dem Herzschlag der Arbeiter*innenbewegung. Könn-ten die Volkshochschulen sich nicht wieder als ein Ort zeigen, an dem hochstehende, weltbürgerliche und weltproletarische Bildung nicht nur populär präsentiert wird, sondern wo mit diesem Wissen auch wirklich gearbeitet und freie Forschung ermöglicht wird?Hemma Prainsack: Ich denke, wir haben in der jetzigen Ausnahmesituation mit dieser schweren, tiefgreifenden Krise die Möglichkeit, den Menschen Bildung im Erwachsenenbe-reich wieder nahebringen zu können. Das Konsumverhalten hat sich jedoch im Vergleich zu früher komplett verändert: Die vielfältigen Angebote der Vergnügungskultur sind infla-tionär vorhanden, so dass Zeit und Motivation sich weiter-zubilden, geringer geworden sind. Es muss bewusstgemacht werden, warum Bildung eigentlich so wichtig für jeden Ein-zelnen ist, was für einen wesentlichen Wert sie für jeden selbst hat. Dazu brauchen wir große Vorbilder und Anreize, sonst verbringen Menschen ihre Abende mit Netflix, im Internet oder sonst wo – und nicht in einer Diskussion miteinander. Der rasante technologische Wandel, den wir derzeit durchle-ben, hat auch für eine große Diskrepanz gesorgt: Digitalisie-rung, Automatisierung und Technologisierung schreiten mit derartiger Rasanz voran, dass wir Bürger*innen kaum nach-kommen oder den Wandel verstehen. Es ist eine ganz wich-tige europäische Herausforderung, hier den Menschen auch die Weiterbildung und die Instrumente zum Verstehen dieses Wandels zu verleihen.A. B.: Von der Tradition her war die Arbeiter*innen-bewegung seit dem Maschinensturm eigentlich nie techno-logiefeindlich. Es war immer eine neutrale Frage, bei der es darum ging, wem die Maschine gehört. Auch die aktuellen Debatten zum Digitalen Humanismus zeigen, dass es inzwischen wieder um den Menschen selbst geht …G. S.: Eines ist sicher: Digitalisierung ist ein zentrales Zu-kunftsthema – kaum ein Wort wird derzeit so häufig benutzt, ständig heißt es, man muss Leader werden bei der Digitalisie-rung oder Digitalisierungshauptstadt – aber was ist das? Was versteht man darunter? Ich sehe zum Beispiel Leute, junge ge-nauso wie alte, die hilflos in einem Bankfoyer stehen und nicht wissen, was sie dort mit den Maschinen machen sollen. Ban-ken, aber auch die öffentliche Hand, lagern Arbeitsprozesse, zum Teil im Sinne von Ressourcenmanagement oder -einspa-rungen, auf die Endverbraucher*innen, die Kund*innen oder Bürger*innen aus. Früher ging man mit seiner Steuererklä-rung zum Finanzamt, hat sich angestellt, einen Eingangsstem-pel darauf bekommen und sie abgegeben. Heute geht man mit der Bürgerkartenfunktion über finanzonline und macht im Prinzip alles selbst. Das kann natürlich ein Vorteil sein. Man darf aber nicht vergessen: Es gibt da draußen viele Menschen, die das nicht können.H. P.: Ich sehe da einen großen Auftrag für die Bildungs-politik, denn jede Bürger*in hat das Recht, die Digitalisie-rung zu verstehen. Man muss den Menschen in diesem Be-reich Kenntnisse und Orientierung ermöglichen, damit sie auch teilhaben und sich ihrer politischen, bürgerlichen Ver-antwortung bewusstwerden können.G. S.: Wir müssen auch sehen, dass wir diesen weltweiten, internationalen Trend der Digitalisierung nicht aufhalten kön-nen, so realistisch müssen wir sein. Aber man sollte darauf ach-ten, dass gerade in den Bildungsprozessen viele analoge, soziale Phasen integriert werden. Nicht alles ist durch Videokonferen-zen ersetzbar. Die Sozialdemokratie muss dabei fördern und unterstützen, nämlich in dem Sinne, dass jedem Kind, unab-hängig von der Herkunft, der Zugang zu Hardware und Soft-


 ZUKUNFT | 21 ware ermöglicht wird. Außerdem müssen Fördermaßnahmen angeboten werden. Eine große Aufgabe der Volkshochschulen wäre analog dazu die Erwachsenenbildung in diesem Bereich. Hier brauchen wir Angebote, mithilfe derer sich auch Men-schen im fortgeschrittenen Alter mit diesen Technologien ver-traut machen und am Puls der Zeit bleiben können. Und – das wäre quasi der dritte Punkt – es muss parallel dazu durch Serviceeinrichtungen sichergestellt werden, dass sich auch das Segment der Menschen, das mit diesen Dingen nicht vertraut ist, einen Kontoauszug oder Ähnliches organisieren kann. Es muss eben ein großes Thema der Sozialdemokratie bleiben, für wen wir eigentlich da sind – und das nicht Top-Down, son-dern auf Augenhöhe. Im Bereich Digitalisierung sehe ich viele Chancen, aber nicht alle Chancen müssen zwingend ergriffen werden. Es geht auch hier darum, unseren alten Auftrag der sozialen Gerechtigkeit hochzuhalten.A. B.: Dabei stellt sich die Frage, wie wir zu den Men-schen zurückkommen, für die wir da sein wollen. Um die-se Menschen hat sich nämlich ab 1986, als der „Bärentaler“ [Anm.: Jörg Haider] die FPÖ übernommen hat, der Rechtspo-pulismus konstituiert. Und de facto fehlt uns, um das politi-sche System Österreichs in der Mitte zu halten, so etwas wie ein Linkspopulismus in dem Sinne, dass man auf die „ein-fachen Leute“ zugeht und das Prinzip der Volkssouveränität wieder ausspielt. Hätte es nicht bessere Strategien geben müs-sen, die rechtspopulistisch/faschistische und austrofaschisti-sche Allianz zu brechen?G. S.: Das ist ein Thema für eine Habilitation, falls das überhaupt machbar wäre… [lacht] … Es gibt viele Erklä-rungsmuster für die jetzige Situation. Zurzeit sehe ich nicht nur in Österreich eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Wahlen zeigen uns in ganz Europa ein ähnliches Bild, und in parla-mentarischen Demokratien sind diese Wahlen die Grundlage für den einzigen Faktor, der am Ende zählt: das Wahlergeb-nis. Der Souverän entscheidet darüber, welches Mandat Dir in der Politik zugewiesen wird, und was Du somit in der Poli-tik machen kannst. Im Moment weist dieser Souverän der So-zialdemokratie eine eher bescheidene Rolle zu. Wo war aber der große Bruch?Einen Erklärungsansatz dafür hat mir Martin Schulz ge-liefert. Er ist gelernter Buchhändler, der aus der Arbeiter-schaft kommt; Buchhändler*innen und Buchdrucker*innen waren klassische Berufe innerhalb der alten Sozialdemokratie, quasi die Gebildeten der Arbeiter*innenbewegung oder klei-nen Angestelltenschaft. Jedenfalls schilderte er Sektionsaben-de in deutschen Ortsorganisationen, wo er selbst Bürgermeis-ter war, bei denen anfänglich die Bauarbeiter*innen neben den Spitalsmitarbeiter*innen und neben den Gärtner*innen saßen und es wurde diskutiert. Dann besuchten aber Intellektuelle mit höherer Bildung diese Sektionsabende, diskutierten über Ador-no oder Habermas usw. – und plötzlich waren alle anderen aus dem Gespräch ausgeschlossen. Die Arbeiter*innen und Ange-stellten sind noch ein paar Mal gekommen und wurden nie wieder gesehen. Das ist eine vielleicht sehr einfache Erklärung.Ein kurzer Sprung zurück zur österreichischen Situation in den 1960er-Jahren stützt diese Erklärung: Bruno Kreisky ist 1967 Parteivorsitzender geworden, interessanterweise gegen die große Mehrheit der Wiener SPÖ, die damals ein konserva-tives Geflecht war. Josef Hindels hat immer gesagt, es gibt auf der ganzen Welt vier konservative Zentren: den Vatikan, den Kreml, die ÖGB-Zentrale und die SPÖ Wien. Kreisky musste sich also mit Hilfe der Bundesländer durchsetzen. Er wusste genau, dass sich die Gesellschaft in den 1960er-Jahren interna-tional in einem Umbruch befand. Die Nachkriegsgeneration hat gesagt: Es ist zum Wiederaufbau genug getan worden, es geht jetzt nicht nur um Wirtschaftswachstum, wir wollen aus-brechen, wir wollen freie Kultur, freies Leben, freie Musik, nicht mehr reglementiert sein – die Gesellschaft stand im Ein-fluss der Hippie-Bewegung, Woodstock usw.Das hat dazu geführt, dass Kreisky, um die Partei öffnen zu können, auch zunehmend Intellektuelle in die Partei ge-holt hat. Und dafür musste er die Fenster aufmachen und or-dentlich durchlüften. Ich erinnere zum Beispiel nur an diese Situation: Einer der damals aufmüpfigsten Künstler war Frie-densreich Hundertwasser, der splitternackt vor der damaligen Kulturstadträtin einen Kunstpreis als Zeichen des Protests zer-rissen hat. Ganz Österreich war in Aufruhr – der Bundeskanz-ler geht aber her, kauft sich ein Bild von Hundertwasser und hängt es ein paar Tage später ins Bundeskanzleramt. Das war typisch. So hat Kreisky einen ganzen Schweif von Intellektu-ellen aus dem universitären Bereich und aus der 68er-Bewe-gung in die Partei geholt: Künstler*innen, Intellektuelle, Me-dienleute … Auch innerparteilich führte das natürlich zu einem Wi-derhall. Es gab Gruppen, vor allem im VSStÖ, die plötz-lich mit neuen Themen und Inhalten kamen. So hat etwa  Michael Häupl als junger Mann das Ökologiethema in die SPÖ hineingetragen. Plötzlich waren da junge, gescheite, gebildete 


 22 | ZUKUNFT Menschen mit vielen neuen guten und weitreichenden Ide-en. Und diese Menschen haben dann innerhalb der SPÖ in den 1970er- und 1980er-Jahren ihren Aufschwung erlebt und in den folgenden Jahrzehnten höchste Funktionen beklei-det. Ohne diesen intellektuellen Schub gäbe es keine Fristenlö-sung und in der Bildungspolitik wären viele Schritte nicht ge-setzt worden. Und im Prinzip setzten sie auch diesen Weg der spannenden, modernen Themen fort. Aber dann kamen wir in den 1990er-Jahren an einen Punkt, an dem es der SPÖ nicht ausreichend gelungen ist, eine Brücke zwischen dieser intel-lektuellen Kraft der SPÖ und den Menschen zu bilden. Die-se Brücke hätte immer der ÖGB bzw. die FSG sein sollen, doch gerade die Gewerkschaftsbewegung erlebte in dieser Zeit vie-le Krisen; es gab zahlreiche strukturelle Veränderungen, die verstaatlichte Industrie wurde teilweise privatisiert u. Ä. Die FSG in der VOEST war eine Macht im Staat – der Betriebsrats-chef dort war eigentlich mächtiger als der Kanzler. Das waren mächtige Arbeiter*innenführer in den verstaatlichten Indust-rien und Werken. Und das hat es nicht mehr gegeben.Das heißt: Es gab eine soziologische Veränderung in der Struktur der Wähler*innen und es gab eine intellektuelle, wenn man so will, „Urbanisierung“ in der Partei. Und es ist uns nicht gelungen, die Brücke zu den Menschen zu schla-gen. Kreisky hat z. B. klar erkannt, dass es Aufgabe der SPÖ sein muss, den Menschen ihre Ängste zu nehmen – wenn ihr das gelingt, ist sie erfolgreich, wenn nicht, dann nicht. Rund um den EU-Beitritt gab es eine bemerkenswerte Situation in diesem Zusammenhang: Die Partei, die historisch am stärks-ten für den Beitritt plädierte, die FPÖ, zog sich plötzlich zu-rück, wendete um 180 Grad und war aus rein populistischen Motiven plötzlich der schärfste Gegner eines EU-Beitritts. Ein Drittel der Österreicher*innen stand der EU skeptisch gegen-über und dieses Drittel sollte abgeholt werden. Dann begann die rechtspopulistische Zeit des Jörg Haider, der mit einfachen Antworten gekommen ist, mit ganz einfachen Botschaften. Außerdem griff er die Sozialdemokratie dort an, wo sie am stärksten war: im Gemeindebau.Und nach einem zögerlichen Start waren sie dort auch schnell erfolgreich. Mein alter Freund, Rudi Gelbard, der im KZ war und im Leben furchtbares mitgemacht hat, einer der klügsten und belesensten Menschen, die ich kannte, hat mir dazu das Buch von Joseph Goebbels von 1926, Der Kampf um Berlin, nahegelegt – ein Buch aus einer Zeit, zu der die NS-DAP in Deutschland noch Wahlen schlagen musste. Darin findet sich eine propagandistische Anleitung an die Sturmscharen und an alle Nazi-Aktivist*innen, wie sie im Wedding, dem großen Arbeiter*innenviertel in Berlin, vorzugehen haben, um dort Fuß fassen zu können. Das beinhaltet folgende Schritte: Man geht mit den modernsten Methoden dorthin, das war damals der Lautsprecherwagen. Man greift den politischen Gegner an, egal ob es stimmt oder nicht – angreifen muss man. Und zwar dort, wo er am stärksten ist: Nicht in Neubau oder Mariahilf, sondern in Floridsdorf, in Simmering, in Favoriten, in der Do-naustadt – das ist der entscheidende Punkt. Und Haider hat im Wesentlichen dieses Konzept übernommen. Wir hatten keine entsprechenden Antworten. Das hat dazu geführt, wie Bern-hard Heinzlmaier und andere Meinungsforscher*innen mit ih-ren Sinus-Milieustudien seit Jahren zeigen, dass die SPÖ eigent-lich primär eine Partei der urbanen Oberschichten geworden ist, unter Berücksichtigung dessen, dass die traditionelle Gruppe der Wähler*innen noch existiert, sozialwissenschaftlich erkenn-bar, aber schrumpfend ist. Für Wien errechnete Heinzlmaier, dass die SPÖ am ehesten das oberste Drittel der Bevölkerung an-spricht, bezogen auf Bildung und Einkommen. Natürlich gibt es „nach unten hin“ noch die Reste der alten Strukturen, aber wir haben die Brücke dorthin verloren.Und jetzt komme ich zu dem Punkt, den Du angespro-chen hast: Man muss selbstverständlich ganz offen für jene Menschen eintreten, die unsere Hilfe brauchen. Als ich Bun-desgeschäftsführer war, bin ich auch viel in Österreich herum-gekommen, und wenn ich in Hietzing, meinem politischen Heimatbezirk, mit den Menschen gesprochen habe, war das immer anders, als wenn ich mit jemandem in Simmering ge-sprochen habe. Weil mir bei der U3-Station im Zentrum Sim-mering die Leute schon gesagt haben, mir ist das wurscht, was ihr da redet, ich will im Kühlschrank etwas drinnen haben. Und das ist der entscheidende Punkt. Deshalb habe ich auch – was den sozialpolitischen Bereich im Burgenland betrifft – meinen Respekt. Das Burgenland geht da einen vorbildlichen Weg! Die Frage des Mindestlohns vertritt die Bundespartei-vorsitzende Pamela Rendi-Wagner auch, das ist sinnvoll, denn wir müssen in die Kaufkraft gehen. Auch den Corona-Tau-sender, den Rendi-Wagner vorgeschlagen hat, halte ich für eine gute Idee. Generell sollten punktuelle Zuwendungen, wo sie notwendig sind, auch gewährt werden. Wir müssen für die Menschen im Gemeindebau da sein, für alle. Und gerade für die, die uns am notwendigsten brauchen, für die müssen wir am stärksten da sein.H. P.: Weil du den Mindestlohn angesprochen hast: Es ist auch eine Überlegung wert, ihn mit der Bildungspolitik zu WIR MÜSSEN DIE KLASSEN IMMER WIEDER IN FRAGE STELLEN … INTERVIEW MIT GERHARD SCHMID


