der GREIF AUSGABE Nr. 1 


INHALT Titelseite__________________FARBENPRACHT, Bild von Christian Folie Seite 2____________________EINBLICKE von Isabel Folie Seite 3____________________FREIHEIT I von Luca Pümpel Seite 4____________________WIR von Isabel Folie Seite 5-6__________________DER ZAUNKÖNIG UND DER BÄR von Jörg Zemmler Seite 7____________________MEERESSTRAND, Bild von Christian Folie  Seite 8____________________DAS LACHEN GEHÖRT von Isabel Folie Seite 9____________________DIVIDE ET IMPERA von Luca Pümpel Seite 10___________________KRONEN AUS PAPPE von Isabel Folie Seite 11___________________L´AMOUR von Luca Pümpel Seite 12___________________STOLZ, Bild von Christian Folie Seite 13___________________STACHELDRAHTZAUN von Isabel Folie Seite 14___________________FEUER UND WASSER, Bild von Christian Folie Seite 15___________________SCHICKSALSLOS von Luca Pümpel Seite 16___________________MEERESSTRÖMUNGEN, Bild von Christian Folie Seite 16___________________IMPRESSUM 


EINBLICKE Wir  fassen  Mut,  blicken  dem  Elend  der Welt  ins Auge  –  und  sehen  uns mit  der  Frage  konfrontiert:  Wieso  sollten  wir  uns  überhaupt  um  unsere Mitmenschen  kümmern?  »Solidarität  ist  die  Zärtlichkeit  der  Völker«, schmachtete  Che  Guevara  und  sonnt  sich  heute  auf  T-Shirts  und Teetassen. Da ist der Schriftsteller Robert Kroiß weitaus weniger bekannt – ob es daran liegt, dass er kundtat, dass »Solidarität nur die Vereinigung geballter Wut und nicht das Ergebnis von Nächstenliebe« ist? Dabei steht er mit seiner Meinung gar nicht so alleine dar. »Verbunden werden auch die Schwachen mächtig«, notierte anno dazumal Schiller. Vielleicht war er dabei von Thomas von Aquin inspiriert, der festhielt: »Vereinte Kraft ist zur Herbeiführung  des  Erfolges  wirksamer  als  zersplitterte  oder  geteilte.« Wem  die  beiden  Herren  zu  altmodisch  daherkommen,  der  gleiche Gedankengang á la Yoko Ono: »Ein Traum, den man alleine träumt, ist nur ein  Traum.  Ein  Traum,  den  man  zusammen  träumt,  wird  Wirklichkeit.« Solidarisch  zu  sein  gibt  uns  also  Kraft  und  lässt  Träume  in  Erfüllung gehen?  Der  Soziologe  Kuno  Klamm  kann  da  nur  grinsen,  ist  er  doch überzeugt  davon,  dass  Solidarität  bedeutet  »ein  fremdes  Problem  zu seinem eigenen zu machen.«  »Sei  du  selbst  die  Veränderung,  die  du  dir  wünschst  für  diese  Welt«, sprach Gandhi und hatte bestimmt kein Problem damit, fremde Probleme zu seinen eigenen zu machen und für eine bessere Welt zu kämpfen, im Gegenteil, er sah es sogar als seine Pflicht an, ganz im Sinne von Camus, der uns mahnt: »Die Freiheit besteht in erster Linie nicht aus Privilegien, sondern  aus  Pflichten.«  Und  welche  Pflichten  sind  das?  Es  ist  Martin Luther King, der uns an die größte von ihnen erinnert – und uns vor Augen führt, was droht, wenn wir diese Pflicht ignorieren:   »Wir müssen lernen, entweder  als  Brüder  miteinander  zu  leben  oder  als  Narren unterzugehen.«   Isabel Folie 2


FREIHEIT Ich träume von Ketten, Zäunen und Käfigen und erwache in Gefangenschaft.  Der Wind ist stehen geblieben, mein Drache hängt im Baum.  Widerstand: Ich spucke auf den Boden des Landtags, es keimt eine Blume und ich reiße sie aus.  Ich berühre mein Spiegelbild und bekomme eine Erektion. In mir reift der Embryo meiner Selbst.  Morgens zähle ich bis 5.000 und zurück. Mittags schlafe ich. Nachmittags zähle ich bis 5.000 und zurück. Dann essen.  Abends: Was täte ich nur ohne die Schwerkraft?    3LUCA PÜMPEL geboren 1995 in Hall in Tirol, studiert seit 2017 Schauspiel und Regie am Pygmaliontheater in Wien. Seit 2020 veröffentlicht er politische Lyrik. 