 ZUKUNFT | 23 verschränken: Menschen bekommen einen Mindestlohn, es gibt Arbeitszeitverkürzung und für die restliche Zeit soll es auch Weiterbildung für alle geben. Das wäre eine große Be-reicherung im geistigen Bereich …G. S.: In Österreich sind wir da ein wenig restriktiver, aber in Schweden gibt es z. B. keine Grenzen bei der Förderung von Erwachsenenbildung. Man kann dort auch noch mit 60 eine Förderung für eine Umschulung und Ähnliches bekom-men. Aber in unserer Denkwelt hat die Bildungslandschaft oft mit dem Ende der Universität aufgehört. Es geht um Volks-bildung, dort können die Omas noch irgendeinen Spanisch-Kurs machen, für die Opas ein Funkkurs, damit sie mit der Karibik oder Asien in Verbindung sind … Das ist zwar alles in Ordnung, aber wir leben heute in einer Zeit, wo ein junger Mensch, wenn er ins Bildungssystem oder vor allem ins Be-rufsleben einsteigt, wissen muss, dass er im Laufe seines Le-bens seinen Beruf drei, vier, fünf Mal grundlegend verändern wird müssen. Und das nicht nur in ähnlichen Berufen.A. B.: Wir haben einen schönen Bogen von prinzipiell bildungspolitischen Fragen über die Geschichte der ZUKUNFT hin zur politischen Geschichte der letzten 30 Jahre und dem damit verbundenen Problem der „einfachen Leute“ gezogen. Wenden wir nun unseren Blick in die Zukunft: Was ist für Dich die Zukunft der ZUKUNFT, welche Rolle oder unterstüt-zende Möglichkeit würdest Du Dir von unserer progressiven Diskussionszeitschrift wünschen?G. S.: Ich würde mir für die Zukunft der Zeitschrift ZU-KUNFT wünschen, dass alle Bildungsfunktionär*innen in Ös-terreich (und derer gibt es viele) diese Zeitung in Händen halten und dass jede Bezirksparteiorganisation mehrere Abon-nements abschließt. Das sollte eigentlich zu einer Selbstver-ständlichkeit werden. Abgesehen davon, dass ihr jetzt wieder eine tolle Zeitung macht, ist es auch wunderbar, dass die ZU-KUNFT Diskussionsveranstaltungen organisiert, bei denen ein Programm geboten wird, das über den üblichen Tellerrand der Partei hinausreicht.A. B.: Abschließend würde ich gerne wissen: Wo siehst Du jetzt die Zukunft unserer Bewegung, wo siehst du die Zu-kunft der SPÖ?G. S.: Das ist eine sehr schöne Frage, die aber fast die Par-teivorsitzende im Rahmen ihres Referats am Parteitag lö-sen müsste. Ich bin ein Kind der Kreisky-Zeit und nicht nur das, ich habe über Kreisky dissertiert. Und es gelten dieselben Grundsätze, die Kreisky in seinem politischen Testament for-muliert hat, auch wenn heute einiges moderner, angepasster ist, die Kultur sich verändert hat oder methodische Adaptio-nen notwendig sind: Wir leben in einer Zeit, in der die sozi-alen Ungleichheiten unverhältnismäßig größer werden. Wenn man das Volksvermögen als Torte betrachtet, ist eine deutliche Zunahme des Finanzkapitals sichtbar, das schon jetzt bei 70 % Anteil am gesamten Volksvermögen liegt. Nur wenige Pro-zentpunkte gehen an die privaten Haushalte. Und wenn man die obersten Zehntausend abzieht, bleiben dann nur mehr die Bröseln der Torte übrig. Erfahrungsgemäß müssen diese Brö-sel aber die Torte finanzieren! Und das ist ein Spiel, das die Sozialdemokratie nicht akzeptieren kann. Was ich jetzt sage, ist im Moment in der Sozialdemokratie überhaupt nicht po-pulär. Kreisky hat gesagt, und da gebe ich ihm zu tausend Pro-zent recht: Wenn es der Sozialdemokratie nicht gelingt, die Klassen in Frage zu stellen, dann wird sie scheitern. Und heu-te ist es schon verpönt, das Wort „Klasse“ in den Mund zu nehmen. Natürlich verändern sich die Klassen, tragen immer ein anderes „Gewand“, sind immer unterschiedlich – Kreisky sagt auch, dass man das erkennen muss. Dennoch müssen wir die Klassen immer wieder in Frage stellen und bekämpfen … H. P. und A. B.: Lieber Gerhard, wir danken Dir für die-ses Gespräch.Der ehemalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer  GERHARD SCHMID ist aktuell u. a. Bezirksparteivorsitzender in Hietzing, Bundesbildungsvorsitzender der SPÖ sowie Mitglied des Wie-ner Gemeinderates und Landtags. Schmid ist Autor zahlrei-cher Publikationen und unterrichtet regelmäßig an der Uni-versität Wien.HEMMA PRAINSACK ist Redakteurin der ZUKUNFT, war im Produktionsbetrieb beim Öster­reichischen Rundfunk sowie am Theater im Bereich Regie sowie  Videogestaltung tätig und arbeitete in der Generaldirektion des ORF. Der Forschungsschwerpunkt ihres Doktorstudiums auf dem Gebiet der Filmgeschichte liegt im Umbruch zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus.ALESSANDRO BARBERI ist Chefredakteur der ZUKUNFT, Bildungswissenschaftler, Medien­pädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er in der SPÖ Landstraße aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/


 24 | ZUKUNFT Deckblatt DIE FRAU  Sozialdemokratische Monatsschrift für Frauenfragen. Politik, Wirtschaft und Literatur - Nr. 11 / 42. Jahrgang / November 1933


 ZUKUNFT | 25 75 JAHRE ZUKUNFT


 26 | ZUKUNFT ZUR RENAISSANCE DER SOZIALDEMOKRATIE IN ÖSTERREICH VON ALEXANDER KOPPENSTEINERI.  DEN HERRSCHENDEN DISKURS VERÄNDERNEs wird oft die Frage gestellt, wofür die Sozialdemokra-tie eigentlich steht, was ihr USP (Unique Selling Proposition) ist. Dieser Begriff, der aus der Welt des Marketing kommt, ist an sich schon verräterisch. Er zeigt, dass die Floskeln der Ökonomie den Zeitgeist bereits völlig infiltriert haben. Diese Ökonomie, die in der Form, wie sie gegenwärtig hauptsäch-lich betrieben wird, nicht Wissenschaft, sondern Mythologie ist, kommt in Gestalt objektiver Wahrheit daher, genau das macht sie so gefährlich. Stephan Schulmeister hat in seinem Buch Der Weg zur Prosperität sehr klar die Machtübernahme der neoliberalen Ideologie nachgezeichnet, ebenso wie er an-schaulich deren verheerende Folgen dargelegt hat (Schulmeis-ter 2018).Die Befreiung des herrschenden Diskurses von der Dominanz der Ökonomie ist eine der großen Herausforderungen, die die Sozialde-mokratie meistern muss, wenn sie selber wieder die politische Agen-da bestimmen will.Wenn die SPÖ den herrschenden Diskurs dieser Art von ökonomischer Ideologie überlässt und viele ihrer Annahmen stillschweigend akzeptiert, dann kann sie nicht gewinnen, denn gerade die türkise ÖVP ist jene Partei, für die der neoli-berale Smog Wind in den Segeln ist. Wenn man die neolibe-rale Ideologie angreifen will, dann darf man das nicht nur mit allgemeinen und abstrakten Aussagen tun, sondern konkret und plastisch. Bei Themen wie der „Erhöhung des Arbeitslosengel-des“, genügt es nicht zu sagen, eine solche würde den Kon-sum ankurbeln und dass die Politik der Regierung unzurei-chend, unsozial und planlos ist. Man sollte es aussprechen, dass die ÖVP eine klare Motivation hat, die Arbeitslosen unter Druck zu setzen.Die ÖVP – die türkise mehr als je zuvor – vertritt die (gro-ßen) Unternehmen, deren Interesse es ist, die Position der Arbeitnehmer*innen zu schwächen. Je mehr die Menschen unter dem Zwang stehen, eine Arbeit annehmen zu müssen, je mehr sie Angst haben müssen, in soziale Not zu geraten, wenn sie arbeitslos werden, umso schwächer ist ihre Position bei den Lohnverhandlungen. Die ÖVP betreibt Interessenpoli-tik für das Kapital, und gegen die Arbeitnehmer*innen – und zwar auch dann, wenn es gegen die Arbeitslosen geht.Zur Renaissance der Sozialdemokratie in ÖsterreichIn seinem Beitrag beschäftigt sich ALEXANDER KOPPENSTEINER mit möglichen Strategien der Sozialdemokratie, um den vorherrschenden neoliberalen Diskurs grundsätzlich herauszufordern. Er sieht dies als Voraussetzung dafür an, dass die Sozialdemokratie wieder eine bestimmende Kraft werden kann.STEPHAN SCHULMEISTER DER WEG ZUR PROSPERITÄTSalzburg: Ecowin480 Seiten | € 28,00ISBN: 978­3711001481Erscheinungstermin: Juni 2018)


 ZUKUNFT | 27 Die Sozialdemokratie muss der Mehrheit der ganz normalen Men-schen klarmachen, dass die ÖVP gegen sie Politik macht, weil sie je-mand anderes Interessen vertritt.Für die SPÖ hingegen gilt es, das letztlich gemeinsame In-teresse zwischen den Arbeitnehmer*innen und den Arbeits-losen herauszustreichen – wenn man mobilisieren will, dann muss man Identitäten schaffen und Solidarisierung fördern. Es ist falsch so zu tun, als ob es sich bei der Politik nur um die optimale Lösung von Sachfragen handeln würde. Natür-lich beinhaltet Politik auch das. Aber ebenso geht es um Ent-scheidungen über Werte und über die Vertretung von Interes-sen. Ziel der Sozialdemokratie muss es wieder sein, politisches Bewusstsein zu schaffen. In Fragen der Verteilungspoli-tik kann man nicht Everybody’s Darling sein. Eine polemi-schere Art der Behandlung eines Themas kann sogar eine Art von Aufklärungsarbeit sein, die notwendig ist, weil es natür-lich im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen und ihrer po-litischen Vertreter*innen ist, die realen Zusammenhänge zu verschleiern.Ich glaube, dass die meisten in der Sozialdemokratie die Frage nach ihren Werten ganz gut beantworten könn-ten und wissen, wofür die Partei steht. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind Begriffe, die wohl allen Funktionär*innen geläufig sind und die in der Welt von heute nichts von ihrer Bedeutung verloren haben. Sie liefern einen guten Kompass für die Behandlung konkreter Problemstellun-gen und gesellschaftlicher Fragen, auch wenn keineswegs alle genau das gleiche unter diesen Worten verstehen.Was aber ist das das große Thema der Sozialdemokratie, das sie mit ihren Werten bearbeiten muss? Was ist die große Fra-ge, die so in den Vordergrund treten kann, die so dominant in der öffentlichen Diskussion, in den Köpfen der Menschen werden kann, dass sie der Sozialdemokratie ebenso Rücken-wind verleiht, wie das Thema Klimaschutz den Grünen und das der Migration der ÖVP Rückenwind verliehen hat? Oder anders gefragt: welches Thema kann zu einem solchen gemacht werden?Vielleicht weist der Slogan, den die britische Labour- Party unter Jeremy Corbyn wieder aktualisiert hat, den Weg, um dieses Thema zu finden: „For the Many, not the Few“. Es ist im Empfinden vieler Menschen latent verankert, dass „die Reichen immer reicher werden“ und dass „die Politik nur für die da oben gemacht wird“. Viele, nicht nur die sozial Be-nachteiligten, wissen, dass etwas nicht stimmt, dass die ganz normalen Menschen viel leisten müssen, dass sie kämpfen und unter Druck stehen, dass ihre Mühen aber nicht belohnt wer-den, weil sich die Politik in erster Linie um die Interessen ei-ner kleinen, sehr reichen und mächtigen Schicht kümmert.Dieses latente Gefühl muss aber adressiert werden, es muss ange-sprochen und aktualisiert werden, damit es sich in Empörung und poli-tische Aktivität ummünzt.Damit muss es gelingen, jene andere Adressierung zu überlagern und zu ersetzen, die der Masse das Gefühl gibt, doch irgendwie dazuzugehören, weil ihre Gegner*innen die Ausländer*innen, die Migrant*innen und die sogenannten Sozialschmarotzer*innen sind. Plakativ gesprochen: Die ÖVP schützt die Benkos, Pierers, Ortners, die Mateschitz’ und Co, und führt der Bevölkerung stattdessen die Pfleger*innen aus dem Osten als Objekt des Neids vor, um diesen dann die Fa-milienbeihilfe zu kürzen. Oder man diskutiert über Sozial-missbrauch durch die e-card und suggeriert, dass sich Men-schen eine medizinische Behandlung erschleichen, die ihnen nicht zusteht. Man treibt ständig einen Feind durchs Dorf, um den Menschen das Gefühl zu geben, man stünde auf ihrer Sei-te und um gleichzeitig diejenigen zu schützen, deren Interes-sen man tatsächlich vertritt.Es genügt nicht, diese Dinge im Hintergrund zu wissen und zu verstehen, man muss sie für alle transparent machen.Es ist ein Faktum, dass sich Vermögen zunehmend in den Händen Weniger konzentriert und die Ungleichheit zu-nimmt – weltweit, aber auch in Österreich. Und es ist nach-weisbar, dass egalitärere Gesellschaften in nahezu allen wesent-lichen Aspekten besser abschneiden als sehr ungleiche (vgl. Wilkinson/Pickett 2009). Wenn also eine gewaltige Tendenz zu wachsender Ungleichheit und zur Vermögenskonzentrati-on zu sehen ist, dann ist es die wesentliche Aufgabe der So-zialdemokratie, dem entgegenzuwirken und für ein mehr an Gleichheit einzutreten.Dieses Eintreten kann aber nur einen Mobilisierungseffekt haben, wenn die Sozialdemokratie die Ungleichheit ins Bewusstsein bringt, wenn sie Empörung erzeugt, und wenn sie das bewusst gestreute Mär-chen entkräftet, dass es in Österreich ohnehin sehr viel Umverteilung gibt und der Unterschied zwischen Arm und Reich nicht sehr groß ist. Die Empörung muss die Vielen erfassen, auch jene, die durchaus in ei-ner passablen materiellen Situation sind. Sie muss mindestens 90 % 


 28 | ZUKUNFT der Bevölkerung erreichen. Keinesfalls darf die SPÖ allein als die Par-tei der sogenannten sozial Schwachen gesehen werden. Dies würde die Identifikation mit ihr erschweren, denn niemand möchte gerne zu den sozial Schwachen gehören.Dabei geht es nicht nur um materielle Lebensumstände al-leine, sondern es ist die Demokratie selbst, die auf dem Spiel steht. Zu Zeiten Bruno Kreiskys galt es, alle Lebensbereiche mit Demokratie zu durchfluten. Heute ist die Demokratie be-droht von der überwältigenden Macht des Kapitals. Während es weitgehend bekannt ist, dass Wahlergebnisse in den USA im Wesentlichen davon abhängen, wer wie viel Geld vermö-gender Spender*innen einsammeln kann, ist das Kaufen von Politik durch vermögende Interessensgruppen in Österreich durch die türkise ÖVP zum System geworden. Dabei geht es gar nicht darum, ob im Einzelfall der Tatbestand der Bestech-lichkeit gegeben ist, wie er durch eine eindeutige Verbindung zwischen einer konkreten Spende und einer konkreten po-litischen Maßnahme verwirklicht sein könnte. Entscheidend ist, dass Großspender*innen in eine generell für sie günsti-ge Politik investieren. Es mag ziemlich banal wirken, wenn man sagt, dass Großspender*innen sich im Gegenzug für ihre Spenden auch eine entsprechende Politik wünschen. Reflek-tiert man diese Aussage allerdings, so tritt einem klar vor Au-gen, dass damit letztlich die Demokratie selbst in Frage ge-stellt wird. Die Stimme des Bauarbeiters im Wahllokal zählt wenig im Vergleich zur Spende des Bauunternehmers Ort-ner an die ÖVP, die Stimme einer Ärztin oder eines Kranken-pflegers ist ein Nichts gegen die Spenden von Privatklinik-Betreiber*innen an ÖVP und FPÖ.Bei der Beeinflussung der Politik durch Geld geht es nicht so sehr um konkrete Gegenleistungen, obwohl auch das nicht auszuschließen ist. Es geht vor allem darum, wie die politi-sche Agenda definiert wird, was als politisch wünschenswert und möglich dargestellt wird, und was nicht. So sagt der tür-kise Finanzminister Blümel im Gespräch mit dem Kurier vom 23. August 2020, dass man jetzt jedenfalls keine Verteilungs-debatte brauchen könnte. Natürlich begründet er das damit, dass eine solche Debatte wirtschaftlich schädlich wäre, weil es Investor*innen verschrecken würde, die eine stabiles Umfeld bräuchten etc.Die Wahrheit hinter diesen Aussagen ist aber simpel. Wer von Benko, Pirer und Co Geld bekommt, der spricht sich na-türlich gegen Verteilungsdebatten aus, ganz einfach, weil Pi-rer, Benko und Co keine Verteilungsdebatte wollen, denn eine solche würde ja nicht zu ihrem Vorteil sein. Natürlich kann Blümel das nicht so sagen, daher tut er so, als ob es auch im Interesse der Arbeitnehmer*innen, ja überhaupt aller Men-schen in Österreich wäre, wenn es keine Verteilungsdebatte gibt – geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Diese Sichtweise, dass das Wohl des Kapitals letztlich dem Wohl aller dient, wird auch von diversen Instituten vertreten und ist seit einem halben Jahrhundert das herrschende Dogma der soge-nannten Wirtschaftswissenschaften.Ein wunderbares Beispiel dafür, wie die neoliberale Ideo-logie sich mit dem Kostüm der Wissenschaft verkleidet, um den Ruf nach einer gerechteren Verteilung abzuwehren, fin-det sich in einem Gespräch zwischen der Leiterin des Momen-tum Instituts, Barbara Blaha, und dem Ökonomen und nun-mehrigen Arbeitsminister Martin Kocher, das in der Wiener Zeitung vom 20.01.2018 abgedruckt wurde.In Zuge des Gesprächs thematisiert Blaha die Lohngerech-tigkeit und meint, es werde zu wenig darüber gesprochen, „was wie viel wert ist“. Sie verweist darauf, dass die unan-genehmsten, anstrengendsten und gefährlichsten Arbeiten oft am schlechtesten bezahlt sind und bringt das Thema dann mit einer plakativen Frage auf den Punkt: „Warum verdient je-mand, der den Müll abholt, um so viel weniger, als jemand, der an der Börse spekuliert?“Diese Frage rüttelt so stark an den Selbstverständlichkei-ten des herrschenden Diskurses, sie überschreitet so sehr die Grenzen des Spielfelds, innerhalb dessen man diskutieren darf, dass sich Kocher aufgerufen fühlt, einzuschreiten.„Da muss ich als Ökonom kurz eingreifen. Eine unserer Grunderkenntnisse ist, dass der Wert durch die Gesellschaft bemessen wird. Offenkundig wird der Wert von Pflege ge-ring bemessen, weil sie kaum spezifische Fähigkeiten erfor-dert, und es zu viel Angebot am Arbeitsmarkt gibt.“Auf die schlagfertige Antwort Blahas, warum man die Pfleger*innen dann aus der Slowakei holen müsse, antwortet Kocher insistierend, dass der Wert von Arbeit eben durch die Käufer*innen bemessen wird und ihn die Politik nicht direkt beeinflussen kann. „ … er wird durch Angebot und Nachfra-ge bestimmt“.Schließlich bemerkt der Ökonom mit der Autorität des Wissenschaftlers: „Man kann ökonomische Gesetze schlecht ZUR RENAISSANCE DER SOZIALDEMOKRATIE IN ÖSTERREICH VON ALEXANDER KOPPENSTEINER 


 ZUKUNFT | 29 finden, aber schwer außer Kraft setzen.“ Kocher kann den Hinweis auf himmelschreiende Ungerechtigkeiten nicht da-durch parieren, dass er sie nicht ungerecht findet, er kann nicht sagen, dass das System in Ordnung sei, weil es eben im Interesse der Reichen und Mächtigen ist. So eine Position wäre nicht vertretbar, sie würde einen Aufschrei der Empö-rung auslösen. Also muss das System mit dem Hinweis auf „objektive Fakten“ verteidigt werden. Die ökonomischen Gesetze sind einfach so. Man kann darüber jammern, aber man kann sie nicht ändern, sie sind Gegebenheiten, wie das Wetter. Es ist bitter, wenn es regnet, aber was soll man ma-chen, es wäre töricht von der Politik zu verlangen, dass sie die Sonne scheinen lassen soll. Barbara Blaha, um noch einmal auf das zitierte Gespräch zurückzukommen, setzt dem eine eigentlich simple, unmit-telbar evidente aber vom herrschenden Diskurs verdräng-te Wahrheit entgegen: „Das System wird von Menschen gemacht und kann von ihnen verändert werden.“ Die zuneh-mende und unerträgliche Ungleichheit wird von den Reichen und Mächtigen mit einem propagandistischen Trommelfeuer verteidigt, das die Menschen davon abhält, unhaltbare Zustän-de ändern zu wollen, indem ihnen suggeriert wird, dass es sich um Naturgesetze handelt. Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit. Sie ist es auch im Krieg der neoliberalen Ideologie gegen die Mehrheit der Menschen und die Natur. Es ist daher höchste Zeit, die neoliberale Ideologie argumentativ frontal herausfordern.Um die öffentliche Diskussion zu dominieren und das gesellschaft-liche Denken im Sinne der Sozialdemokratie zu verändern, muss man die bestehenden Dogmen, die Narrative des Mainstreams und ihre Vertreter*innen direkt angreifen. Und man muss die laufenden Dis-kurse und Abhandlungen in einen veränderten Rahmen stellen und mit neuen Begrifflichkeiten ausstatten. Dafür gibt es viele Möglichkeiten und Gelegenheiten, die aber alle einer Linie folgen sollen: die Sozialdemokratie macht Politik für die Vielen, nicht für die Profitgier der Wenigen.Ich möchte dies anhand einiger Themenbereiche veranschaulichen:• ErbschaftssteuerEs genügt nicht zu sagen, dass die kleinen Eigenheimbesitzer*innen keine Angst vor einer Vermö-gens- oder Erbschaftssteuer haben müssen. Vielmehr gilt es klar auszusprechen, dass die ÖVP diese Leute vorschiebt, um die Superreichen zu schützen. Wenn Sebastian Kurz sagt, eine Vermögenssteuer bringe nichts, wenn man sie nur auf die wirklich Reichen begrenzt und man daher bald auch auf den Mittelstand zugreifen müsse, dann könnte man ihm entgegnen:Sie wissen, dass es falsch ist, was Sie sagen, aber sie müssen das tun, weil sie Ihre Geldgeber*innen schützen müssen. Ihre Freund*innen , die Ihre Partei bezahlen. Die erwarten sich natürlich etwas, und darum müssen Sie versuchen, die Mehrheit unserer Bevölkerung zu täuschen. Wir arbeiten für Österreich, Sie arbeiten für Benko und Pirer, das ist der Unterschied zwischen uns.Solche Aussagen ziehen natürlich einen Aufschrei nach sich und sorgen für Empörung, aber so wird ein Thema zum Thema. Man braucht manchmal die Provokation, um medi-al Gehör zu finden.•  Den herrschenden Leistungsbegriff in Frage stellenEine diplomierte Fachkraft der Gesundheits- und Kran-kenpflege mittleren Alters verdient rund 3.000 Euro brutto im Monat, das sind rund 42.000 Euro pro Jahr. Kann man es wirklich mit Leistung begründen, wenn ein Manager eines Konzerns mit 800.000 Euro pro Jahr fast so viel verdient wie 20 Pflegekräfte? Wer so argumentiert, dem wird gerne vor-geworfen, eine Neiddebatte zu schüren. Aber dieser Vorwurf birgt auch die Gelegenheit, Ungleichheit zu thematisieren. Das Argument der Sozialdemokratie dagegen könnte sein:Das ist der Unterschied zwischen uns, Sie schüren eine Neid-debatte gegen Leute, die hart arbeiten und zu wenig verdienen, wir richten den Blick auf diejenigen, die auf Kosten der Allgemein-heit den Hals nicht vollkriegen. Und Kosten für die Allgemeinheit sind Manager*innenbezüge jedenfalls, denn wir alle zahlen sie als Konsument*innen mit.•  Die Lehren aus der Corona-KriseAuch die Entwicklung der Corona-Impfstoffe beruht in hohem Maße auf der öffentlich finanzierten Forschung, so wie alle Errungenschaften, mit denen private Unterneh-men gewaltige Profite machen. Die Sozialdemokratie sollte selbstbewusst für einen starken öffentlichen Sektor eintreten und vehement darauf hinweisen, dass der Staat sehr viel an Wert schöpft, von dem die Wirtschaft dann profitiert. Hier 


 30 | ZUKUNFT ZUR RENAISSANCE DER SOZIALDEMOKRATIE IN ÖSTERREICH VON ALEXANDER KOPPENSTEINERkann man sich an den Ausführungen von Mariana Mazzucato (2014; 2018) orientieren. •  Unternehmen schaffen Arbeitsplätze„Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, nicht der Staat.“ Dieser offenkundige Unsinn wird oft ventiliert, ohne großen Widerspruch zu ernten. Tatsächlich ist der Staat in jedem ent-wickelten Land der größte Arbeitgeber. Darüber hinaus soll-te man sich den Unternehmen gegenüber nicht unterwürfig verhalten, denn sie schaffen nicht Arbeitsplätze um der Ar-beitsplätze willen, sondern sie wollen Geld verdienen, und da-für brauchen sie Menschen, die für sie arbeiten.Im Übrigen zeigt die Pandemie sehr gut, dass es gerade jene Arbeitsplätze sind, die die öffentliche Hand schafft, de-nen besondere Bedeutung zukommt. •  Einnahmen- oder Ausgabenproblem des StaatesEs ist ein beliebter Sager, dass Österreich kein Einnah-men- sondern ein Ausgabenproblem hat. Natürlich ist das eine willkürliche ideologische Feststellung. Man könnte ohne weiteres sagen:Nein, wir haben ein Einnahmenproblem, wir haben kein Ausga-benproblem, denn die Ausgaben sind zum Gutteil wohl begründet und notwendig.Wenn man die Leute auf der Straße fragt, ob das Budget einnahmenseitig oder ausgabenseitig saniert werden soll, sa-gen die meisten Befragten aus ihrem Alltagsverständnis heraus, dass dies auf der Ausgabenseite passieren soll. Wenn man aber fragt, ob man für Pflege, Bildung, Gesundheit etc. mehr aus-geben und dafür bei den hohen Einkommen und Vermögen mehr Steuern einheben soll, sehen die Antworten anders aus. II.  VERBÜNDETE IN DER GESELLSCHAFTWelche Allianzen und Verbindungen könnte die Sozial-demokratie also auf gesellschaftspolitischer Ebene eingehen? Hier stehen vor allem vier Gruppierungen im Mittelpunkt•  Allianzen mit der WissenschaftWissenschafter*innen scheuen die parteipolitische Verein-nahmung. Wenn man aber konkrete Forderungen erhebt und sie gemeinsam mit intellektuellen Kapazitäten auf dem jewei-ligen Gebiet präsentiert, dann können solche Persönlichkeiten sicher gewonnen werden. Ich denke dabei an diverse Fach-richtungen, keineswegs nur an die Wirtschaftswissenschafter*innen, wobei es in diesem Bereich darum geht, jenen eine Stimme zu geben, die abseits der Mainstream-Ökonomie ste-hen, wie etwa der zitierte Stephan Schulmeister.•  Kirchen und deren soziale OrganisationenDie unfaire Verteilung des Wohlstands, die Ausbeutung von Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die unmenschliche Haltung in der Migrationspolitik, all das ist für Organisationen wie die Caritas oder die Diakonie mehr als kritikwürdig. Auch die katholische Kirche hat heute glückli-cherweise eine äquidistante Haltung zu den Parteien, aber in der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, wird sie von vie-len Leuten noch immer als mit der ÖVP verbunden gesehen. Politik und Religion müssen getrennt sein, gerade deswegen wäre es wünschenswert, wenn deutlich wird, dass eine christ-liche Überzeugung keineswegs eine politische Unterstützung der ÖVP nahelegt.•  Menschen, die sich für Tiere einsetzenViele Menschen heißen es keineswegs gut, wie Tiere – fühlende Wesen – behandelt werden. Dass das Verbrechen der Massentierhaltung überhaupt noch möglich ist, beruht ja dar-auf, dass es im Wesentlichen vor der Öffentlichkeit verborgen wird. Nun, da die Massentierhaltung mit dem Entstehen und der Verbreitung von Zoonosen in Verbindung gebracht wird, wäre der Zeitpunkt günstig, dieses Thema anzugehen. Die Sozialdemokrat*innen sind immer gegen Ausbeutung aufge-treten und haben den Schwächeren ihre Solidarität versichert. Es ist an der Zeit, sich auch gegen die Ausbeutung der Tie-re zu wenden. Wir wissen, dass Schweine intelligente, sozi-ale Wesen sind, wir wissen um den Stress, den eine Kuh er-lebt, wenn ihr ihr Junges entrissen wird. Und wir sehen die Angst in den Augen der Nerze, bevor sie getötet werden. Da-raus nicht den Schluss zu ziehen, dass wir gegen diese Leid an-kämpfen müssen, wäre selbst eine Grausamkeit.• Menschen, die sich für den Umweltschutz einsetzenAber nicht allein das Mitgefühl mit den Tieren gebietet rasches Handeln, obwohl es tausendmal Grund genug wäre. Wir wissen, dass das agroindustrielle System, zu dem die Mas-sentierhaltung gehört, mit dem ökologischen Überleben der Menschheit nicht vereinbar ist. Die ÖVP steht auch hier auf der anderen Seite, nämlich jener der Agroindustrie. Die ökologi-sche Frage hat einen starken Bezug zur sozialen Frage. Es sind die sozial Benachteiligten, welche die Folgen der Klimakata-