»WIR sollten –«  ein Geier rupft das Federbett und baut sich ein Nest »WIR könnten –«  ein Schäferhund dichtet ein Wiegenlied in Moll »WIR müssten –«  aus Wiegen werden …  4ISABEL FOLIE Isabel Folie wurde 1989 in Südtirol geboren und lebt in Wien, wo sie auch Publizistik und Kommunikationswissenschaft studierte. Sie arbeitet als selbstständige Werbetexterin und publiziert regelmäßig in Literaturzeitschriften und Anthologien. Momentan arbeitet sie an ihrem ersten Buchprojekt.


DER ZAUNKÖNIG UND DER BÄR Es ist sommer und der bär und der wolf gehen im wald spazieren. Der bär ist  von  dem  gesang  eines  vogels  sehr  angetan  und  fragt  den  wolf, welcher vogel  das  sei.  Der wolf  antwortet,  es  sei  der  zaunkönig  und  sie müssten  sich  vor  ihm  verneigen,  er  sei  der  könig  der  vögel.  Der  bär möchte den palast des königs der vögel sehen, aber der wolf sagt, das sei nicht  so  einfach,  sie  müssten  erst  warten,  bis  die  frau  königin  komme. Diese taucht bald später auf und hat futter im schnabel und der herr könig auch, um ihre jungen zu füttern. Der bär will sogleich nachsehen, aber der wolf  hält  ihn  auf  und  sagt,  sie  müssten  warten,  bis  herr  und  frau  könig wieder  weg  sind.  Also  gehen  sie  in  der  zwischenzeit  weiter.  Der  bär  ist sehr neugierig und geht wieder zurück zum nest, die eltern sind weg und er  sieht  fünf  oder  sechs  junge  und  ihm  erscheint  das  alles  ein erbärmlicher  palast  und  er  denkt  sich,  dass  dies  nicht  königliche  Kinder sein  können  in  seinem  verdruss  und  sagt  es  auch  zu  den  jungen.  Die zaunkönigjungen  lassen  das  nicht  auf  sich  sitzen  und weisen  des  bären aussage  heftigst  zurück  und  drohen  dem  bären,  sie  würden  es  ihm heimzahlen. Der bär und der wolf bekommen es mit der angst zu tun und sie  gehen  beide  nach  hause. Als  die  eltern  zaunkönige  zu  ihren  kleinen zurückkommen,  verweigern  diese  das  essen  und  sagen,  sie  würden nichts  mehr  anrühren,  bis  die  sache  mit  dem  bär  geklärt  sei.  Daraufhin fliegen herr und frau könig vor die höhle des bären und erklären ihm den krieg.  Der  bär  ruft  daraufhin  alle  vierfüßigen  tiere  zusammen  –  ochsen, esel,  rinder,  hirsche,  rehe  und  so  weiter.  Der  zaunkönig  macht  dasselbe mit  allen  fliegenden  tieren,  also  außer  allen  vögeln  auch  mücken, hornissen, bienen und fliegen. Bevor  der  krieg  losgeht,  schickt  der  zaunkönig  die  listige  mücke  in  den wald, wo sich die feinde versammelt haben, um herauszubekommen, wer dort  zum  kommandierenden  general  ernannt wird.  Sie  hört, wie  der  bär den fuchs, den er für den schlausten hält, dazu ernennt. Sie verabreden auch  ein  zeichen,  nämlich  folgendes:  wenn  der  fuchs  seinen  langen 5


schwanz  in  die  höhe  hält,  sieht  die  situation  gut  aus  und  alle  sollen losmarschieren. Lässt er ihn aber unten, ist es gefährlich und alle sollen sich schnellstmöglich zurückziehen. Die mücke hört das alles, fliegt heim und berichtet dem zaunkönig. Dann  geht  die  schlacht  los,  die  einen  kommen  zu  land,  die  anderen  zu luft. Der zaunkönig gibt der hornisse den auftrag, den fuchs unter seinem schwanz, so fest sie könne, zu stechen. Sie führt ihn aus und beim dritten stich hält es der fuchs nicht mehr aus, schreit und nimmt seinen schwanz zwischen  die  beine.  Die  anderen  aus  seiner  armee  sehen  das, interpretieren  es  als  verabredetes  zeichen,  flüchten  schleunigst  in  ihre höhlen  und  die  vögel  gewinnen  die  schlacht.  Den  zaunkönigjungen  ist das  noch  zu  wenig  und  sie  verlangen,  dass  der  bär  außerdem  noch  zu ihnen  kommt  und  sich  entschuldigt.  Die  eltern  holen  den  bär  unter androhung von  rippenbrüchen  zu  ihren  jungen  und  er  entschuldigt  sich bei ihnen. Jetzt waren die jungen zaunkönige erst zufrieden, setzten sich zusammen,  aßen  und  tranken  und  machten  sich  lustig  bis  in  die  späte nacht hinein. frei nach Gebrüder Grimm 6JÖRG ZEMMLER  *75 in Bozen, wohnt in Wien und Seis (Ita). Arbeitet interdisziplinär und experimentell. War 2006 der Fm4 Protestsongcontest Sieger, 2009 österreichischer Slam Meister und gewann 2013 den Ö1 Preis »Hautnah«. Zuletzt erschienen 2015 »papierflieger luft« bei Klever (Wien), 2018 »Airplay«, Cd,  Herbst 2019 »Seiltänzer und Zaungäste«, Klever (Wien). Homepage: www.joergzemmler.net