 ZUKUNFT | 31 strophe am stärksten und am ehesten treffen. Und es sind die Reichsten der Gesellschaft, die besonders viel zur Klimaüber-hitzung beitragen. Das Verhindern der Klimakatastrophe kann nur gelingen, wenn es auch zur Eindämmung der „Ungleich-heitskatastrophe“ führt (vgl. Chomsky/Pollin 2021). Daher sind jene, die Umwelt und Klima schützen wollen, die na-türlichen Verbündeten der Sozialdemokratie und umgekehrt.III.  CONCLUSIO: KÜNFTIGE REGIERUNGSALLIANZENVielleicht sehnen sich manche in der SPÖ nach einer Rück-kehr zur großen Koalition, am besten als stärkere Partei, ge-gebenenfalls aber auch als Juniorpartnerin. Ich halte die Hoff-nung auf eine Koalition mit der ÖVP für irreführend und falsch und meine, dass die SPÖ sich davon lösen und auf neue Allian-zen hinarbeiten muss. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:In der Vergangenheit musste die SPÖ in der gemeinsamen Regierung mit der ÖVP viele Zugeständnisse machen, einfach, weil diese immer eine Alternative (die FPÖ) hatte, die SPÖ aber nicht. Die Annahme, die Wahl von Herbert Kickl zum FPÖ-Obmann mache eine ÖVP-FPÖ Koalition unmöglich, wäre eine gefährliche Illusion. Diese Rahmenbedingungen würden so-zialdemokratische Politik in einer Koalition mit der ÖVP nicht erkennbar werden lassen.Ich bin auch der festen Überzeugung, dass eine fortschrittliche Po-litik in Österreich erst wieder möglich sein wird, wenn weder die ÖVP noch die FPÖ in der Regierung sind.Damit bin ich bei dem, was man früher als Ampelkoaliti-on bezeichnet hat, einer Koalition aus SPÖ, Grünen und NEOS. Zwar hätte diese Konstellation nach den Umfragen gegen-wärtig keine rechnerische Mehrheit, allerdings ist eine solche weniger weit weg von einer Realisierung wie z. B. eine rela-tive Mehrheit der SPÖ. So oszillieren die Umfragedaten mo-mentan etwa bei 26 % für die SPÖ, 12 % für die Grünen und  10 % für die NEOS. Das ergibt 48 %. Die ÖVP liegt bei rund 33 %, die FPÖ bei 19 %, das ergibt rund 52 %. Das sind kei-ne exakten Zahlen, aber Zahlen in der Bandbreite der jünge-ren Umfragen. Es zeigt sich hier zwar auch eine rechnerische Mehrheit von türkis-blau, dennoch ist bei zwei Lagern mit  52 % zu 48 % eine Verschiebung der Mehrheit von einem La-ger zum anderen denkbar. Die Tendenz zu einer solchen Ver-schiebung ist ja im Gefolge der aktuellen ÖVP-Skandale und des mangelhaften Corona-Managements bereits erkennbar.Inhaltlich kann eine solche Neuausrichtung auch die Glaubwürdigkeit der SPÖ erhöhen. Wenn der Eindruck ent-steht, dass die SPÖ einerseits zwar Kurz kritisiert, aber an-derseits gerne mit ihm koalieren würde, führt das zu einer kraftlosen und unglaubwürdigen Politik. Die Grünen sind momentan mit der ÖVP in einer Koalition. Ohne Zweifel lei-den sie darunter und dieses Leiden wird sich noch vergrö-ßern. Das birgt Sprengstoff. Schon deshalb sollte die SPÖ die Türen zu den Grünen weit offenhalten. Tatsächlich gibt es mit den Grünen viel Übereinstimmung, sowohl in der Sozial-politik als auch in der Ökologie, die ein Kernthema sein muss.Die  NEOS haben in einigen Belangen eine sehr wirt-schaftsliberale Position, die mit sozialdemokratischen Ansich-ten nicht kompatibel ist. Allerdings ist es für jede Partei, be-sonders für eine kleinere, klar, dass sie sich in einer Koalition nicht voll und ganz durchsetzen kann, sondern Schnittmen-gen finden muss. Und es gibt zwischen SPÖ und NEOS eine ganze Menge dieser Schnittmengen, die durch die Politik von Kurz immer größer werden. Hier ist beispielsweise der gesam-te Bereich der Menschen- und Bürger*innenrechte, der Me-dienfreiheit und der Transparenz zu nennen. Die starke Be-tonung der Bildungspolitik durch die NEOS kann für die SPÖ ebenfalls ein Ansatz sein, um einander zu finden, ebenso wie der große Bereich der Politik für kleine Unternehmen und Selbständige, die von der ÖVP völlig im Stich gelassen werden. Und nicht zuletzt haben die NEOS, bedingt durch die Coro-na-Krise, ihre Position zum Staat doch einigermaßen korri-giert, auch wenn sie das wohl nicht so ausdrücklich zugeben würden.Ich bin der festen Überzeugung, dass eine neuerliche Koa-lition mit der ÖVP – selbst nach einem Führungswechsel – ein völlig falscher Schritt wäre und dass man das Ziel einer neuen Allianz für Österreich ohne ÖVP und FPÖ verfolgen muss, also eine SPÖ-geführte Koalition mit Grünen und NEOS. Eine Wiederauflage einer Koalition mit der ÖVP wäre da-gegen eine Katastrophe für die SPÖ und letztlich auch für Österreich.ALEXANDER KOPPENSTEINER ist Politikwissenschafter und stellvertretender Vorsitzender des BSA Bezirksclubs Landstraße. Er ist seit vielen Jahren in der  österreichischen Sozialversicherung tätig. 


 32 | ZUKUNFT LiteraturBlaha, Barbara/Kocher, Martin (2018): Streitgespräch in der Wiener Zei-tung: Wann ist ein Sozialstaat gerecht? Online unter: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/941971-Wann-ist-ein-Sozialstaat-gerecht.html?em_cnt_page=1 (letzter Zugriff: 27.07.2021).Chomsky, Noam/Pollin, Robert: (2021): Die Klimakrise und der Global Green New Deal, Münster: Unrast.Mazzucato, Mariana (2014): Das Kapital des Staates – Eine andere Ge-schichte von Innovation und Wachstum, München: Kunstmann.Mazzucato, Mariana (2018): Wie kommt der Wert in die Welt – Von Schöpfern und Abschöpfern, Frankfurt am Main: Campus.Schulmeister, Stephan (2018): Der Weg zur Prosperität, Salzburg: Ecowin.Wilkinson, Richard/Pickett Kate (2009): Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin: Tolkemitt.ZUR RENAISSANCE DER SOZIALDEMOKRATIE IN ÖSTERREICH VON ALEXANDER KOPPENSTEINER 


 ZUKUNFT | 33 75 JAHRE ZUKUNFTDeckblatt DAS KLEINE BLATT  Nr. 300 / 6. Jahrgang / Oktober 1932


 34 | ZUKUNFT „LIFESTYLE-LINKE“ VERSUS „BREITBAND SOZIALDEMOKRATIE“  VON FRIEDRICH KLOCKERI. EINLEITUNGDas Wehklagen über den Verlust sozialdemokratischer Identitäten, über den Mangel an offenem, ehrlichem und in-haltlichen Diskurs, ist laut. Beklagt wird dabei nicht zuletzt das Fehlen publizistischer und medialer Möglichkeiten, die Ideen, Vorschläge und Absichten der SPÖ einer breiten Öf-fentlichkeit nahe zu bringen. Wir alle kennen den österrei-chischen Medienmarkt, der, wie selbst Fachleute konstatieren, kaum den Ansprüchen einer entwickelten Demokratie, in der Meinungsbreite und Meinungsvielfalt zu einem Kernelement zählt, gerecht wird. Diese Kritik gilt sowohl für den Printbe-reich als auch für die elektronischen Medien, letztlich also das Fernsehen. Wir haben es in Österreich mehr oder weniger mit einem Medienmarkt zu tun, der dem konservativen Poli-tikspektrum zuzuordnen ist, was den massenmedialen Auftritt anbelangt – im Segment der Medien, in denen ein intellektu-eller Diskurs stattfinden kann, nimmt die ZUKUNFT seit jeher eine wichtige Rolle ein. Und diese Rolle sollte deutlich ge-schätzt und gestärkt werden.Ein Sponti-Spruch lautet: „Kakerlaken überleben einen Atomschlag, sterben aber, wenn man sie mit einer Zeitung er-schlägt. Das beweist, wie gefährlich die Medien sind.“ Über viele Jahrzehnte hat die ZUKUNFT ihre „Gefährlichkeit“ un-ter Beweis gestellt, weil es im sozialdemokratischen Umfeld wohl kein besseres Medium gab und gibt, intellektuelle De-batten über all die Themen, die die Gesellschaft, den Staat, die Menschheit und die Zukunft betreffen, trefflich zu führen. Und von dieser Möglichkeit hat man gerade in den 1970er-Jahren und danach ausführlich Gebrauch gemacht.Viele politische Themen wurden erstmals auf dem Weg über die ZUKUNFT ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, ha-ben Debatten ausgelöst und zu politischen Entscheidungen geführt, die im Interesse breiter Teile unserer Gesellschaft lagen.Ich habe den Eindruck, dass sich der politische Diskurs in der SPÖ mehr und mehr in Kleingruppen verlagert hat. Dort treffen sich Gleichgesinnte, die sich über Themen unterhal-ten, die sehr oft den Anspruch der politischen Breite kaum er-füllen können. Kritiker*innen sprechen daher nicht ganz zu Unrecht davon, dass sich die SPÖ vielfach vom Kern ihres – auch historisch gewachsenen – Selbstverständnisses entfernt hat und immer weniger in der Lage ist, die echten Bedürf-nisse der Menschen aufzunehmen und in politische Handlun-gen umzusetzen. Dieses Phänomen lässt sich für alle erkenn-bar an Wahlabenden festmachen, an denen Sätze wie: „Wir müssen die Menschen mehr mitnehmen“, oder „Wir müs-sen in die Menschen deutlicher hineinhören“ diese Diskre-panz zum Ausdruck bringen. Den Worten folgen aber in den seltensten Fällen die notwendigen Taten.„Lifestyle-Linke“ versus „Breitband  Sozialdemokratie“Die Reduktion der Vielfalt und Breite politischer Themen, die für große Teile unserer Gesellschaft von nachhaltiger Bedeu­tung sind, auf Randthemen, führt die Sozialdemokratie nach und nach in die politische Bedeutungslosigkeit und erklärt den Verlust der Gestaltungsmöglichkeit in allen relevanten Bereichen. Diese Entwicklung zeigt sich in vielen Bereichen, etwa bei der Betonung von Themen wie der „Geschlechteridentität“, wie FRIEDRICH KLOCKER ausführt …


 ZUKUNFT | 35 II.  DAS THEMA ARBEIT UND DER STARKE MANNWie gesagt: Das Kernthema der österreichischen – und in-ternationalen – Sozialdemokratie dreht sich um den Begriff und das Thema Arbeit in all den diesbezüglichen Facetten. Von der Absicherung der arbeitenden Menschen, der gerech-ten Entlohnung, der sozialrechtlichen Absicherung, der Aus-und Weiterbildung, der gewerkschaftlichen Vertretung bis hin zum Wohlfahrtsstaat, um nur einige wenige Begriffe in die-sem Zusammenhang zu nennen, reicht die Palette dessen, was die Sozialdemokratie in diesem Politikfeld geleistet hat. Ge-rade die materielle Absicherung von Menschen durch Arbeit ist eine der großen politischen Leistungen, die unsere Gesin-nungsgemeinschaft erbracht und die uns stark gemacht hat.Bruno Kreisky, den ich bis zu seinem Tod unter ande-rem als Generalsekretär der Kreisky Kommission für Beschäfti-gungspolitik in Europa begleiten durfte, hat die aus meiner Sicht richtige These vertreten, dass die Perspektive des Verlusts des Arbeitsplatzes oder gar Arbeitslosigkeit und die damit verbun-dene Unsicherheit, Zukunftsangst und Entsolidarisierung im-mer die Gefahr in sich birgt, die Grundlagen für undemokra-tische Entwicklungen zu schaffen. Letztlich lässt dies den Ruf nach dem „starken Mann“, der alles in Ordnung bringt, laut werden, führt also zu Diktatur und Faschismus, die Kreisky in seinem Leben mehrfach erfahren musste.III.  DIE DIGITALE REVOLUTIONWie ich ausführte, haben wir angesichts der aktuellen Pandemie eine Situation zu vergegenwärtigen, in der mehr Menschen ohne Arbeit sind, als jemals seit Ende des 2. Welt-krieges. Derzeit gibt es in Österreich rund 435.000 Menschen ohne Arbeit, dazu kommen rund 240.000 Personen in Kurz-arbeit. Die Unsicherheit und die Zukunftsangst ist also groß, weil niemand sagen kann, wie es mit der Aussicht auf Arbeit nach Überwindung der Pandemie bei uns aussehen und wie es weitergehen wird. Und dabei stehen wir erst am Anfang der digitalen Revolution und Automatisation, die in ihrer Konsequenz viel Positives bewirken, aber auch viele Arbeits-plätze ersatzlos vernichten werden. Es gibt eine Studie, beauf-tragt von der EU-Kommission, die besagt, dass diese Digitali-sierung bis zu 16 % an Arbeitsplätzen kosten wird, die nicht ersetzt werden können. Noch dramatischer in diesem Kontext dürfte die Perspektive in den USA, ein wichtiger Handelspart-ner der EU, sein, dort gibt es Studien, nach denen bis zu 49 % der aktuellen Arbeitsplätze ersatzlos wegfallen dürften. Sich dieser Herausforderung zu stellen, sehe ich als zen-trale Aufgabe der SPÖ an – in letzter Konsequenz auch aus der Überlegung heraus, auf diese Weise wieder eine mehr-heitsfähige Politik anzubieten, weil erst durch – hoffentlich – absolute Mehrheiten jene Reformen in allen sozialen, wirt-schaftlichen, bildungspolitischen und geschlechteradäquaten Bereichen umgesetzt werden können, von denen wir seit Jah-ren reden und die wir oft diskutieren. Mein Plädoyer ging dahin, sich zunächst wieder den Kernelementen sozialdemo-kratischer Politik, dazu zählt meiner Meinung nach vorran-gig die Arbeitsmarktpolitik, zuzuwenden, um auch anderen wichtigen Themen zum Durchbruch zu verhelfen – ganz so, wie wir es in den 1970er und 1980er-Jahren vermochten. Bis heute zehren viele Menschen in Österreich von dieser Re-formarbeit und viele arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Elemente, die vielen Menschen über die aktuelle Krise hin-weghelfen, gehen grundsätzlich auf diese Reformleistungen der SPÖ zurück. Es geht mir in meinen Forderungen daher um das Setzen von Prioritäten in der politischen Arbeit der SPÖ unter dieser Betrachtungsperspektive und nicht um grund-sätzliche Exklusion anderer Themen.IV.  DIE SELBSTGERECHTENIn diesem Sinne hat das Thema Arbeit für mich einen grö-ßeren Stellenwert als andere Themen, wozu auch „Gendern“ zählt. Vor allem auch deshalb, weil „Gendern“, wie wir die-se Frage in der SPÖ zumeist diskutieren, für mich persönlich nur bedingt mit Frauenpolitik und Feminismus zu tun hat. Der Umgang und die verstümmelte Debatte um das Thema „Gendern“ – wobei Gendern laut den Befürworter*innen als Synonym für die Gleichberechtigung von Frauen steht – zeigt für mich in erschreckender Weise eine Entwicklung in SAHRA WAGENKNECHTDIE SELBSTGERECHTEN.MEIN GEGENPROGRAMM – FÜRGEMEINSINN UND ZUSAMMENHALTFrankfurt am Main: Campus320 Seiten | € 24,49ISBN: 978­3954717835Erscheinungstermin: April 2021


 36 | ZUKUNFT der „Linken“ auf, die Sahra Wagenknecht in ihrem Buch Die Selbstgerechten als Rausch des Tugendterrors bezeichnet.Die  ZUKUNFT wäre wahrscheinlich ein geeignetes Medi-um, um solche Fragen über den engen Bereich von sogenann-ten „Gremialwirklichkeiten“ hinausgehend in der gesamten Palette der Themen breit und offen zu diskutieren. So wie dies in der Vergangenheit auch der Fall war und auch im dop-pelten Sinn des Wortes ZUKUNFT haben soll. Eine wirklich of-fene Diskussion wird weitgehend unterbunden, weil Differen-ziertheit im Diskurs erbarmungslos sanktioniert wird – und umgekehrt Meinungskonformität mit Zustimmung, gerade in den Gremien, belohnt wird. Wagenknecht bezeichnet diese Haltung als „Life-Style-Linke“, in der es leicht erkennbar da-rum geht, „seine offensichtliche Neigung, seine Privilegien für persönliche Tugenden zu halten und seine Weltsicht und Lebensweise zum Inbegriff der Progessivität zu verklären.“ In diesem Sinne wird „die Alltagssprache ständig nach Wörtern durchsucht, die jemanden verletzen könnten und die es fortan zu meiden gilt“. Die Schlussfolgerung daraus ist laut Wagen-knecht, dass „dabei die Zahl der Denkgebote und Benimmre-geln in einem Tempo, in dem Normalbürger – also Leute, die sich tagsüber mit anderen Dingen als mit diskursiver Aware-ness beschäftigen – keine Chance haben mitzuhalten“.Wir sehen, wie ich überzeugt bin, eine Auswirkung die-ser Entwicklung in der SPÖ wohl auch darin, dass die Zu-stimmung der Wähler*innen zu diesem Kurs mehr als en-den wollend ist. Noch nie ist die SPÖ derart schlecht in der Wähler*innengunst gelegen, wie derzeit.V.  CHANCENGERECHTIGKEIT UND HOHE MIETENDer deutsche Philosoph Richard David Precht ergänzt und erweitert die Debatte um die Einengung des politischen Diskurses in der Linken unter Verweis auf den Grünen Ro-bert Habeck und dessen Niederlage um die „Kanzlerkandida-tur“ als umgekehrten Sexismus. Nach Precht gibt es „auch umgekehrten Sexismus, nicht nur den von Män-nern gegenüber Frauen. Ich habe eine fundamentale Kritik an der Biologisierung von Kompetenzen. Dass man ein Amt von Geschlecht abhängig macht, habe ich immer für falsch gehal-ten, egal ob bei Männern oder Frauen.“Und Precht folgert weiter: „Überall, wo man sagt, Frauen werden bei gleicher Eig-nung bevorzugt, halte ich das für falsch. Ich kann Emanzi-pation nicht daran erkennen, zu sagen, jetzt wart ihr so lan-ge dran, jetzt sind wir mal dran. Das entspricht in keiner Form der Idee der Chancengerechtigkeit“ (siehe: Kurier, vom 25.04.2021).Es geht, wie ich das grundsätzlich sehe, also sowohl um die Breite, als auch um die intellektuelle Umfasstheit von Themen, die von politischer, sozialer, gesellschaftlicher, bil-dungspolitischer und wirtschaftlicher Relevanz sind, für die die ZUKUNFT geradezu prototypisch als Plattform des Diskur-ses zur Verfügung steht. So wie ich – und in Wahrheit viele andere – die Situation beurteile, haben wir es in der Sozialde-mokratie, und zwar nicht nur bei uns in Österreich, mit einer deutlichen Verengung der thematischen Vielfalt und diskursi-ver Offenheit in dieser Hinsicht zu tun.Hannes Androsch weist darauf jüngst in einem State-ment im profil („Sonst wird die SPÖ eine Sekte“, 22.4.2021) hin, wenn er warnend zu einem Parteitagsantrag zum Thema „Geschlechteridentität“ meint, man müsse auch kleine Grup-pen würdevoll behandeln, „aber man darf die Gewichtung nicht verlieren. Wenn man sich nur auf solche Themen (An-merkung: „Geschlechteridentität“) fokussiert, wird man eine Sekte.“ Folgerichtig müssten Themen wie Wirtschaft, Arbeit, Bildung, Finanzierung des Sozialstaates im Mittelpunkt der politischen Arbeit der Sozialdemokratie stehen, pragmatisch unter dem Gesichtspunkt, Mehrheiten der Bevölkerung anzu-sprechen und für die Themen der SPÖ begeistern zu können.Vielleicht ist es geboten, an dieser Stelle auf die Debat-te um Wolfgang Thierse hinzuweisen, der zurecht die For-derung erhob, Themen von zentraler Bedeutung, die zudem für die Identität der Sozialdemokratie stehen, anzusprechen und dafür ungebührlich und völlig falsch von der Parteifüh-rung der SPD kritisiert wurde. Die gesellschaftliche Spaltung, die Genosse Thierse warnend hervorhob, ist nämlich genau ein Produkt dieser Konzentration des Politischen auf Margi-nalisierung innerhalb der Sozialdemokratie. Der Kontrapunkt, den Thierse setzen wollte, war die Warnung, dass es der Lin-ken nicht mehr um die (Verbesserung der) Lebensbedingun-gen geht, sondern um die Säuberung ihrer Lebenswelt. Und um Stegemann zu zitieren, der dazu schreibt: „Die Werte der sozialen Linken waren Solidarität, Inklu-sion und gleichberechtigte Chancen. Ihre politische Metho-„LIFESTYLE-LINKE“ VERSUS „BREITBAND SOZIALDEMOKRATIE“  VON FRIEDRICH KLOCKER


 ZUKUNFT | 37 de bestand in der klugen Analyse der Herrschaftsverhältnis-se, und ihre rhetorische Kraft bezog sie aus dem dialektischen Denken.“Ich habe den Eindruck, dass dieser Anspruch in der So-zialdemokratie, vor allem im Bereich ihrer „Eliten“, weitge-hend abhandengekommen ist. Eine der sichtbaren Folgen ist, dass die SPÖ auf Bun-desebene weit davon entfernt ist, jene Unterstützung der Wähler*innen zu bekommen, um gestalten zu können. Wer auf Minderheitenthemen setzt, sich durch „Political Correct-ness“ geißeln lässt, bleibt in der Minderheit und verliert den Anspruch auf Zuspruch.Auch wenn „Arbeit“ ohne Zweifel zur Kernmarke und Identität der Sozialdemokratie gehört, gibt es noch ande-re wichtige Themen, die deutlicher als bisher in den Fokus der Arbeit der SPÖ gerückt werden sollten. Dazu zählt bei-spielsweise vorrangig das Thema Wohnen, weil wir in Ös-terreich zwar im Vergleich günstige Mieten – insbesondere im Bereich des geförderten Wohnbaus – haben, aber die Ent-wicklung der Mietpreise nach oben zunehmend zur Belas-tung für viele Menschen wird. Der nächste Kostenschub kün-digt sich bereits an, weil im Gefolge der Corona-Epidemie die Preise für Baumaterialien deutlich anziehen und sich diese Si-tuation umgehend auf die Mieten und Kaufpreise für Woh-nungen durchschlägt. Es bedarf daher deutlich mehr, als pro-klamatorischer Kampfrufe oder, wie in Deutschland durch die SPD der Fall, etwa die Forderung nach Vergesellschaftlichung von Wohnungen. Es bedarf konkreter Konzepte und Strategi-en, die von einer Mehrzahl der Menschen nicht nur verstan-den, sondern auch akzeptiert werden können.VI.  SCHLUSS: VON DER ZUKUNFTIn diesem Kontext ist durchaus zu beklagen, dass die soge-nannten „Eliten“ der SPÖ kaum noch bereit scheinen, anders als noch in den 1970er- und 1980er-Jahren, durch theoreti-sche und programmatische Beiträge den intensiven Diskurs zu wichtigen Themen zu intensivieren: von Bruno Pittermann über Bruno Kreisky und Karl Blecha, Ferdinand Lacina, Her-bert Tieber, Herta Firnberg, Johanna Dohnal oder auch Egon Matzner – um beispielhaft für viele nur einige wenige zu nen-nen – hat man vor allem auch die ZUKUNFT als Plattform für diesen intellektuellen Diskurs genutzt. Zum Wohle der SPÖ und des Landes. Eine Praxis, die heute weitgehend abhanden-gekommen scheint. Was ist der Grund, weshalb die heutigen politischen Eliten der SPÖ ein Medium, wie es die ZUKUNFT ist, nicht nützen, um ihre Vorstellungen für das Land und die Partei darzulegen und damit vielleicht auch Hoffnung und Perspektive zu vermitteln? Es ist dies offensichtlich nur ein Manko von vielen, mit dem sich möglicherweise die schwin-dende Bedeutung der Sozialdemokratie erklären lässt.Der „Geburtstag“ der ZUKUNFT kann und soll für die So-zialdemokratie doch auch Anlass sein, sich verstärkt nicht nur dieser publizistischen Möglichkeit zum politisch-intellektuel-len Diskurs zu bedienen, sondern sich ganz grundsätzlich dar-über zu unterhalten, wie es gelingen kann, der selbstgestellten Zielsetzung, eine bessere, gerechtere und sicherere Welt zu schaffen, in der politischen Arbeit gerecht zu werden. Dazu bedarf es der mehrheitlichen Unterstützung der Menschen in unserem Land. Es bleibt zu hoffen, dass es der SPÖ bald wieder gelingt, diese mehrheitliche Unterstützung zu bekommen.FRIEDRICH KLOCKER war fast 20 Jahre Sekretär des Bundesparteivorstandes der SPÖ, Büro leiter mehrerer Parteivorsitzender und BGF, Milizsprecher und Wehrexperte der SPÖ, Vizepräsident des Milizverbandes Österreich, sowie Generalsekretär der Kreisky Kommission für Beschäftigungsfragen in Europa. Nach dem Ausscheiden aus der SPÖ Parteizentrale war er in  verschiedenen leitenden Funktionen in der gemeinnützigen  Wohnungswirtschaft tätig.LiteraturAndrosch, Hannes (2021): Sonst wird die SPÖ eine Sekte, online unter: https://www.profil.at/oesterreich/androsch-sonst-wird-spoe-eine-sekte/401359493 (letzter Zugriff: 03.05.2021).Precht, Richard David (2021): Es gibt auch umgekehrten Sexismus, online unter: https://kurier.at/politik/ausland/philosoph-precht-es-gibt-auch-umgekehrten-sexismus/401361950 (letzter Zugriff: 03.05.2021).Wagenknecht, Sahra (2021): Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – Für Gemeinsinn und Zusammenhalt, Frankfurt am Main: Campus.


 38 | ZUKUNFT GEMEINSINN UND GESELLSCHAFTLICHER ZUSAMMENHALT VON THOMAS NOWOTNYI. EINLEITUNGSahra Wagenknecht war bis 2019 Fraktionsvorsitzende der deutschen Partei DIE LINKE. Sie ist nunmehr Spitzenkandidatin dieser Partei für die anstehenden Bundestagswahlen im größ-ten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der Öffent-lichkeit ist sie aber vor allem als Publizistin und Kommenta-torin bekannt. Ihr jüngstes – hier besprochenes – Buch Die Selbstgerechten – Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zu-sammenhalt wurde sehr breit und vielfach sehr kritisch disku-tiert. Letzteres auch in der eigenen Partei, wo darob in ihrem Landesverband Nordrhein-Westfalen ein Antrag auf Partei-ausschluss eingebracht wurde. Das verweist auf die Emotionen, welche mit dem Buch aus-gelöst wurden. Sie beziehen sich nicht auf dessen zweiten Teil, mit seinen sachlich gut begründeten Vorschlägen für Alternati-ven in Kernbereichen der Politik. Die kritische Diskussion und die kritischen Rezensionen beziehen sich vor allem auf den ers-ten, sehr polemischen Teil des Buches. Er ist eine Abrechnung mit den von Wagenknecht so genannten „Lifestyle-Linken“. Diese sähen sich als „linksliberal“, wären aber tatsächlich weder links noch liberal. Sie seien nicht „links“, weil sie nicht länger die benachteiligten Schichten der Bevölkerung vertreten. Und sie seien nicht liberal, weil sie leugnen, dass es allseits verbindli-che, rational begründete politische Werte geben könne. Der Niedergang der großen traditionellen europäischen Linksparteien sei dadurch verursacht, dass diese selbstverlieb-ten und selbstgerechten Menschen aus dem akademischen Mittelstand zunehmend das Erscheinungsbild der traditionel-len Linksparteien geprägt hätten. Dadurch hätten sich diese traditionellen Parteien ihrer alten Kernwähler*innenschaft, der minderverdienenden Arbeiter*innenschaft, entfremdet.II. FRIDAYS FOR FUTURE UND DIE BERGARBEITER*INNENEin von Wagenknecht geschilderter Zwischenfall macht das augenscheinlich: Jugendliche aus der Fridays for Future-Umweltbewegung organsierten einen Protestmarsch ins Lau-sitzer Braunkohlerevier, um eine sofortige Stilllegung des Kohle-Abbaus durchzusetzen. Es kam zu einem Zusam-menstoß mit Bergarbeiter*innen, die sich einem ersatzlo-sen Verlust ihrer Arbeitsplätze entgegenstellten. Nun kann man einwenden, dass es sich dabei um den Konflikt von zwei durchaus verständlichen und großen Anliegen handelt, so dass der Konflikt keine der beiden aufeinanderstoßenden Gruppen delegitimiert.Weniger nachvollziehbar und berechtigt scheint der aufge-heizte Konflikt um Symbole und bloße Haltungen: der Kon-flikt darüber, ob vegane Schnitzelesser*innen berechtigter Weise für ihr sündiges Verhalten kritisiert werden dürfen; ob man „politisch korrekte“ Sprache einmahnen und darauf be-stehen darf, dass lang verwendete, allen geläufige Worte unter Sanktionsdrohung durch genderneutrale ersetzt werden; der Konflikt darüber, ob es vertretbar und gerecht ist, all jene als Rassist*innen zu denunzieren, denen massive Zuwanderung aus außereuropäischen Staaten mit ihren sehr anderen Kul-turen etwas Unheimliches ist; und ob es schließlich politisch und moralisch sinnvoll ist, sich selbstgerecht mit immer klei-neren Gruppen von Menschen zu identifizieren, welche als Opfer des übrigen, größeren Teils der Gesellschaft vorgestellt werden; wodurch dieser größere Teil der Gesellschaft – die notorischen „weißen alten Männer“ – automatisch als Übel-täter, Aggressoren und Unterdrücker auf die Anklagebank ge-stellt werden.Gemeinsinn und gesell-schaftlicher ZusammenhaltDer Beitrag von THOMAS NOWOTNY bespricht die jüngste Publikation von Sahra Wagenknecht und fasst die wichtigen Diskussionen zusammen, die sich nicht zuletzt dadurch ergeben haben, dass die Politikerin der LINKEN Positionen vertritt, die dem „Völkischen“ und der AfD entsprechen …