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aus unseren Zähnen sprießen Blumen  unsere Hände verwachsen zu Flügeln mit eisernen Knochen  wir schlagen die Trommeln¹  tanzen mit fremden Füßen / trinken mit fremden Mündern DAS LACHEN (das aus unseren Kehlen dringt) GEHÖRT…  _____________________________ ¹  im neu erfundenen Takt  Isabel Folie 8


DIVIDE ET IMPERA I Es wickelt sich Stacheldraht um den Kopf und nennt sich Christus. Ihr jubelt, denn der Abstieg beginnt. II Ihr verhungert vor gedeckten Tischen, während es euch mit seiner Demut knechtet. III Und plötzlich meint ihr, in der Dunkelheit Licht zu sehen und im Licht das Dunkle.  IV Jetzt regnet es Samenkörner, doch die Erde ist faul.  V Es  heißt  euch,  Stacheldraht  um  alles  zu  wickeln,  was  ihr  liebt.  Freiheit  macht  krank, Stracheldraht ist heilsam. VI Und wenn ihr alles in Stacheldraht gewickelt habt, jeden Baum und jeden Fisch, und wenn ihr kein Licht mehr seht, flieht es. VII Ihr werdet es verteufeln. VIII Und wiederaufbauen, was ihr zerstört habt.  IX Dann wird, für einen Augenblick, Friede einkehren. Luca Pümpel 9


… schwappt über  Stimmen gießen Staub  wir kauen auf KRONEN AUS PAPPE und träumen von … im Meer ertrinkt die Erinnerung  an Türen wir baden in  fremdem Durst Isabel Folie 10


L`AMOUR Der Donaukanal ist voller Blut, die Schwäne kleben am Flussbett.  * Wir fliehen vor der Liebe in den Bund der Ehe: geschlossene Fensterläden, leises Wimmern.   * Ein  zerstörtes  Piano.  Darauf  ein  überquellender  Aschenbecher,  einige  Gläser  und Schnapsflaschen.  An  der  Wand:  Ein  unbekanntes,  impressionistisches  Gemälde,  welches  an einer  Ecke  angebrannt  ist  und  völlig  schief  hängt.  Wild  verstreut  am  Boden:  Kleider,  ein kaputter  Stuhl,  hunderte  Zettel  und  eine  rote  Lache.  Dahinter  ein weit  aufgerissenes  Fenster. Auf dem Fensterbrett: Fußabdrücke.  * Liebes, ich            weil ich einfach nicht weiß, was      du immer und immer wieder  * Drei Gräber: eins für mich, eins für dich und eins für uns.  Luca Pümpel 11


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Schneeflocken fliegen gen Himmel   an manchen Tagen erblühen im Hinterhof die Steine erzählt eine längst vergessene Stimme der Blick über die Stadt endet in Stäben und  heimlich aus dem Fenster gerauchten Zigaretten die Sonne zerplatzt am STACHELDRAHTZAUN  das weiße Deckenlicht macht nackt / alt / vergessen¹  »dein Atem gibt mir Luft« _____________________________ ¹ unter Millionen Isabel Folie 13


14CHRISTIAN FOLIE Der Südtiroler Maler wurde 1928 in Mals geboren. Seit 1957 war er Mitglied des Südtiroler Künstlerbundes. In einer Vielzahl an Ausstellungen brachte er seine ausdrucksstarken und mit Leidenschaft und Temperament gemalten Bilder einem breiten Publikum näher. 2013 verstarb Christian Folie in Völs am Schlern.


SCHICKSALSLOS Das Gefühl, das sich mit Abstand am lautesten äußert, aber am kürzesten hält, heißt »Empathie«.  Luca Pümpel15


16IMPRESSUM der Greif März 2021 www.grauergreif.at  Herausgegeben von Luca Pümpel & Isabel Folie Die Rechte der namentlich gekennzeichneten Beiträge liegen bei den Autorinnen und Autoren. FOTOCREDITS BIlder Christian Folie: © Daniel Gallmetzer Foto Jörg Zemmler: © Miriam Wegscheider Foto Luca Pümpel © Fero Zboray