 ZUKUNFT | 39 III.  ZERSTÖRTE SOLIDARITÄT UND RESSENTIMENT?Hinter all diesen Attitüden der „Lifestyle-Linken“ steckt ein gehöriges Stück von Anmaßung; ein als selbstverständ-lich erachtetes Recht, sich über andere zu erheben; und die-se dadurch im wortwörtliche Sinn zu de-klassieren; also einer moralisch minderwertigeren Unterschicht zuzuordnen. Die „Lifestyle-Linke“ zerstört damit das, was Linken oberstes Gut sein sollte und durch lange Zeit oberstes Gut war; nämlich den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt; die gesamtge-sellschaftliche Solidarität. Man kann diesen Vorwurf der Zerstörung von Solida-rität freilich auch gegen Wagenknecht selbst umkehren. Sind die Jugendlichen, welche in der Lausitz für die baldi-ge Schließung der Kohle-Bergwerke protestieren allesamt nur Arbeiter*innenfeindliche Egomanen? Sind jene, welche Flüchtlingen freiwillig Deutschunterricht geben, Feinde der deutschen nationalen Solidaritätsgemeinschaft? Und schim-mert da in der Polemik gegen die neue, die sozialdemo-kratischen Parteien zunehmend bestimmende akademische Mittelschicht, nicht auch ein Generalverdacht gegenüber sämtlichen Eliten durch, selbst wenn sich diese als „Linke“ verstehen? Aber darüber hinaus: ist diese ganze Polemik Wa-genknechts nicht auch durchdrungen von Skepsis gegenüber Intellektualität überhaupt; eine Skepsis, so wie sie – zu deren großen politischen Nutzen – von radikalen, rechtspopulisti-schen Bewegungen angefacht wird?Ähnlich sind sich Wagenknecht und die populistische, nationalistische Rechte auch durch den Gebrauch einer die Gegner*innen herabwürdigenden, denunziatorischen Spra-che, durch welche diesen Gegner*innen der Anspruch auf Seriosität, ja auch der bloße Anspruch auf Gehört-Werden entzogen wird. Beispiele dafür sind im ganzen Text verstreut: Die sich sozial und umweltbewusst gebenden Eltern, wel-che ihre „Kinder im Elektro-Zweitauto in eine Elite-Schu-le chauffieren“; jene, die auf den Balkonen ihrer „,schicken Altbauwohnung Petersilie züchten“, die ihr Studium „mit Papas Vermögen und Mamas Beziehungen“ geschafft ha-ben; und die sich als „Sittenwächter“ für politische Kor-rektheit mobilisieren; die verächtlich auf die ihnen fremden Bewohner*innen der alten „Plattenbauten“ (wie sie in der DDR so wie im gesamten Ostblock üblich waren) hinunter-blicken etc.IV.  NATIONALISTISCH-POPULISTISCHE EXTREME UND DAS „VÖLKISCHE“Ein weiterer Gleichklang der Wagenknechtschen Argu-mente mit jenen der nationalistisch-populistischen extremen politischen Rechten sollte ebenfalls Alarmglocken schril-len lassen. Es ist das die Ablehnung nicht bloß der Globali-sierung (wofür sich noch einige Argumente finden ließen), sondern auch die Skepsis gegenüber der europäischen Inte-gration. Politik könne – so Wagenknecht – nur innerhalb ei-ner Solidaritätsgemeinschaft wirksam gemacht werden, die als solche wahrgenommen wird und die sich als solche bewährt habe. Die Mitgliedstaaten der Union seien voneinander zu verschieden. Diese Unterschiedlichkeit bilde keine verlässli-che Grundlage für eine weitreichende gemeinsame Politik der Union. Das würde sich auch daran beweisen, dass die Union bei allen größeren Herausforderungen der jüngeren Vergan-genheit versagt hätte. Abgesehen von der Anbiederung an einst gängige „völ-kische“ Argumente ist diese Behauptung auch schlichtweg falsch. Die Finanzkrise des Jahres 2008 hat nicht das Ende des Euro gebracht, sondern dessen Stärkung. Heute zweifelt nie-mand mehr an seinem Fortbestand. Auch eine handlungsfähi-ge Bankenunion wurde damals geschaffen. Der Corona-Pan-demie hat sich die Union mit dem gemeinsamen Kauf von Impfstoff entgegengestellt (was wäre gewesen, wenn die Uni-on das nicht getan hätte und alle Mitgliedstaaten separat um seine Kontingente hätte kämpfen müssen?). Schließlich kam es infolge der Pandemie zur – vorher als unmöglich erachte-ten – Aufnahme von gemeinsamen Schulden; und damit zum Entstehen eines „tiefen“ Euro-Kapitalmarktes. Die EU ist an unmittelbaren Herausforderungen also zumeist gewachsen und hat zumeist nicht versagt. Und schließlich: kaum eine der anstehenden, wirklich großen Aufgaben ließe sich von einem nur für sich selbst han-delnden EU-Mitgliedstaat bewältigen, selbst nicht von einem Mitgliedstaat wie Deutschland, mit seinem etwas größeren wirtschaftlichen und politischen Gewicht. Man verzeihe die verbale Mini-Aggression: national  lässt sich Sozialismus  nicht verwirklichen; und nicht einmal eine aufgeklärte, menschen-würdige Marktwirtschaft.Das zeigt sich nicht zuletzt auch im zweiten Teil des Bu-ches mit Vorschlägen für eine alternative Wirtschaftspoli-tik. Keine dieser Vorschläge ließen sich in einem nur für sich selbst handelnden Deutschland umsetzen. Umgesetzt werden 


 40 | ZUKUNFT könnten solche grundsätzlichen, wirtschaftlichen Reformen nur in einer – sich zunehmend konsolidierenden – Europäi-schen Union.V.  FINANZKAPITAL UND DEMOKRATIEDabei sind die wirtschaftspolitischen Vorschläge Wagen-knechts durchaus beachtlich; wie etwa die Kritik an dem vom Finanzkapital bevorzugten und geförderten Unternehmens-modell von Aktiengesellschaften. Es verleitet dazu, Werte aus der Wirtschaft abzuschöpfen, statt ihr durch Mehrung von Betriebs- und Humankapital neue Werte zuzuführen. So wer-den dadurch die echten Leistungsträger*innen bestraft und die bloßen Abzocker*innen begünstigt. Wagenknecht fordert daher eine neue Organisationsform für Großunternehmen in der Form von „Leistungseigentum“, mit der es dann eben mehr Wertschöpfung und weniger „Wertabschöpfung“ geben würde. Zurecht verweist Wagenknecht auch darauf, dass der Beitrag des Staates zur Wohlstandsmehrung weit unterschätzt wird; und dass zum Beispiel in den staatlichen Budgets Aus-gaben für Forschung und Bildung nicht als Investitionen, son-dern als unproduktive Ausgaben registriert werden. Was Sahra Wagenknecht da vorschlägt ist also keineswegs die von Altkommunist*innen einstmals erträumte Abschaf-fung der Marktwirtschaft und „Expropriation der Expropri-ateure“. Es geht ihr vielmehr darum, die Dysfunktionalitäten zu beseitigen, welche der Entfaltung einer echten Wohlstand mehrenden Wirtschaft und echter Leistungsbereitschaft im Wege stehen. Wohlüberlegt und sachlich fundiert sind auch die Anre-gungen zur Sanierung der Demokratien. Offensichtlich lei-den diese zunehmend an innerer Schwäche. Das bedroht sie gründlicher als die Gegnerschaft autoritärer Regime. Um dem abzuhelfen wird von Wagenknecht vorgeschlagen, die le-gislativen Verfahren durch „Bürgerforen“ zu ergänzen, in de-nen durch Los ausgewählte, für die Gesamtbevölkerung re-präsentative, Staatsbürger*innen unter Mitwirkung von Expert*innen, im Konsens Vorschläge für die Lösung auch sehr kontroversieller Themen unterbreiten. Ein solches Ver-fahren hat sich zuletzt in Irland bewährt, als es möglich wurde, durch eine solches Bürger*innenforum neue Regelungen in der Frage der Abtreibung durchzusetzen – ein politisches Pro-blem an dem die konventionelle irische Politik bis dahin ge-scheitert war.Die Umsetzung solcher konkreter, im zweiten Teil des Buches gemachter Vorschläge, würde Wirtschaft und Demo-kratie sicher stärken. Das wäre auch zum Vorteil der weniger privilegierten Teile der Gesellschaft, denen es unter den ge-gebenen Umständen schwerfällt, ihre Interessen durchzuset-zen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind aber nicht länger in der Lage dazu, durch Konsens getragene Lösungen anzu-bieten. Ursache dafür sind weniger die Mängel in den wirt-schaftlichen und politischen Einrichtungen, denen oft die für solche Korrekturen und für eine solche Umverteilung not-wendigen Werkzeuge fehlen. Die Ursachen liegen tiefer in ei-ner zunehmenden Individualisierung und einer zunehmenden Fragmentierung der Gesellschaft in Untergruppen, welche ei-nander bestenfalls verständnislos und in zunehmendem Aus-maß feindlich gegenüberstehen.VI.  FRAGMENTIERUNG, MITTELSCHICHT UND RECHTSPOPULISMUSDiese Fragmentierung der Gesellschaft hat auch hand-feste materielle Gründe – etwa die Einkommensverluste der unteren Mittelschicht und die demgegenüber wachsenden Einkommen der zumeist akademisch ausgebildeten, oberen Mittelschicht. Wäre das aber das hauptsächliche Problem, so ließe es sich auch in einem rationalen Ausgleich von Interessen lösen. Dass dies unmöglich bleibt, ist tiefgreifender gegenseiti-ger Entfremdung geschuldet; dem Verlust von Gemeinschaft-lichkeit und Zusammenhalt, der sich zu blanker Feindseligkeit und gegenseitiger Verachtung aufschaukelt. Wie oben darge-stellt, sieht Wagenknecht die hauptsächliche Schuld dafür bei dieser neuen, akademisch gebildeten, ihrer Ansicht nach bloß pseudo-linken Mittelschicht. Aber natürlich ist diese Entfrem-dung und zunehmende Feindseligkeit auch eine gegenseitige. Sie geht auch von der deklassierten unteren Mittelschicht aus. Mit bloßen materiellen Abfindungen (etwa höheren Transfer-leistungen zu Gunsten dieser unteren Mittelschicht) kann die-se Kluft nicht überwunden werden. Dazu klaffen die Lebens-welten der beiden Teile schon zu sehr auseinander. Auf der einen Seite jene, die sich mit Multikulturalität, Internationali-tät, raschem Wandel leichter abfinden und für die der frühere bürgerliche Wertekodex von Dauerhaftigkeit, Beständigkeit, Verlässlichkeit und Familiensinn kaum mehr verbindlich ist. Auf der anderen Seite jene, denen das Verwurzelt-Sein in ge-wachsener Gemeinschaft, unersetzliche Heimat bedeutet und die sich durch ihre Arbeit und nicht durch den Stil ihres Kon-sums definieren.GEMEINSINN UND GESELLSCHAFTLICHER ZUSAMMENHALT VON THOMAS NOWOTNY


 ZUKUNFT | 41 Das zeigt sich auch daran, dass diese untere Mittelschicht sowohl in den USA wie auch in Europa politisch zunehmend von rechtspopulistischen Parteien vertreten wird; und nicht, wie zu vermuten gewesen wäre, von Linksparteien, welche sich traditionell für vermehrte Transferleistungen an den we-niger privilegierten Teil der Gesellschaft eingesetzt hatten. Rechtspopulist*innen nutzen das Misstrauen, ja den Hass dieser Unterschicht, gegenüber den Eliten, welche den von ihnen nicht gewollten Wandel vorantreiben und von ihm profitieren. Wie sehr das Materielle dabei in den Hintergrund tritt, zeigen auch die Beispiele von Trump in den USA und von Berlusconi in Italien – Superreiche, die mehr als andere mate-riell von der Ausbeutung der unteren Mittelschicht profitiert haben und die dennoch Leitfiguren des Aufstands der unteren Mittelschicht wurden.VII. SCHLUSSIn ihrem Buch hat Wagenknecht im Wesentlichen für eine dieser beiden Streitteile Partei ergriffen; und dadurch die Spaltung vertieft, die sie – dem Titel ihres Buchs gemäß – mit Gemeinsinn und Zusammenhalt überwinden wollte.THOMAS NOWOTNY ist Politikwissenschaftler, Diplomat und Autor. Zwischen 1970 und 1975 war er Sekretär im Büro von Bundeskanzler Bruno Kreisky,  seit 1994 ist er als Dozent an der Universität Wien tätig.


 42 | ZUKUNFT INTEGRATIONSPOLITIK IN DER ZUKUNFT VON SIEGLINDE ROSENBERGERI.  INTEGRATIONSPOLITIK FÜR WEN?Integrationspolitik basiert auf der Kategorie Migrations-hintergrund. Das Problem dieser Kategorie ist, dass sie Un-gleichheit und Diskriminierung tendenziell alleine auf Mi-gration zurückführt. Merkmale wie soziale Herkunft und Geschlecht, die unbestritten ebenfalls Quellen von Ungerech-tigkeiten darstellen, geraten in den Hintergrund. Um diesem Fallstrick der Vereinseitigung zu entgehen, ist ein konsequen-ter Generationenschnitt der Integrationspolitik zu überlegen: Verpflichtende wie freiwillige integrationspolitische Maßnah-men sind nur für Neuzugewanderte konzipiert. Ein Augen-merk gilt Geflüchteten – sie brauchen spezielle Maßnahmen sowohl im sozio-ökonomischen als auch im sozio-kulturellen Bereich. Für die nächsten Generationen sind Regelwerke zu gestalten, die sensibel auf unterschiedliche Ausgangssituatio-nen und Ungleichheiten reagieren. Hier ist keine Rede mehr von Integration, sondern von Teilhabe.II.  PRIORISIERUNG DER PROBLEMLÖSUNGDiese Überlegung mag einem unrealistischen Wunsch gleichen, soll aber anregen, Integrationspolitik sowohl an den Zugewanderten als auch an jenen Wähler*innen auszurich-ten, die an Chancengleichheit und sozialer Kohäsion inter-essiert sind. In einer zukunftsorientierten Integrationspolitik bedienen Diskurse und Maßnahmen nicht primär jene Tei-le der Aufnahmegesellschaft, die sich Strenge, Disziplinierung und Kontrolle erwarten; sie orientieren sich an der Behebung von Bildungsdefiziten, Arbeitsmarktproblemen und fehlen-den formalen Qualifikationen.  Sprache – Deutsch und Her-kunftssprache – wird auf allen Ebenen des Betreuungs- und Bildungssystems vermittelt und gefördert. Alle primären Bil-dungseinrichtungen sollten für dieses Ziel eingesetzt werden, denn mit Sprache korrelieren beruflicher und sozialer Auf-stieg. Ein Ausbau des verpflichtenden Kindergartenbesuchs ist zu überlegen.Zu beachten ist, dass Erwerb von Bildung, Sprache und beruflichen Qualifikationen bei unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Rahmen und unterschiedlich lange dauern kann. Geflüchtete haben meist großen und längeren Bedarf an teilhabe-unterstützenden Maßnahmen, manche Zugewander-te aus EU-Staaten haben Teilbedarfe, andere gar keinen.III. MASSNAHMENMIXDie Integrationspolitik ist ein Mix an diversitätssensiblen, struktur- und kultursensiblen Maßnahmen. Sie versteht sich zum einen als Chancengleichheitspolitik, die nicht nur für Zugewanderte Normen und Institutionen gestaltet, sondern für alle (benachteiligten) Gruppen. Eine wirksame Integrati-onspolitik ist Teil der Politik zur Ungleichheitsbekämpfung. Integrationspolitik der Zukunft versteht sich zum anderen als Demokratiepolitik, die Werte im Konzept von politischer Bil-dung vermittelt. Integrationspolitik betreibt den Ausbau von politischer Bildung ebenso wie den Ethikunterricht für alle und in gemeinsamen Settings.Integrationspolitik in der ZukunftIntegration gelingt, Integration scheitert, Integration ist heftig politisiert, Maßnahmen betreffen eher Kultur und Religion, denn Struktur. Wie könnte eine zukünftige Integrationspolitik angelegt sein, um Teilhabe, Zugehörigkeit und Chancengleichheit, aber auch soziale Kohäsion als Gesellschaft zu erreichen? Welche Politik braucht es, um Verhältnisse zu gestalten, die teil­habendes Verhalten und Handeln ermöglichen? SIEGLINDE ROSENBERGER versucht sich an einer dichten Antwort auf diese Fragen …


 ZUKUNFT | 43 Angesichts der jahrzehntelangen negativen Politisierung von Migration, könnte das Recht auf politische Partizipation politische Repräsentant*innen motivieren, auch die Interes-sen der Zugewanderten zu vertreten. Konflikte würden dann selbstverständlich weiter existieren, aber sie würden weniger über jene, die keine Stimme haben, ausgetragen werden, son-dern unterschiedliche gesellschaftliche, soziale und ökonomi-sche Vorstellungen betreffen.IV. SCHLUSSBEMERKUNGAuch Integrations- bzw. Diversitätspolitik hat alle An-strengungen zu unternehmen, den zerstörerischen „Culture Wars“, wie wir sie in den USA und in Großbritannien bereits in der Mitte der Gesellschaft beobachten, die Grundlage zu nehmen. Integrationspolitik als Teilhabepolitik ist eine Vor-aussetzung, über Ungleichheit aufgrund ökonomischer Res-sourcen, Schicht und Klasse und nicht in erster Linie über Kultur und Identität zu streiten – und in dieser Hinsicht ist so-wohl die Rechte als auch die Linke gefordert.SIEGLINDE ROSENBERGER / OLIVER GRUBERINTEGRATION ERWÜNSCHTWien: Czernin232 Seiten | € 25,00ISBN: 978­3707606812Erscheinungstermin: Oktober 2020LiteraturRosenberger Sieglinde/Gruber, Oliver 2020: Integration erwünscht?  Österreichs Integrationspolitik zwischen Fördern, Fordern und Ver-hindern, Wien; Czernin.SIEGLINDE ROSENBERGER ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien;  Forschungen zu Migration/Integration/Asyl und politischer  Partizipation. Mail: sieglinde.rosenberger@univie.ac.at.


 44 | ZUKUNFT Deckblatt GLEICHHEIT Sozialdemokratisches Wochenblatt - Nr. 1 / 1. Jahrgang / Dezember 1886


 ZUKUNFT | 45 75 JAHRE ZUKUNFTDeckblatt DIE ZUKUNFT Sozialistische Monatsschrift für Politik und Kultur - Heft 2 / Mitte April 1946


 46 | ZUKUNFT 1. VORBEMERKUNGMit der Neuorganisation der ZUKUNFT-Redaktion haben wir uns vorgenommen, der konstruktiven Auseinanderset-zung mit den Künsten und Fragen der Bildungspolitik deut-lich mehr Platz einzuräumen: Wir verstehen, was sich in den Ausgaben der ZUKUNFT seit dem Herbst 2020 gut nachlesen lässt, die Auseinandersetzung mit den Künsten als gesellschaft-liche Notwendigkeit und Bildung als Weg als Teil aufgeklärter Selbstverantwortung bzw. gesamtgesellschaftlicher Mitverant-wortung. Die Künste – und nicht zuletzt die Literatur – tragen auf ihre spezifischen Weisen zur Gesellschaft bei, eben auch, weil hier schwierige, unangenehme Fragen aufgeworfen oder Einblicke in fremde Erfahrungswelten eröffnet werden kön-nen. Entsprechend ist die Arbeit an bzw. mit der Literatur und ihren Akteur*innen in der ZUKUNFT von einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung geprägt, von einer zu erhalten-den Diskussion um künstlerische Qualität abseits identitäts-politisch begründeter Verkäuflichkeit, von einem Bewusstsein für literaturgeschichtliche Entwicklungen abseits ungeprüf-ter Abwertung, von einem Wunsch nach Reflexion anstel-le zahmer Bestätigung ohnehin vorhandener Haltungen und Vorstellungen. Die kontinuierliche und konsequente Ausei-nandersetzung mit Literatur in der ZUKUNFT ist somit immer auch eine Arbeit für Literatur, sei es im Vorstellen von neu-en Stimmen, sei es im Darstellen von Positionen, die uns als Publikum herausfordern. Es gilt für uns, den Austausch über bzw. mit der Literatur zu erhalten, eben weil Qualität und Risiko den Leser*innen zumutbar ist, aus einer Mitverant-wortung am kritischen Diskurs nicht einfach entlassen werden kann. Auch aus diesen Gründen haben wir für die vorliegen-de Jubiläumsausgabe die Studie Vom Wellengang unserer Litera-tur für einen Wiederabdruck ausgewählt. Dieser Essay, der im Mai 1946 in der ZUKUNFT erschien, steht exemplarisch für die Beschäftigung mit Literatur und ihren Kontexten. Das meint freilich nicht eine affirmative Begegnung mit einer histori-schen Quelle, sondern eine Einladung zur Neulektüre eines nicht nur unproblematischen Textes, der aber, bei aller not-wendiger Kritik, der österreichischen Literatur in ihrer Eigen-ständigkeit die wichtige Aufgabe der Auseinandersetzung mit dem NS-Terror zuschreibt. (hp/tb)VOM WELLENGANG UNSERER LITERATURVON OTTO KOENIGVon alters her wird zuzeiten über den Verfall der Kul-tur und zumeist über den der am engsten mit dem Gedan-ken verknüpften Kunst, der Dichtkunst, der schönen Litera-tur geklagt.Die erste dieser Klagen findet sich um die Mitte des 11. Jahrhunderts bei dem Kleriker Williram, in der Vorrede zu seiner freien Bearbeitung des Hohenliedes: Habsucht, Haß und Streit seien an Stelle der früheren geistigen Interessen und poetischen Bestrebungen getreten. – Dabei erscheint Willi-rams eigenes Werk selbst als Probe literarischer Verrottung, denn es ist eine unausgeglichene Sprach- und Gefühlsmi-schung zwischen Althochdeutsch und Latein, zwischen sinn-licher und geistiger Inbrunst. Damals bebte das gesamte deut-sche Sprachgebiet unter Kaiser Heinrichs III. Kämpfen gegen Böhmen und Polen, gegen den Adel und gegen das von Be-nedikt IX. auf das übelste repräsentierte Papsttum. Es ging da hart auf hart um die kaiserliche Reichsmacht.Eine ähnliche Situation findet sich um das Jahr 1350. Zwischen furchtbaren Pestepidemien, Hexenverbrennun-gen, grausamen Ketzergerichten und blutrünstigen Judenver-folgungen krächzen nur ganz wenige kränkelnde Musen ein AUS DEM ARCHIV: „VOM WELLENGANG UNSERER LITERATUR“ (1946) VON OTTO KOENIGVom Wellengang unserer LiteraturTHOMAS BALLHAUSEN und HEMMA PRAINSACK haben den Essay Vom Wellengang unserer Literatur von OTTO KOENIG mit einer programmatischen Einleitung versehen – Einladung zur Begegnung mit einem Fundstück.


ärmliches mißtönendes Lied; poetische Werte schaffen ledig-lich einige – übrigens bald wieder verstummende Mystiker. Der Literarhistoriker Goedeke charakterisierte den damaligen Zustand in folgenden Worten: „Rasches, allgemeines und tie-fes Absinken von der Höhe bezeichnet die Dichtung dieses Abschnittes. Alle Dichtung klagt über Verfall und blickt auf die großen Meister zurück. Die Welt im allgemeinen wendet sich von den Dichtern ab.“Und im 17. Jahrhundert, zu Ende und nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges stehen wir in einer geradezu no-torischen Verfallsperiode der deutschen Dichtung, in der trotz oder vielleicht auch wegen fleißigster, gelehrter Betriebsam-keit allein Andreas Gryphius, Christian Grimmelshausen und – in Beschränkung auf mystische Didaktik – Johann Scheffler, der „schlesische Bot’“, wertvollere Dichtungen von dauern-der Bedeutung schufen.„Innerhalb dieses Zeitraumes verschwindet die Teilnahme des Volkes an seiner Literatur fast gänzlich!“ sagt Goedeke. Und nach aber dreihundert Jahren sind wir heute wieder ein-mal so weit!Bald nach der Jahrhundertwende, als man allgemach zu spüren und einzusehen begann, daß der ja gewiß kunsterzieh-liche Naturalismus höchste Erfüllungen allein aus sich heraus doch nicht zu bringen vermochte, fing man bang zu fragen an: Stirbt die Kunst? Geht unsere Dichtung zugrunde?Auch Stephan Großmann stellte diese Frage im Feuille-ton der „Arbeiter-Zeitung“, und der Schreiber dieses Aufsat-zes beschäftigte sich mit ihr ebenda (am 8. Oktober 1912) und verneinte sie, sagte aber voraus, daß der Niedergang dichte-rischer Leistung samt dem Publikumsinteresse an ihr bis zur Jahrhundertmitte andauern werde.Genau so kam’s! Wir stehen – die gegenwärtig wirken-den Dichter und Schriftsteller hören’s ungern und glauben’s selbstverständlich auch nicht – an einem Tiefpunkt der lite-rarischen Produktion, auf den Willirams Klage und die oben aufgeführten Goedeke-Zitate vollinhaltlich passen. Die au-genblickliche buchhändlerische Konjunktur bedeutet auch kein verständnisinniges Interesse, sondern wahllos geworde-ne Kaufgier. Was wird heute nicht gekauft! „Sogar“ Bücher! Die Produktion aber übersteigt qualitativ nur ganz selten ein mäßiges Mittelmaß. Die Zahl der kleinen Dichter, die ihre distanzlosen Interjektionen für Offenbarungen poetischer Ei-genart und Kraft halten, ist Legion. In dieser Hinsicht steht es genau so „trostlos-üppig“ wie in den Dichtergesellschaf-ten des Barocks vor drei Jahrhunderten, nur diesmal aus guten Gründen ohne gelehrte Prätensionen.Nun, daran ist eben der verfluchte Krieg schuld und die verruchte Hitlerei! – Gewiß, das steht außer Zweifel. Vor den Kulturverfallszeiten der geschichtlichen Vergangenheit stan-den ja stets politische und wirtschaftliche Fallissements mit Hunger, Not und grausigem Blutfluß. Im I7. Jahrhundert der Dreißigjährige Krieg, die Inquisitions- und Seuchenzeit im 14. Jahrhundert, und wieder dreihundert Jahre vorher die un-aufhörlichen Kriegswirren unter dem Schwarzen Heinrich.Aber schon daß solche entsetzliche Kriegszeiten und Ge-waltperioden sich regelmäßig alle drei Jahrhunderte wieder-holen, wäre eine Erscheinung, die dazu verlocken könnte, sich mit dem resignativen Verlegenheitswort „Zufall“ nicht zu be-gnügen. Nur – gerade mit dieser Regelmäßigkeit ist es nicht so sicher! Kriegsläufe und Notzeiten haben die der deutschen Sprachgenossensehaft angehörigen Stämme auch zwischen-durch erlitten, durchlebt und – herbeigeführt. So fällt die lite-rarhistorische Blütezeit der ritterlichhöfischen Epik und Lyrik in die Zeit, da die Deutschen von einem bis zur aberwitzi-gen Massenhypnose von Kinderkreuzzügen gesteigerten Ori-entkriegsfieber gegen die „Ungläubigen“ erfaßt waren. Die Blütezeit der Literatur des deutschen Humanismus und der Reformation deckt sich wieder mit der Zeit des großen Bau-ernkrieges und des erbitterten Kampfes des Niederadels gegen aufkommende Fürstenmacht, und die der klassischen Blü-te um 1800 unmittelbar antithetisch nachstürzende, wohl re-aktionäre, aber poetisch so schöpferische Romantik erblühte gar herrlich während der Napoleonischen Kriege. Kriegsnö-te können also nicht als die alleinigen Ursachen literarischer Mangelperioden gelten. Sie sind eher als Auslöser und Ver-stärker anzusehen. Wenn nun aber Tiefpunkte, Zeiten der Mindestteilnah-me und qualitativer Minderproduktion feststellbar sind, dann müssen auch Höhepunkte, eben Blütezeiten, der schönen Li-teratur und ihres Anwerts kenntlich sein. Die liegen nun stets recht genau in der Mitte der Zeitintervalle zwischen den Tief-punkten: Um 1200, nach 1500, um 1800. Und wenn wir die-se eigenartige Periodizität zeitlich rückwärts verfolgen wollen, dann finden wir just so um 900 herum noch eine ansehnli-che Anschwellung literarischer Leistung, die vom „Heliant“ und „Christ“ über das „Ludwigslied“ bis zur „Gandershei- ZUKUNFT | 47 


 48 | ZUKUNFT AUS DEM ARCHIV: „VOM WELLENGANG UNSERER LITERATUR“ (1946) VON OTTO KOENIGmer Hroswith“ als Propagandaliteratur des Christentums mit der humanistisch-reformatorischen nach 1500 gewisse charak-teristische Ähnlichkeiten aufweist.Die Blüteperioden vor und nach 900, um 1200, nach 1500 und um 1800 gehören nämlich abwechselnd zwei von-einander verschiedenen Typen an. Die Autoren der christli-chen Propagandaliteratur vor 900 und die der humanistischen, der lutherischen und antilutherischen nach 1500 gebrauchen Dichtung und Schriftstellerei fast ausschließlich als Schwert im Kampf der Geister. Weltanschauungspropaganda wird da betrieben zur geistigen Gestaltung künftiger Generationen, oft sorglos in der Form, in betont männlich energischen, ja, wie es der Literatur des 16. Jahrhunderts ausdrücklich und mit Recht nachgesagt wird, in „grobianischen“ Tönen. Die be-handelten Stoffe sind vorwiegend hochaktuell.Die poetischen Blütezeiten von 1200 und 1800 aber sind ausgesprochen ästhetisch gerichtet, Man suchte „in der schö-nen Form die schöne Seele“, und im Mittelpunkt des dichte-rischen Interesses steht die Frau. Die behandelten Stoffe sind vorwiegend  historisch.900 (1050), 1200 (1350), 1500 (1650), 1800 (1950) !Das sind acht Glieder einer arithmetischen Reihe, wel-che die Schwingungslinie unserer Literaturentwicklung sche-matisch bezeichnen, wobei 1200 und 1800 Wellenberge einer vom Ewigweiblichen hinangezogenen ästhetischen Richtung, 900 und 1500 die zeitlich minder konzentrierten Erhebun-gen männlich polemischer Einstellung darstellen, während die Zwischenzahlen 1050, 1350, 1650, 1950 die neutralen Durch-gangspunkte der Wellenlinien auf ihrem Weg von Berg zu Gegenberg, also Tiefpunkte der Nachfrage und des Angebots im dichterischen Austauschverkehr angeben.„Es“ schwingt gleichsam wie ein Pendel vom Punkt äu-ßersten Ausschlages rechts über den Ruhetiefpunkt zum Punkt äußersten Ausschlages links. Schon dreimal ging’s so hin und her und jedes Hin und jedes Her dauerte 300 Jahre.Nichts Metaphysisches, nichts Mystisches erschließt sich mit der Beobachtung solcher Periodizität, die schon Wilhelm Scherer ahnungsvoll mit seinem Bild von den „Zähnen einer Säge“ ungefähr andeutete. Wir kennen ja noch sehr, sehr vie-le Arten von Wellenströmen nicht, die Weltall, Tierwelt und Menschheit durchfluten. Und bei den wenigsten von denen, die wir kennen, vermögen wir letzte Ursachen anzugeben. Wie sollten wir bei einem Wellenphänomen, dessen Schwin-gungsweiten durch Jahrhunderte reichen und erst nach Ge-nerationen erkennbar werden, sofort klar sehen? Vielleicht sind ihre Ursachen im Biologischen, im Phylogenetischen zu suchen, etwa in einer übersäkular wiederkehrenden Verän-derung der Keimzellensubstanzen, der Apparatur der Gene! Zweifellos wirkt das ökonomische Prinzip der Wechselwir-kung von Nachfrage und Angebot mit, so zwar, daß das ech-te, große, das ist das umfassende Genie sich in Zeiten des all-gemeinen Desinteressements an schöner Literatur und Poesie eben anderen, geschätzteren Betätigungen zuwendet (wie ge-genwärtig den Naturwissenschaften und der Technik), so daß in solchen Epochen nur einseitige Begabungen für den litera-rischen „Betrieb“ übrigbleiben.Wie dem auch sei: Die regelhafte Wellung im Ablauf der deutschen Literatur ist deutlich offenbar. Nur Einsichtsunwil-le, nur subjektive Gebundenheit vermag sie zu leugnen. Und wenn dieses Phänomen auch nur durch ein im Me-taphysischen verankertes „Gesetz der Serie“, das wir obenhin „Zufall“ nennen, deutbar wäre, haben wir dennoch mitten im vierten Pendelschwung das Recht zu einem Analogieschluß: Als an einem Tiefpunkt poetischer Schöpfung und Schät-zung des Poetischen Stehende haben wir zuversichtlich Auf-schwung zu erwarten. Dr. Edwin Rollett, der in seiner aus einem ernst zuversichtlichen Vortrag erwachsenen, überaus aufschlußreichen und eindrucksvollen Broschüre „Österrei-chische Gegenwartsliteratur, Aufgabe, Lage, Forderung“ be-sonders das österreichische Schrifttum mit sorglicher Liebe umhegt und allzu sehnsuchtsoptimistisch von unseren ganz, ganz wenigen Dichtern über Mittelmaß jetzt schon große, wertbeständige literarische Bearbeitung der .jüngsten Schre-ckensvergangenheit fordert, sieht sehr richtig verheißungsvol-le Symptome in der Bühnendichtung und setzt begründete Hoffnungen in die Lyrik. Schon die entschiedene Forderung nach dichterischer Gestaltung der uns noch nur allzu gegen-wärtigen Terrorproblematik, also eine Forderung nach Aktu-alität, die ein so erfahrener und gereifter Schriftsteller ganz im Sinne unseres sehr spärlichen, jüngsten Literaturnachwuchses erhebt, ist ein solches verheißungsvolles Symptom. Und der Wille der Jugend zur offenbaren Tendenz in der Dichtung, ihre trotz augenblicklicher Sonett-Hausse unverhehlbare Nei-gung zur metrischen, phonetischen und rhetorischen Sorglo-sigkeit ist ein anderes.


 ZUKUNFT | 49 Denn alle diese Anzeichen weisen einhellig in die Rich-tung der oben vorgezeichneten, bevorstehenden Trift. Sie entsprechen so genau der aus den literaturgeschichtlichen Ab-läufen erschlossenen Hypothetik, daß die zukünftige Ent-wicklung mit den Worten meines vor nahezu fünfunddreißig Jahren veröffentlichten Aufsatzes auch heute noch zutref-fend gekennzeichnet werden kann: „Um 1950 neuer Aufstieg der Literaturwelle nach der männlich polemischen Seite hin mit einer Blüteperiode um 2100, da die Literatur, wieder im Dienste großer Weltanschauungskämpfe und Kulturumwäl-zungen stehend, in der Form dürftig, im Gedankeninhalt ge-waltig, die Bahnen der Renaissance und des Humanismus auf höherer Ebene wiederholt.“Was aber hätte solche Periodentheorie, die, wie schon der Philosoph des Marxismus, unser verewigter Dr. Max Adler, auf einer Volksbildungstagung des Jahres 1931 feststellte, den Lehren des Marxismus nicht widerspricht, uns als Sozialisten zu sagen?Sehr Bedeutsames!Es wäre nachgerade widersinnig, wollte man anneh-men, daß es sich auf jener höheren Ebene um 2100 noch oder nochmals um weltanschauliche Neuordnung der kapi-talistisch bürgerlichen Gesellschaft handeln könnte, die ja um 1500 ihre geistigen Eröffnungsschlachten schlug und um 1800 das Hochfest ihrer geistigen Entfaltung feierte, sondern es ist schon sehr stark zu vermuten, daß es um die Wende des 21. Jahrhunderts nur mehr um die geistige Gestaltung einer sozia-len Gesellschaft gehen kann.Unsere Literatur hat in einem streng gesetzmäßig erschei-nenden Entwicklungsgang Blüten der geistlich-mönchischen, der feudal-ritterlichen, der geldwirtschaftlich-bürgerlichen Gesellschaft gezeitigt. In den Zeiten der Übergänge schoben sich poetische Erhebungen der Unterdrückten ein: Die vom Bauernkrieg (1525) nahezu ausgerottete bäuerliche, in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts eine vom Nationalso-zialismus und seinem Weltkrieg aufs schwerste gestörte Arbei-terdichtung. Es muß schon mit höchster Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, daß die vorauszusehende, nach hundert Jahren ihrem Höhepunkt zustrebende, neue kraftvoll propa-gandistische Weltanschaungsdichtung der Kulturformung ei-ner schon klassenlosen Gesellschaft zugehören und dienen wird.Welche Ausblicke, welche Zuversicht schon für die ge-schichtlich so kurze Zeit von nur hunderfünfzig Jahren! Nur wer nach Kinderart die geschichtliche Spannweite eines kur-zen Menschenlebens überschätzt, nur Kinder, die den ersehn-ten Traumpalast fertigstehend erschauen wollen, ehe sie noch ihre Bausteine zusammentrugen, nur „Kinder, die hören’s nicht gerne“.


 50 | ZUKUNFT AUCH IM VA VERLAG ERSCHIENENVERANSTALTUNGSANKÜNDIGUNGDIENSTAG, DER 21. SEPTEMBER 2021, 18:30 UHR: 75 JAHRE ZUKUNFTAnlässlich des Jubiläums der ZUKUNFT, die nun seit 75 Jahren erscheint, werden wir mit kompetenten Gästen die Geschichte unserer Zeitschrift, ihren (politischen) Aktuali­tätsbezug und auch die Zukunft der ZUKUNFT diskutieren. Dabei soll es um die Rolle und Funktion unserer Diskus­sionszeitschrift im Rahmen der Sozialdemokratie genau­so gehen wie um progressive Ideologie und Programma­tik. Welche Themen soll die ZUKUNFT aufnehmen? Welche Impulse sind nötig, um die Sozialdemokratie neu auszurich­ten? Wir laden unsere Leser*innen dazu ein, sich einzubrin­gen, Fragen zu stellen und mitzudiskutieren!DIENSTAG, DER 19. OKTOBER 2021, 18:30 UHR: GESCHLECHTERVERHÄLTNISSESeit jeher ist die Frage nach der (Un­)Gerechtigkeit der Geschlechterverhältnisse eine, welche die Sozialdemokra­tie mit großem Engagement verfolgt. Geschlechtergerech­tigkeit ist auf so vielen Ebenen ein prägendes Thema, dass es aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet werden kann und muss. Diese Ausgabe der ZUKUNFT und die da­mit verbundene Diskussion stellt daher verschiedenste Fa­cetten dieser Thematik in den Mittelpunkt und zeigt auf wie vielschichtig der Diskurs sein muss, um nachhaltige Ände­rungen und Verbesserungen erzielen zu können. Wir freuen uns auf ein hochkarätiges Podium!Auf dem Weg in die  ZUKUNFT!Nähere Informationen und die Links zur jeweiligen Veranstaltung unter: https://diezukunft.at/veranstaltungen/


 ZUKUNFT | 51 BESTELLUNGKupon ausschneiden& einsenden an:VA Verlag GmbHKaiser-Ebersdorferstrasse 305/31110 WienICH BESTELLE "ROTE PHILATELIE" 7,90 € INKL. MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 €ICH BESTELLE "WIENER STRASSENBAHNER IM FEBRUAR 1934" PREIS 5,-- INKL MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 €NAME: _________________________________________________________________STRASSE: _______________________________________________________________ORT/PLZ: _______________________________________________________________TEL.: ______________________________E-MAIL: _____________________________UNTERSCHRIFT: _______________________ODER BESTELLUNG PER E-MAIL AN DEN VERLAG: OFFICE@VAVERLAG.ATSOLANGE DER VORRAT REICHTEine philatelistische Zeitreise zu 75 Jahren WGBDER WELTGEWERKSCHAFTSBUND (WGB) FEIERT HEUER SEINEN 75. GEBURTSTAG. MANCHE FORDERUNGEN DER ERSTEN JAHRE NACH SEINER GRÜNDUNG SIND NACH WIE VOR AKTUELL. DIESEM JUBILÄUM LIEGT DIE IDEE DER VORLIEGENDEN BROSCHÜ-RE ZU GRUNDE. DIE KURZE ABHANDLUNG DER SEHR UMFANGREICHEN GESCHICHTE DES WGB BASIERT VOR ALLEM AUF DER ERZÄHLUNG DER 17 WELT-KONGRESSE DES WGB, SIE STELLEN HIER DIE MEILENSTEINE DER ENTWICKLUNG UND DER GEZEIGTEN BRIEFMARKEN DAR.DIE WIENER STRASSENBAHNER GALTEN IN DER ZWISCHENKRIEGS-ZEIT ALS EINE DER SPEERSPITZEN DER SOZIALDEMOKRATIE. ES VERWUNDERT DAHER NICHT, DASS SICH AUF PRAKTISCH ALLEN BAHNHÖFEN SCHUTZBUNDGRUPPEN, SOGENANNTE STRASSENBAHN-ORDNER, BEFANDEN. INSBESONDERE IN FLORIDSDORF WAREN DIE STRASSENBAHNER DIREKT IN KAMPFHANDLUNGEN DES FEBRUAR 1934 VERSTRICKT. HIER WURDEN AUCH ZWEI STRASSENBAH-NER VON EINEM EILIG EINBERUFENEN STANDGERICHT ZUM TODE VERURTEILT, IN LETZTER MINUTE ABER BEGNADIGT. IN DIESER BROSCHÜRE WERDEN AUS DEM BLICKWINKEL DIESER BERUFSGRUP-PE DIE HEFTIGEN AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE WIEDERHER-STELLUNG DER VON DER REGIERUNG DOLLFUSS DEMONTIERTEN DEMOKRATIE BESCHRIEBEN.AUCH IM VA VERLAG ERSCHIENEN


 ZUKUNFT | 52 BESTELLUNGKupon ausschneiden& einsenden an:VA Verlag GmbHKaiser-Ebersdorferstrasse 305/31110 WienICH BESTELLE "EIN LIED BEWEGT DIE WELT"7,90 € INKL. MWST ZZGL. VERPACKUNG UND VERSAND 2,00 €NAME: _________________________________________________________________STRASSE: _______________________________________________________________ORT/PLZ: _______________________________________________________________TEL.: ______________________________E-MAIL: _____________________________UNTERSCHRIFT: _______________________ODER BESTELLUNG PER E-MAIL AN DEN VERLAG: OFFICE@VAVERLAG.ATSOLANGE DER VORRAT REICHTKAUM EIN ANDERES SYMBOL EINT DIE INTERNATIONALE ARBEITERBEWEGUNG SO STARK, WIE DIE 1871 IM NACH-REVOLUTIONÄREN PARIS VERFASSTE „INTERNA-TIONALE“. IM ANGESICHT DER NIEDERLAGE DES FRANZÖSISCHEN PROLETARIATS, WÄHREND TAUSENDE KÄMPFERINNEN UND KÄMPFER DER COMMUNE VON DER REAKTION ERMORDET WURDEN, MACHTE SICH, ÄNGSTLICH IM VERSTECK SITZEND, EUGENE POTTIER DARAN EIN TROTZIGES, HOFFNUNGSFROHES KAMPFLIED ZU SCHREIBEN. SO ENTSTAND NICHT NUR DIE WELTWEITE HYMNE EINER STOLZEN BEWEGUNG, SONDERN EIN KAMPFLIED VON MILLIONEN BEWUSSTER ARBEITNEH-MERINNEN UND ARBEITNEHMER AUF DER GANZEN WELT.